Fünf Jahre lang frei forschen können: VolkswagenStiftung bewilligt rund 2,2 Millionen Euro für vier neue Schumpeter-Fellowships
Welche Möglichkeiten bietet das Electronic Government gerade älteren Mitbürgern? - Wie kann es dazu kommen, dass in den USA die ideologische Polarisierung der Gesellschaft zunimmt, wohingegen sie sich in Westeuropa permanent zu verringern scheint? - Welche Chancen und Risiken bieten Innovationen in der Nano-Medizin und wie wird das neue Wissen in der Gesellschaft aufgenommen? - Welchen Bedingungen unterliegt sozial verantwortliches Investieren, das sich nicht allein auf kurzfristige Profitmaximierung ausrichtet? - All dies sind Fragen von großer wissenschaftlicher Tragweite, deren Beantwortung auch die Gestaltung unserer Lebenswelten beeinflusst.
Mit ihnen ist zugleich das Spektrum jener Fragestellungen skizziert, denen sich drei Nachwuchswissenschaftler und eine Nachwuchswissenschaftlerin in den kommenden Jahren widmen: Die VolkswagenStiftung stellt insgesamt rund 2,2 Millionen Euro für vier weitere Schumpeter-Fellowships bereit. In einer ersten Runde Anfang 2008 haben sieben Fellows ihre Arbeit aufnehmen können. Mit den Schumpeter-Fellowships - benannt nach Joseph Alois Schumpeter, einem der renommiertesten Nationalökonomen des 20. Jahrhunderts - werden exzellente junge Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaftler unterstützt, die einzeln oder in kleinen Gruppen mit ihren Projekten Neuland erschließen. Die vier neuen Fellowships stellen wir nachfolgend ausführlicher vor:
1. Mit 559.300 Euro gefördert wird Dr. Stefanie Hiß vom Institut für Soziologie der Universität Jena; ihr Thema: "Nachhaltigkeit und Finanzmarkt - Institutionelle Arrangements und Perzeptionsmuster".
2. Mit 567.000 Euro fördert die Stiftung Dr. Björn Niehaves vom European Research Center for Information Systems der Universität Münster; sein Thema: "Electronic Government in einer alternden Gesellschaft".
3. Mit 531.000 Euro unterstützt wird das Vorhaben von Dr. Torben Lütjen vom Institut für Deutsches und Europäisches Parteienrecht und Parteienforschung der Universität Düsseldorf; sein Thema: "Das Ende vom Ende der Ideologien? Ideologische Polarisierung in den USA im Kontext westeuropäischer Entideologisierungsprozesse".
4. Mit rund 535.000 Euro gefördert wird Michael Schillmeier, Ph.D., vom Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München; sein Thema: "Innovationen in der Nanomedizin - Eine Analyse der Wissens- und Technikgenese interdisziplinärer Forschungspraxis".
Es folgen weitere Informationen zu diesen Projekten.
Zu 1. Sozial verantwortliches Investieren
Seit Monaten beschäftigt uns die Finanzkrise - viel war in den Medien von gierigen Bank- und Fondsmanagern die Rede, allenthalben wurden strikte Regeln gefordert. Diese Ereignisse verleihen dem Projekt von Dr. Stefanie Hiß von der Universität Jena eine besondere Aktualität. Die Soziologin wird in ihrem Schumpeter-Fellowship die Beziehung zwischen den Finanzmärkten und Vorstellungen von Nachhaltigkeit näher untersuchen. Das "sozial verantwortliche Investieren", das Nachhaltigkeit zu einem Entscheidungskriterium für Kapitalanlagen macht, verbindet zwei Sphären, die auf den ersten Blick nur wenig miteinander zu tun haben. Denn auf dem Finanzmarkt dominieren zumeist kurzfristige Strategien der Profitmaximierung. Der Gedanke der "Nachhaltigkeit" dagegen stammt aus dem umweltpolitischen Diskurs und hat den langfristigen Erhalt unserer Lebensgrundlagen zum Ziel. Wie können diese so unterschiedlichen Konzepte zusammenpassen?
Stefanie Hiß wird sich ihrem Thema aus soziologischer Perspektive und im internationalen Vergleich nähern. Welchen Mechanismen unterliegen Instrumente wie "Rating", "Accounting" und Aktenindizes einerseits im nachhaltigen, andererseits im konventionellen Finanzmarktsegment? Wie reagieren die Medien, die Politik und die Zivilgesellschaft auf bestimmte Phänomene im Finanzmarkt wie die 2007 ausgelöste US-Hypothekenkrise? Wie positionieren sich Unternehmen und Investoren im Spannungsfeld zwischen kurzfristiger Profitsteigerung und nachhaltigem Wirtschaften? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, zieht die Wissenschaftlerin verschiedene Methoden heran: Expertenbefragungen, Medienanalysen sowie Auswertungen von Parlamentsdebatten in Deutschland und Großbritannien. Zudem plant Stefanie Hiß Forschungsaufenthalte in den USA und Großbritannien, um unterschiedliche Varianten des Kapitalismus vergleichen zu können. Aus der Zusammenschau der Ergebnisse soll ein umfassendes Bild der institutionellen Arrangements sowie der gesellschaftlichen Wahrnehmung dieser neuen Konzepte entstehen.
Kontakt:
Dr. Stefanie Hiß
Telefon: 03641 219069
E-Mail: stefanie.hiss@uni-bamberg.de
Zu 2. Verwaltung ohne Papier? Perspektiven für Senioren im Internet
Online einkaufen, Online-Banking und nun auch Electronic Government, um kommunale Verwaltungsdienstleistungen abzuwickeln - immer mehr Prozesse des menschlichen Alltags lassen sich über das Internet regeln. Gerade für ältere Menschen, die häufig nicht mehr so mobil sein können wie Jüngere, bietet dies vielfältige Möglichkeiten, das Leben auch weiterhin aktiv zu gestalten. Doch gerade sie nutzen Online-Angebote sehr viel weniger als der Rest der Bevölkerung. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung zielt das Projekt von Dr. Björn Niehaves von der Universität Münster genau auf diese Lücke zwischen Realität und Potenzial.
Drei Forschungsfragen möchte der Wissenschaftler mit seinem Schumpeter-Fellowship, das Konzepte, Befunde und Methoden der Wirtschaftsinformatik sowie der Politik- und Verwaltungswissenschaften verbindet, beantworten:
- Welche Handlungspotenziale bieten sich insbesondere deutschen Kommunalverwaltungen, um den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu begegnen?
- Welche konkreten Projekte zum demografieorientierten Electronic Government existieren bereits auf kommunaler Ebene, wie lassen sie sich charakterisieren und unter welchen Bedingungen lassen sich Erfahrungen auf andere Fälle übertragen?
- Wie verhält sich die Politik zum Electronic Government - auf europäischer sowie deutscher Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene -, und in welcher Beziehung stehen diese Inhalte zueinander?
Um diese Fragen zu beantworten, greift der Wirtschaftsinformatiker und Politikwissenschaftler auf Literaturanalysen, Datenbank- und Web-Recherchen sowie Experteninterviews zurück. Zudem möchte er die hiesige Situation aus international vergleichender Perspektive untersuchen. Das Projekt soll in einen Leitfaden münden, der deutschen Kommunalverwaltungen Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung eines demografieorientierten Electronic Government aufzeigt.
Kontakt:
Dr. Björn Niehaves
Telefon: 0251 83 38087
E-Mail: bjoern.niehaves@ercis.uni-muenster.de
Zu 3. Das Ende der Ideologien oder: Totgesagte leben länger
Konservativ, liberal, progressiv? Diese politischen Begriffe haben heute viel von ihrer einstigen Unterscheidungskraft eingebüßt. Die großen Volksparteien erscheinen den Menschen einander immer ähnlicher, entsprechend wählen sie mal diese, mal jene Partei und sind der Politik nicht selten überdrüssig. - All diese Indikatoren scheinen die sozialwissenschaftliche Rede vom "Ende der Ideologien" zu unterstützen. Als Auslöser werden häufig Modernisierungsprozesse betrachtet, die eine Loslösung des Individuums aus sozialen Strukturen und klassischen Rollenmustern bedingen. Doch gibt es zumindest einen Fall westlicher Demokratien, der sich dieser Tendenz scheinbar entzieht: die USA. Dort hat die Identifikation der Wähler mit den Parteien in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen, die programmatischen Unterschiede zwischen den Lagern sind signifikant gewachsen. Wie kam es zu dieser besonderen Entwicklung? Dieser Frage wird Dr. Torben Lütjen von der Universität Düsseldorf, der selbst für ein Jahr Forschungsstipendiat an der University of California in Berkeley war, mit seinem Schumpeter-Fellowship nachgehen.
Dabei möchte der Politikwissenschaftler näher untersuchen, ob nicht womöglich gerade jene Faktoren, die in Westeuropa eine Aufhebung weltanschaulicher Abgrenzung bewirken, in den USA zu einer ideologischen Polarisierung führen: die verstärkte Mediennutzung und die zunehmende geografische Mobilität. Offenbar werden besonders jene Medien genutzt, die den eigenen Einstellungen nahe sind, und Wohnorte bevorzugt, an denen das politische Umfeld den eigenen Vorstellungen entspricht. Beim Vergleich von Westeuropa mit den USA will Lütjen daher den Blick vor allem auf vier Themenfelder richten: die "konservative Revolution" in den USA; Parteien und Interessengruppen; das Mediensystem - sowie die Folgen geografischer Mobilität auf kulturelle Ausschließungspraktiken. Dabei nutzt er einen "Methodenmix" aus Experteninterviews und Rezipientenstudien.
Kontakt:
Dr. Torben Lütjen
E-Mail: torben.luetjen@uni-duesseldorf.de
Zu 4. Nano verbindet?
Die Nanotechnologie gilt als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Sie erschließt dem Menschen die Welt der allerkleinsten Dinge - ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters. Anwendungen entstehen auch in der Medizin. Solche Neuerungen bergen sowohl Chancen auf verbesserte Diagnose- und Therapieverfahren als auch gesellschaftliche Folgeprobleme. Der Soziologe Michael Schillmeier, Ph. D., von der Ludwig-Maximilians-Universität München möchte daher möglichst konkret und fallbezogen untersuchen, mit welchen Chancen und Risiken Innovationen in der Nano-Medizin verknüpft sind und wie Erkenntnisse auf diese Technologien selbst zurückwirken.
Dabei zeichnet die Nano-Medizin aus, dass sich in ihr unterschiedliche Disziplinen und Forschungstraditionen verbinden und die Technologien zudem an der Schnittstelle von Körper, Technik und Gesellschaft ansetzen. Entsprechend sind unterschiedliche Akteure betroffen, deren Zusammenarbeit im Zentrum dieses Projekts steht. Drei Schwerpunkte setzt der an der Lancaster University in Großbritannien promovierte Wissenschaftler:
- Ein Fokus liegt auf der tatsächlichen Laborarbeit mit Nano-Materialien und -Technologien in der Medizin. Wie entstehen im Rahmen der interdisziplinären Arbeit neue Objekte und neues Wissen? - Michael Schillmeier wird ausgewählte Labore mehrere Monate lang ethnografisch begleiten, um so die dort ablaufenden Vermittlungs- und Übersetzungsprozesse nano-wissenschaftlicher Praxis beschreiben zu können.
- Zudem wird er untersuchen, wie nano-medizinisches Wissen aus dem Labor in die Gesellschaft gelangt und diese verändert: Wie reagieren Gesundheitswesen, Politik, Ethik und Ökonomie auf die Innovationen? Verändern sie die medizinische Praxis? Wer profitiert vom Nano-Fort¬schritt und wer wird ausgeschlossen? Mit Experteninterviews, Diskurs- und Praxisanalysen will Schillmeier Antworten auf diese Fragen finden.
- Die neuen Erkenntnisse möchte er im Rahmen von transdisziplinär ausgerichteten Workshops, in Fokusgruppen und über virtuelle, internetbasierte Foren zur Diskussion stellen.
Kontakt:
Michael Schillmeier, Ph.D.
Telefon: 089 21805937
E-Mail: m.schillmeier@lmu.de
Kontakte
VolkswagenStiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Christian Jung
Telefon: 0511 8381 380
E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de
Schumpeter-Fellowships
Prof. Dr. Hagen Hof
Telefon: 0511 8381 256
E-Mail: hof@volkswagenstiftung.de
Der Text der Presseinformation sowie Bilder stehen im Internet zur Verfügung unter <http:// www.volkswagenstiftung.de/service/presse.html?datum=20090227>
http://www.volkswagenstiftung.de/service/presse.html - Bilder zur Pressemitteilung
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Informationstechnik, Politik, Recht, Wirtschaft
überregional
Forschungsprojekte, Personalia
Deutsch
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