Im deutschen Bildungssystem liegen große Potenziale brach. Begabte junge Menschen aus ärmeren Familien verzichten auf ein Studium, obwohl sie die Schule mit guten Noten abgeschlossen haben. Gleichzeitig wird qualifizierten Berufstätigen ohne Abitur nach wie vor der Zugang zur Hochschule verbaut, obwohl der Bologna-Prozess genau diese Öffnung vorsieht. Die Hans-Böckler-Stiftung setzt sich mit beiden Problemen auseinander: Mit ihrem Stipendienprogramm "Böckler-Aktion Bildung" fördert sie mittlerweile rund 430 junge Menschen aus Familien, die ihren Kindern kein Studium finanzieren können. Und auf dem 2. Hochschulpolitischen Forum, das die Stiftung vom heutigen Donnerstag bis zum Samstag in Kooperation mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und seinen Mitgliedsgewerkschaften veranstaltet, diskutieren 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie Politikerinnen und Politiker über das Leitbild einer demokratischen und sozialen Hochschule.
"Daten der OECD zeigen: Die Chance von Kindern aus ärmeren Herkunftsgruppen, ein Studium aufzunehmen, ist mittlerweile in Deutschland so gering wie in keinem anderen Industrieland", sagt Dr. Wolfgang Jäger, der für die Studienförderung zuständige Geschäftsführer der Stiftung. "Alle Bildungsforscher sind sich einig, dass Bildungsgerechtigkeit die Gesellschaft stabilisiert und dass Deutschland mehr akademisch ausgebildete Fachkräfte braucht. Aber offensichtlich werden weiterhin massenhaft Begabungen nicht genutzt und Chancen verwehrt."
Zahlreiche Beispiele dafür liefert eine aktuelle Analyse der Profile von Stipendiatinnen und Stipendiaten der "Böckler-Aktion Bildung". Mit dieser Aktion wendet sich die gemeinnützige Stiftung des DGB, die bislang vor allem Studierende mit Berufserfahrung gefördert hat, direkt an junge Menschen, die gerade ihre Studienberechtigung erworben haben oder kurz vor dem Abschluss stehen. Ein wesentliches Kriterium für die Förderung ist die wirtschaftliche Lage: Das Familieneinkommen ist bei den Bewerbern so niedrig bemessen, dass ein vollständiger BAföG-Anspruch vorliegt. Im laufe des letzten Jahres hat die Stiftung über die "Böckler-Aktion Bildung" 430 Stipendiatinnen und Stipendiaten aufgenommen, beworben hatten sich rund 1300 junge Frauen und Männer.
"Böckler-Aktion Bildung": 430 Stipendiatinnen und Stipendiaten, 65 Prozent Frauen, knapp die Hälfte hat Migrationshintergrund
Stipendiatinnen und Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung unterscheiden sich in ihrem sozialstatistischen Profil traditionell deutlich von den typischen Studierenden an deutschen Hochschulen - und von den Stipendiaten vieler anderer Begabtenförderungswerke. Durch die "Böckler-Aktion Bildung" wird diese besondere Stellung noch deutlicher sichtbar: Rund 80 Prozent der insgesamt etwa 2000 von der Böckler-Stiftung Geförderten bekommen ein Voll-Stipendium, also den Höchstsatz der Förderung nach dem BAföG, weil sie aus finanziell schlechter gestellten Verhältnissen stammen. Der Durchschnitt unter den 11 Begabtenförderungswerken liegt bei lediglich 25 Prozent Vollstipendiaten. Nach der aktuellen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes kommen die Studierenden an deutschen Hochschulen zu 62 Prozent aus der Ober- und der oberen Mittelschicht - ein Anstieg von 19 Prozentpunkten gegenüber den frühen 80er Jahren.
Von den Stipendiaten der "Böckler-Aktion Bildung" stammen 65 Prozent aus Familien, in denen kein Elternteil eine akademische Ausbildung hat - unter allen Studierenden sieht das Verhältnis ganz anders aus: 60 Prozent der Studierenden an Universitäten sind in Akademikerhaushalten aufgewachsen, unter den FH-Studenten sind es 44 Prozent - Tendenz in beiden Fällen steigend, zeigt das neue Studierendensurvey des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Viele der neuen Böckler-Stipendiatinnen und Stipendiaten kommen aus größeren Familien, durchschnittlich haben die neu Aufgenommenen zwei Geschwister. 27 Prozent der in der "Böckler-Aktion Bildung" Geförderten stammen aus Haushalten, die Hartz-IV-Leistungen beziehen oder von Leistungen der Grundsicherung leben müssen. 48 Prozent haben Eltern, die nach Deutschland zugewandert sind, oder sie wurden selbst im Ausland geboren. 65 Prozent sind Frauen.
Die Durchschnittsnote, mit der die 430 Stipendiaten ihre Hochschulzugangeberechtigung erworben haben, ist 1,9. "Wir waren selbst überrascht, wie viele junge Leute ihr Abitur oder Fachabitur glänzend schaffen, obwohl sie aus Verhältnissen stammen, die oft als bildungsfern bezeichnet werden. Dabei sind gute Noten für uns keineswegs das einzige Kriterium für eine Förderung. Wir schauen uns genau an, unter welchen Umständen es ein Bewerber bis zum Abschluss gebracht hat", sagt Dr. Wolfgang Jäger. "Gleichzeitig hat uns alarmiert, wie hoch selbst für diese Talente die Hürden auf dem Weg zur Hochschule sind. Wir haben es in den Auswahlgesprächen hunderte Male gehört: Studiengebühren zahlen zu müssen und die Aussicht, nach einem Studium mit hohen Schulden dazustehen, weil einen die Eltern nicht finanziell unterstützen können, wirkt extrem abschreckend."
"Demokratische und soziale Hochschule" - ein Leitbild entsteht
Mehr Chancengerechtigkeit beim Hochschulzugang ist auch ein zentrales Thema bei der Entwicklung eines Leitbildes für eine demokratische und soziale Hochschule. Neben der sozialen Öffnung der Hochschule sollen mit dem Konzept aber noch weitere Ziele erreicht werden: Eine Öffnung für qualifizierte Berufstätige, eine Studienreform zur Verbesserung der Qualität von Lehre und Studium, neue Formen der Partizipation aller am Wissenschaftsprozess Beteiligten, eine sozial gerechte Studienfinanzierung und die Sicherung der Eigenständigkeit des Wissenschaftssystems. All diese Themen werden auf dem 2. Hochschulpolitischen Forum von Wissenschaftlern und Bildungspraktikern diskutiert. In den kommenden Monaten werden sich daran eine Expertenbefragung und ein breiter Dialog anschließen.
http://www.boeckler.de/320_92707.html - PM mit Ansprechpartnern
http://www.boeckler.de/274.html - Die Studienföderung der Hans-Böckler-Stiftung
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Wirtschaft
überregional
Studium und Lehre, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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