Lohnt sich Forschung an Universitäten in Deutschland? Kann sie mit ähnlichen Einrichtungen im Ausland konkurrieren? "Im Gespräch" hat Professor Ulrich Rüdiger, den Prorektor für Forschung an der Universität Konstanz, nach Details gefragt.
Herr Professor Rüdiger, lässt die Gesetzgebung in Deutschland ausreichend (Spiel-)Raum für Forschung zu?
Generell gibt es durch das Grundgesetz in Deutschland nur in wenigen Bereichen Einschränkungen; ein Beispiel dafür ist das Stammzellengesetz von 2002 - wobei wir an der Universität Konstanz bei der Stammzellenforschung mit Professor Leist sehr gut aufgestellt sind. Insgesamt gesehen würde ich die Rahmenbedingungen für Forschung an den Universitäten als gut bezeichnen. Bei den regenerativen Energien beispielsweise müssen wir etwas tun, und sie werden auch sehr stark gefördert - das Einspeisegesetz wirkt sich auch positiv auf die Forschung aus. Bei der Kernenergie müssen wir hellwach sein und schauen, wie sich das Ganze entwickelt. Derzeit ist die Forschung eingeschlafen - der Neubau von Kernenergieanlagen ist ja nicht mehr erlaubt, und deshalb gibt es auch wenig Motivation für Forschung.
Uns Deutschen wird immer wieder Technikfeindlichkeit vorgeworfen...
Ich würde eher von einer verzerrten Wahrnehmung sprechen. Wir sind ein rohstoffarmes Land, haben aber eine hohe Wertschöpfung im Bereich Technik und Naturwissenschaften. Die Forschung in diesem Bereich wird als Notwendigkeit verstanden, die tägliche Anerkennung gibt es eher für Musik, Kunst, Literatur und Geisteswissenschaften. Ich favorisiere eine gegenseitige Anerkennung. Hierfür ist es wichtig, dass schon die Mädchen und Jungen im Kindergarten mit Naturwissenschaften und Technik vertraut gemacht werden - als vierfacher Vater weiß ich, wovon ich rede. Denjenigen, die die Kinder betreuen, sollte die Angst davor genommen werden, dass sie unter Umständen gewisse Themen falsch vermitteln. Wir haben gerade eine Promotionsarbeit ausgegeben, die zum Inhalt hat, einen Wissenskoffer für Kindergärten und Grundschulen mit Schlüsselphänomenen zu generieren. Damit wollen wir möglichst frühzeitig einen interessierten sowie natürlichen Umgang mit Naturwissenschaft und Technik ermöglichen.
Stehen in Deutschland genügend finanzielle Mittel für die Forschung zur Verfügung?
Laut einer EU-weiten Absprache (Lissabon IV) sollen drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung verwendet werden. Davon ist Deutschland noch ein ganzes Stück entfernt. Für die Mittel, welche die Unis bekommen, ist die Forschung aus unserem Blickwinkel hochgradig effizient - trotz hochgradiger Unterfinanzierung. Wir an der Universität Konstanz haben das Glück, dass wir durch die Exzellenzinitiative ein großes Maß an Extrageld und damit zusätzlicher Flexibilität bekommen. Das gilt aber nicht für den ganzen Standort Deutschland.
Gibt es genügend finanzielle Anreize für die Forscher?
Das ist ein wunder Punkt. Alleine mit dem Gehalt können wir niemanden an den Universitäten halten. Früher hatten wir die BAT-Tarife, heute sind es die TV-L-Tarife. Damit können wir international gesehen überhaupt nicht konkurrieren. Diese Tarife geben ein starres Korsett vor. Wir dagegen hätten für den Wissenschaftsbereich gerne mehr Spielraum. In den Promotionsarbeiten und der jungen Postdoc-Phase werden die meisten Entdeckungen gemacht, und gerade diese Bereiche werden vom TV-L stiefmütterlich behandelt - die sind ganz unten in den Tarifgruppen angesiedelt. Wir sind damit beim Anwerben der besten Wissenschaftlern auf internationalem Niveau nicht kompetitiv. Den allgemeinen öffentlichen Dienst und TV-L-Tarife sollte man nicht über einen Kamm scheren. Bonuszahlungen sind zwar vorgesehen, aber noch nicht umgesetzt. Einmalzahlungen wären zwar ein kleiner Fortschritt, aber an diese Sache müsste man schon ideenreicher rangehen.
Setzt sich die Knappheit an finanziellen Mitteln auch nach der Uni-Zeit fort, das heißt, haben Ihre Absolventen Schwierigkeiten, an Gelder für Unternehmensgründungen zu kommen?
Ja. Oft haben die Leute nach der Promotion beziehungsweise der Postdoc-Zeit Probleme, für die Gründung einer hoch innovativen Unternehmung an Wagniskapital heranzukommen, das nicht unbedingt von der klassischen Bank zur Verfügung gestellt wird. Hier wünschen wir uns, dass der Gesetzgeber die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft, das heißt, das Engagement der jungen Leute würdigt und entsprechende steuerliche Anreize schafft. Wenn schon jemand bereit ist, sein Geld zu investieren und das Unternehmen beispielsweise schief geht, sollte er zumindest die Möglichkeit haben, das Ganze steuerlich geltend zu machen.
Sehen Sie auch die Gesellschaft in der Pflicht?
Wenn man die Altersstruktur in Deutschland anschaut, ist es einerseits sicherlich wichtig, dass wir unsere jungen Leute pflegen. Andererseits sollten wir uns auch um den Austausch kümmern, den Ruf Deutschlands als Technologieland pflegen. Hierfür wäre es gut, wenn die Leute - aus welchem Sprachraum auch immer kommen - keine Sprachbarrieren spüren würden. Leute aus Schwellenländern wie Indien oder China können Englisch, aber kein Deutsch. Es wäre schön, die entsprechenden Behörden sowie die relevanten Verwaltungsbereiche der Universität wären internationaler aufgestellt, könnten durchgängig auch auf Englisch kommunizieren. Die Naturwissenschaften und die Technologie sind hochinternational aufgestellt, die Forschung kennt keine Grenzen. Und es ist nun mal so, dass die Technologiesprache nicht Deutsch ist.
Das werden manche an den Stammtischen nicht gerne hören...
Mag sein. Nur: Die Gesellschaft in Deutschland wird immer älter. Die Renten werden nicht finanziert, indem reales Geld da ist und an die Leute im Ruhestand ausbezahlt wird, sondern dieses Geld wird durch Wertschöpfung der Jüngeren verdient. Künftig wird es so sein, dass immer weniger Leute für eine immer stärkere Wertschöpfung sorgen müssen, um die Renten zu sichern. Hinzu kommt: Ein Job im Bereich Hochtechnologie zieht andere Jobs in verschiedenen Bereichen nach. Auch das sollte bedacht werden.
Können die Universitäten in Deutschland mit gleichwertigen Einrichtungen im Ausland konkurrieren?
Zweifelsohne, wenn wir die eingesetzten Mittel normiert vergleichen. Leider ist es so, dass die Lehre in Deutschland derzeit stark unterfinanziert ist - die Studiengebühren helfen uns da glücklicherweise immens. Doch der effiziente und zielgerichtete Einsatz der zusätzlichen Mittel muss zukunftsorientierter gestaltet werden. Wer die Forschung pur liebt, ist allerdings an einer amerikanischen Uni besser aufgehoben - die Lehr- und die Bürokratiebelastung ist dort nicht so hoch. Was die Gehälter anbelangt, bekommt man in den USA zwar deutlich höhere Gehälter, man bezahlt aber auch viel mehr selber, was in Deutschland vom Arbeitgeber getragen wird. Ich halte nichts davon, wenn nur die Gehälter miteinander verglichen werden. Das ist zu kurz gedacht.
Gibt es Wissensbereiche, in denen die Forschung im Ausland näher liegt als in Deutschland?
Diese Frage kann ich nicht pauschal beantworten. Für jedes Fach gibt es eine Weltkarte, und wer sein persönliches Thema identifiziert hat, wird sich fragen, wo dementsprechend die Musik spielt. Wer mit Stammzellen arbeitet, tut sich eventuell in anderen Ländern als in Deutschland leichter. In der Medizinforschung stelle ich es mir für die Leute im Nachwuchsbereich in Deutschland eher schwierig vor: Die klassische klinische Arbeit mit Patienten erfordert Zeit, die Forschung auch, und beides soll unter einen Hut gebracht werden. Insgesamt gesehen sind wir in der Grundlagenforschung in Deutschland sehr gut aufgestellt. Die derzeit etablierte und kommerziell auf dem Markt befindliche Informationstechnologie haben wir nicht mehr in der Hand. Jetzt müssen wir bei neuen innovativen Themenbereichen wie zum Beispiel Biotechnologie und hochmoderne Optik aufpassen, dass die Rahmenbedingungen in Deutschland stimmen und der Zug nicht ohne uns abfährt.
Zur Person:
Ulrich Rüdiger studierte Physik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen. Dort promovierte er und habilitierte sich auch. Ein Post-Doctoral Fellow von 1997 bis 1998 an der New York University mit Forschungsaufenthalten am IBM Research Laboratory in San Jose, USA und an der Cornell Nanofabrication Facility (CNF) der Cornell University, USA, folgten. 2002 habilitierte sich Ulrich Rüdiger und wurde zum Privatdozenten für Physik an der RWTH Aachen ernannt. Seit 19.12.2002 ist er Professor und Lehrstuhlinhaber an der Universität Konstanz. Ulrich Rüdiger ist Vertrauensdozent der DFG der Universität Konstanz und seit 2007 Mitglied im Beirat des Arbeitskreises Magnetismus im Fachverband Festkörperphysik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Beiratsmitglied im Nanotransfer-Zentrum Euregio Bodensee und seit November 2007 Prorektor für Forschung.
Prof. Dr. Ulrich Rüdiger
Bild: Universität Konstanz / Pressestelle
None
Merkmale dieser Pressemitteilung:
fachunabhängig
überregional
Wissenschaftspolitik
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).