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22.04.2009 13:05

Die Praxis der Wiedergutmachung

Boris Spernol Referat Öffentlichkeitsarbeit
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Neuer Sammelband präsentiert die Ergebnisse eines deutsch-israelischen Forschungsprojekts

    Jena/Berlin (22.04.09) "Die Praxis der Wiedergutmachung" lautet der Titel eines soeben im Wallstein-Verlag erschienenen Sammelbandes, den Prof. Dr. Norbert Frei, Lehrstuhlinhaber für Neuere und Neueste Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena, gemeinsam mit Prof. Dr. José Brunner (Tel Aviv) und Prof. Dr. Constantin Goschler (Bochum) herausgegeben hat und der die Erträge eines mehrjährigen deutsch-israelischen Forschungsprojektes präsentiert. Im Beisein von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert und des ehemaligen israelischen Botschafters in Deutschland, Shimon Stein, ist das Buch am heutigen Mittwoch (22.04.) im Jüdischen Museum Berlin vorgestellt worden.

    Die in dem neuen Band versammelten Studien liefern ein ebenso reichhaltiges wie komplexes Bild der Praxis der Wiedergutmachung. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen den Gerechtigkeitserwartungen der einstigen Verfolgten und den Gesellschaften, in denen sie Leistungen erhielten. Der Blick richtet sich auf die Erfahrungen der verschiedenen Verfolgtengruppen, aber auch auf die vielfältigen Akteure der Entschädigung in Deutschland und Israel. Mit dieser doppelten Perspektive leistet der Band nicht zuletzt einen Beitrag zur Bestimmung aktueller Chancen und Grenzen einer Bewältigung historischen Unrechts durch bürokratische und rechtliche Verfahren.

    Die Praxis der Wiedergutmachung in der Bundesrepublik wurde erst skandalisiert und dann erforscht. Über Jahrzehnte hinweg war die Anprangerung von Missständen, Lücken und Ungerechtigkeiten dieses bereits seit 1945 auf Geheiß der Alliierten in Gang gesetzten Unterfangens stets beides: Medium bundesrepublikanischer Kontinuitätskritik, aber auch ein integraler Teil des gesellschaftlichen Selbstaufklärungsprozesses über die nationalsozialistische Vergangenheit. Entsprechend wurde die Geschichte der Entschädigung für NS-Verfolgte in wachsendem Maße als eine Geschichte des Ungenügens, ja des Scheiterns begriffen.

    Die Herausgeber sprechen von "komplizierten Lernprozessen": So sei die Geschichte der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts als eine über Jahrzehnte sich erstreckende "work in progress" zu verstehen. Diese Arbeit hat eine Reihe unterschiedlicher - sowohl widersprüchlicher als auch sich ergänzender - Lernprozesse bei allen involvierten Parteien, Individuen und Institutionen bedingte und dabei zunehmend politische und gesellschaftliche Aneignung und Anerkennung erfahren. Das macht es plausibel, die Praxis der Wiedergutmachung auch als eine Form von "transitional justice" zu begreifen, von der seit dem Ende der Teilung Europas, aber auch angesichts neuer Genozide oder genozidaler Entwicklungen so viel die Rede ist.

    Stimmen aus der politischen Soziologie und der Politikberatung versuchen inzwischen, die deutsch-israelischen Wiedergutmachungsbeziehungen als ein universalisierbares Modell postdiktatorialer und postgenozidaler Konfliktbewältigung zu lesen. Als Historiker konstatieren die Herausgeber in ihrer gemeinsamen Einleitung jedoch, dass die Wiedergutmachung als Patentrezept nicht tauge. Die Untersuchung ihrer Praxis erweise sich als eine "Geschichte von ganz eigner Dignität", denn sie sei einerseits "voller ernst gemeinter Bemühungen vieler Beteiligter, den Opfern der NS-Verfolgung zu ihrem Recht zu verhelfen und Genugtuung zu verschaffen", andererseits "aber auch gespickt mit Blindheit und Engstirnigkeit, voller Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten, die oft noch dort entstanden, wo man ihrer abzuhelfen gedachte".

    Norbert Frei, geb. 1955, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Leiter des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.
    José Brunner, geb. 1954, Professor an der Buchmann Fakultät für Rechtswissenschaft und dem Cohn Institut für Wissenschaftsgeschichte und -philosophie der Universität Tel Aviv; Direktor des Minerva-Instituts für deutsche Geschichte.
    Constantin Goschler, geb. 1960, Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum.

    Norbert Frei/José Brunner/Constantin Goschler (Hrsg.): Die Praxis der Wiedergutmachung. Geschichte, Erfahrung und Wirkung in Deutschland und Israel, Göttingen 2009 (Wallstein), 52 Euro, ISBN 978-3-8353-0168-9

    Kontakt:
    Kristina Meyer M.A.
    Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts
    Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Zwätzengasse 3, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944450
    E-Mail: Jena.Center[at]uni-jena.de

    Rezensionsexemplare:
    Monika Meffert
    Wallstein Verlag, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 0551 / 5489811
    E-Mail: mmeffert[at]wallstein-verlag.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-jena.de


    Bilder

    Cover des neuen Bandes.
    Cover des neuen Bandes.

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Politik
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Cover des neuen Bandes.


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