In keinem anderen Land der Welt sind so viele Produkt- und Markenpiraten tätig wie in China. 71% aller Plagiate kommen laut dem Verband deutschen Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA) von dort. Aus welchen Gründen ist die Fälschungsindustrie in China so stark? Warum bleibt das Vorgehen chinesischer Gerichte weitestgehend erfolglos? Und welche Strategien können deutsche Unternehmen anwenden, um Umsatzeinbußen und Imagerisiken durch gefälschte Plagiate zu reduzieren? Mit diesen Fragen haben sich zwei Wissenschaftler der Hochschule Darmstadt in einer Studie zur chinesischen Produkt- und Markenpiraterie in China beschäftigt.
Autoren der Studie sind der Jurist Prof. Dr. Rainer Erd und der Betriebswissenschaftler Prof. Dr. Michael Rebstock. Mitgearbeitet haben Nadine Kilper und Michael Benske. Die Studie trägt den Titel "Probleme der Rechtsdurchsetzung des Urheber-, Marken-, und Patentrechts in China
und deren Auswirkungen auf die Marktstrategie deutscher Unternehmen".
In der Studie wird deutlich, dass die von der Raubkopieindustrie verursachten volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Schäden durch die illegale Fälschung von Produkten und Markenzeichen beträchtlich sind. Aus Unternehmenssicht fallen Umsatzeinbußen der Originalhersteller, Verlust von Marktanteilen, Kosten für Schutzmaßnahmen und Rechtsverfahren sowie die Entwertung von Marken und Imageverlust an. Die Folge sind die Vernichtung von Arbeitsplätzen, Steuerausfälle für den Staat und Rückgänge der Beiträge zur Sozialversicherung. Für Deutschland schätzt das Bundesministerium der Justiz den entstandenen Schaden auf 25 Milliarden € pro Jahr. 70.000 Arbeitsplätze fielen in Deutschland dadurch jährlich weg.
Hinzu kämen Auswirkungen für Mensch und Umwelt, Gefahr für Leib und Leben der Konsumenten und Missachtung von Umweltschutzauflagen. So können gefälschte Arzneimittel, die durch Mischung oder Ersatz von Piraterieware auf den Verbrauchermarkt gelangen, Patienten das Leben kosten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt an, dass 60% der gefälschten Medikamente reine Placebos und 16% mit Giftstoffen verunreinigt sind.
China hat mit seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 die internationalen Regeln des Urheber-, Marken- und Patentrechts übernommen und weist laut Studie eine hochmoderne Gesetzgebung zur Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie auf. Dennoch könne chinesisches Recht heute nur unzureichend durchgesetzt werden. So fehlten juristisch ausgebildete Richter und Staatsanwälte, die Justiz sei politisch gesteuert. Ansätze für eine moderne Rechtsprechung, die die neuen gesetzlichen Möglichkeiten nutze, gebe es aber bereits in den großen Städten der Ostküste, Peking und Shanghai. Erschwert würde die Bekämpfung der Piraterieindustrie durch eine vielfältige Praxis lokaler Korruption, die besonders in ländlichen Regionen Richter zum Spielball von politischen Kadern und profitorientierten Unternehmern mache. Zudem würden aufgrund tausendjähriger Tradition Plagiate gesellschaftlich nicht als verwerflich, sondern als anerkennenswert betrachtet.
Weiterhin hätte die Piratenindustrie Vorteile für die chinesische Führung. Zum einen ermögliche sie ländlichen Regionen die Erhöhung ihres Lebensstandards. Zum anderen wolle sie die Zustimmung zum politischen System über die Ermöglichung von Massenkonsum der in China sehr begehrten Markenprodukte erhöhen.
Die Studie beschreibt eine große Bandbreite präventiver wirtschaftspolitischer, betriebswirtschaftlicher und technischer Maßnahmen gegen Produkt- und Markenpiraterie. Dazu gehört auch die Aufklärung. Zwar ist nach den Erfahrungen von Sonja Müller vom China Competence Center der IHK Frankfurt am Main und Darmstadt Produkt- und Markenpiraterie eines der größten Probleme für deutsche Unternehmen in China: "Jedoch fehlt oft noch ein Bewusstsein für das Problem. So wird das vorhandene Instrumentarium zum Schutz vor Verletzung geistiger Eigentumsrechte bei weitem nicht voll ausgeschöpft. Oftmals wird bereits die Anmeldung der Schutzrechte in China versäumt; den Betroffenen bleiben dann praktisch keine Handlungsmöglichkeiten. Daher ist es eine wichtige Aufgabe der IHK und Außenhandelskammern Unternehmen zu informieren und wirksame Maßnamen etwa zur technischen Sicherung der Produkte oder ständiger Marktbeobachtung aufzuzeigen."
Unter den in der Studie beschriebenen Anti-Piraterie-Strategien sind viele Maßnahmen, die Unternehmen selbst treffen können. Beispielsweise:
- Sichtbare und unsichtbare Kennzeichnungen der Originalprodukte ermöglichen es Zollbehörden an Grenzübergängen oder Messen die Fälschungen zu identifizieren und aus dem Verkehr zu ziehen.
- Ein Direktvertrieb der Produkte in Factory Outlets lässt mögliche Sicherheitslücken gar nicht erst entstehen, da die Produkte direkt vom Produzenten in dessen Verkaufsstätten weitergegeben werden und nicht in Hände von unseriösen Zwischenhändlern geraten können.
- Die "Ein-Haus-Produkt-Strategie" verringert mit der Konzentration von Entwicklung, Produktion und Vertrieb an innerdeutschen Standorten die Gefahr des Know-how-Abflusses. Bei der Auslagerung von Fertigungsstätten nach China oder der Vergabe von EDV-Dienstleistungen und Übersetzungen an externe Mitarbeiter steigt dagegen die Gefahr des Diebstahls geistigen Eigentums.
Die Geschäftsführung des Unternehmens Koziol wurde von den h_da-Wissenschaftlern für die Studie befragt. Den entgangenen Umsatz durch gefälschte Produkte gibt die Geschäftsführung mit mehreren Millionen Euro an. Der Erbacher Hersteller, bekannt für das außergewöhnliche Design seiner Haushalts- und Büroprodukte, zieht Vorteile für die Eindämmung der Produktpiraterie aus seiner Konzentrierung auf den Standort Deutschland. Thorsten Muntermann, Koziol-Geschäftsführer: "Authentizität ist der beste Kopierschutz. Plagiate werden auch in Zukunft nicht zu verhindern sein, jedoch kann sich die Marke Koziol auf Stärken berufen, die nicht kopierbar sind. Ein unschlagbarer Vorteil ist die eigene Herstellung in Deutschland. Von der Idee bis zur Vermarktung, von der Produktion bis zum Versand kommt alles aus einem Haus. Dies ist ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil, der dem Kunden eine hohe und vor allem nachvollziehbare Produktqualität garantiert - ohne Schadstoffe, ohne Kinderarbeit, ohne Umweltzerstörung."
Die Frage nach der Zukunft der Raubkopieindustrie in China beantworten die Autoren der Studie mit verhaltenem Optimismus. Prof. Dr. Rainer Erd: "Es spricht vieles dafür, dass in den nächsten Jahrzehnten ein Wandel Chinas zu einer weitgehend raubkopiefreien Ökonomie zu erwarten ist. Zum einen ist dies ein Trend, der sich in Taiwan und Japan, die in einer vergleichbaren Lage waren, beobachten lässt. Zum anderen wird das heute noch rückständige Gerichtswesen in einem Jahrzehnt einem modernen, von qualifizierten Juristen geleiteten System gewichen sein. Obendrein wird mit wachsendem wirtschaftlichem Wohlstand in China das Interesse an Originalprodukten zunehmen, wie sich schon heute in den großen Städten des Ostens beobachten lässt, in denen in den letzten Jahren ein wohlhabender Mittelstand entstanden ist."
Ansprechpartner zum Thema
Prof. Dr. Rainer Erd
Fachgebiet Recht
Hochschule Darmstadt
Haardtring 100 D-64295 Darmstadt
erd@h-da.de www.h-da.de
Tel +49.6151.16-8738
Mobil +49.171.283 12 59
Prof. Dr. Michael Rebstock
Fachgebiet Betriebswirtschaftslehre, betriebliche Informationsverarbeitung
Hochschule Darmstadt
Schöfferstr. 10 D-64295 Darmstadt
michael.rebstock@h-da.de www.h-da.de
Tel +49.6151.16-9300 /-8392
Sonja Müller
Head, China Competence Center
IHK Frankfurt am Main & Darmstadt
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Katrin Bode
Public Relations
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Informationstechnik, Politik, Recht, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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