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09.03.2001 08:52

Auch Lehren will gelernt sein

Susanne Liedtke Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Sportangebote, Betreuung am Nachmittag, Naturerfahrung im Schulgarten und auf Reisen, Einbeziehung der Eltern und Schülermitverantwortung - was wie das Konzept einer modernen Ganztagsschule klingt, sind Ideen, die Karl Volkmar Stoy (1815-1885) bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in Jena in die Tat umsetzte. Die Jenaer Erziehungswissenschaftlerin PD Dr. Rotraud Coriand legt in ihrer jetzt erschienenen Habilitationsschrift eine umfassende Darstellung des Wirkens Stoys vor. "Er hat hier in Jena Universitäts- und Schulgeschichte geschrieben", resümiert Coriand.

    Jena (09.03.01) In der Publikation entwickelt sie die Stoysche Idee der Pädagogischen Bildung in ihrer theoretischen Dimension und porträtiert das Jenaer pädagogische Seminar einschließlich seiner Übungsschule. "Es ist einmalig, was Stoy für die Lehrerbildung in Jena geleistet hat", lautet ein Fazit der Privatdozentin in ihrem Buch "Karl Volkmar Stoy und die Idee der Pädagogischen Bildung".

    "Die Forderung nach pädagogischer Professionalität, war damals ausgesprochen ungewöhnlich", betont sie. Vorherrschend war die Meinung, dass sich angehende Lehrer ausschließlich ihrem Fachstudium zu widmen hätten und dass die erzieherischen Fähigkeiten doch mehr oder weniger bei jedem Menschen natürlicherweise vorhanden seien.

    Stoy hingegen legte größten Wert darauf, dass Studenten von Anfang an auch praktische Erfahrungen sammelten und richtete daher 1844 in Jena ein Pädagogisches Universitätsseminar ein, zu dem eine Volksschule als Übungsanstalt gehörte. Dort erteilten die künftigen Lehrer nicht nur einzelne Stunden, sondern verantworteten zusammenhängenden Unterricht, den sie regelmäßig auf der Grundlage von gezielter Selbst- und Fremdbeobachtung beurteilten.

    Heute kommt die Verbindung von Theorie und Praxis nach Ansicht Rotraud Coriands, die selbst als Lehrerin gearbeitet hat, im Pädagogikstudium zu kurz. "Die Universitäten berücksichtigen diesen Aspekt zum Beispiel in der Ausbildung der Gymnasiallehrer zuwenig", gibt sie zu bedenken. Auch die in Jena praktizierte universitäre Lehrerbildung bereitet angehende Pädagogen nicht angemessen auf den Schulalltag vor. "Wenn man erst im Referendariat feststellt, dass einem die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen nicht liegt, dann ist das sehr spät".

    Stoys Studenten erlebten eine Schule, die mehr darstellte, als nur reine Wissensvermittlungsstätte. Er prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des "Schullebens". Demgemäß wurde der Unterricht ergänzt durch Reisen, sogenannte Vereinsarbeit, Feste und Sportveranstaltungen, zu denen er auch die Eltern einlud. Ein Spielplatz und der Schulgarten waren ganztags für die Schüler geöffnet, denn die Zöglinge stammten aus sehr armen Verhältnissen, in denen beide Eltern für den Lebensunterhalt zu sorgen hatten und deshalb nicht immer ihre Kinder ausreichend betreuen konnten.

    Für die Lösung heutiger Probleme könne man aus der Beschäftigung mit Karl Volkmar Stoy zwar viele Anregungen mitnehmen, meint die Erziehungswissenschaftlerin, aber als Patentrezept taugen die Konzepte von einst nicht. Coriand versteht ihre Arbeit in erster Linie als Grundlagenforschung, die sie ab Juni 2001 aufgrund ihrer erfolgreichen Drittmitteleinwerbung intensivieren kann.

    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligte ein über zwei Jahre laufendes Projekt, in dem Coriand zusammen mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern und zwei studentischen Hilfskräften eine Gesamtdarstellung der pädagogischen Denker in der Nachfolge Herbarts (1776-1841) einschließlich ihrer Lehren erarbeiten wird. Stoy gilt als ein Hauptvertreter dieser pädagogischen Strömung.

    "Obwohl die Pädagogik vor allem den Herbartianern ihre Etablierung an den Universitäten verdankt, wird ihnen von Seiten der Geschichtsschreibung erstaunlicherweise kaum Beachtung geschenkt", sagt Coriand. Darin sieht sie sowohl eine historische Lücke als auch ein Forschungsdefizit hinsichtlich der Beurteilung pädagogischer Theorieentwicklung. Nicht zuletzt reagiere sie mit dem Projektvorhaben auf das große internationale Interesse an der Herbartianismusforschung, so Coriand: "Die Herbartianer waren weltweit in nahezu allen Bereichen der pädagogischen Theorie und Praxis präsent und führten nicht etwa nur ein Nischendasein".

    Ansprechpartnerin:
    PD Dr. Rotraud Coriand
    Institut für Erziehungswissenschaften
    Tel.: 03641/ 9 45314
    Fax: 9 45312
    E-Mail: src@uni-jena.de

    Literatur: Rotraud Coriand: "Karl Volkmar Stoy und die Idee der Pädagogischen Bildung". Band 22 der Reihe "Erziehung - Schule - Gesellschaft". Ergon Verlag, Würzburg. 370 Seiten, 89,- DM


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-jena.de/erzwiss/herstart.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Pädagogik / Bildung
    regional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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