Wissenschaftler der Universität Jena legt neues Handbuch "Praktische Religionswissenschaft" vor
Jena (04.08.09) Die Medien spiegeln es Tag für Tag wider: Einerseits durchdringen sich die Religionen in einer immer globaleren Welt, profitieren die Menschen vom friedlichen Mit- und Nebeneinander. Andererseits bekämpfen sie sich im Namen ihres Gottes bis hin zu Terroranschlägen und kriegerischer Auseinandersetzung. Letzteres basiere zumeist auf "einem bequemen Auswahlverfahren ohne fundiertes Grundwissen", macht Prof. Dr. Udo Tworuschka von der Universität Jena deutlich. Als wissenschaftliche Antwort darauf nennt er die neue Disziplin Praktische Religionswissenschaft. Dabei handelt es sich um eine interdisziplinär orientierte Wissenschaft, die die reale Gegenwart analysiert und versucht, im Interesse gegenseitigen Verstehens praxisnahe Lösungen für ein Leben jenseits von Terror und Krieg anzubieten.
Gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Klöcker von der Universität Köln hat der Jenaer Lehrstuhlinhaber für Religionswissenschaft das Handbuch "Praktische Religionswissenschaft" herausgegeben. Über eigene Beiträge hinaus konnten die Editoren weitere 18 Wissenschaftler verschiedener Disziplinen gewinnen, die den Lesern zum einen theoretische, methodische und inhaltliche Grundlagen der Praktischen Religionswissenschaft vermitteln, zum anderen verschiedene Forschungs-, Handlungs- und Berufsfelder in diesem Kontext ausloten. Dabei reicht das Spektrum von Alltagssprache und Medien über Kultur, Sport und Tourismus bis hin zu Wirtschaft und Politik, schließt interreligiöses Lernen, selbst das Begleiten von Kranken und Sterbenden ein.
Der Begriff "Praktische Religionswissenschaft" ist neu und wird von Prof. Tworuschka gegenüber dem Begriff "Angewandte Religionswissenschaft" bevorzugt. Er trage der aktuellen Entwicklung Rechnung, denn Praktische Religionswissenschaft verstehe sich als Verbund aus verschiedenen Wissenschaften. Sie überschreite Grenzen beispielsweise zwischen Religions- und Sozialwissenschaft, Sprach- und Kulturwissenschaft, Psychologie, Angewandter Ethik und Praktischer Theologie. Vor dem Hintergrund humanitärer Bildung sei es Ziel, Zusammenhänge zu entdecken und Modelle für ein praktisches Handeln zu entwickeln. "Die Religionswissenschaft kann ihre Kompetenzen beispielsweise in Hilfswerken, sozialen Diensten und religiösen Beratungsstellen einbringen", umreißt der Jenaer Wissenschaftler mögliche Aufgabenfelder. Ziel sei das bessere Verständnis der verschiedenen Religionen und der von ihnen (mit-)geprägten Kulturen, um auf diese Weise vorhandene Vorurteile abzubauen. Wer eigene, ganz praktische Erfahrungen mit fremden Kulturen mache, lerne sie besser zu verstehen.
In ihren einzelnen Beiträgen im ersten Hauptteil des Handbuches setzen sich die Autoren unter anderem mit kritischer angewandter bzw. qualitativer Religionsforschung, Religionskritik, feministisch orientierter Religionswissenschaft in der gesellschaftlichen Praxis sowie der Erforschung von visuellen und hörbaren Aspekten von Religionen auseinander. Prof. Tworuschka tritt gegenüber der von ihm als ,taub' empfundenen Religionswissenschaft im Rahmen der Religionsästhetik für einen "auditive turn" ein, welcher dem Hören einen erheblich größeren Spielraum in der Forschung zumisst. Ein weiterer Hauptteil beleuchtet die verschiedenen Forschungs- und Handlungsfelder. Einzelne Artikel untersuchen die unterschiedlichen Möglichkeiten der Kommunikation, ohne die Religion nicht bestehen kann. Religionen brauchen Medien, das widerspiegeln die Alltagssprache wie die Printmedien, der Hörfunk, Film und Fernsehen. Sie alle böten reichlich Material für das Erforschen seitens der Praktischen Religionswissenschaft, betont Udo Tworuschka. Nicht zu vergessen das Internet, das sich dynamisch entwickelt habe, sowie Museen und ihre Ausstellungen als ein Treffpunkt zwischen den Kulturen. Hinterfragt werden des Weiteren das Verhältnis der Religionen zum modernen Sport und zum Tourismus. Ein Beitrag erörtert Fragen der Beziehungen zwischen Wirtschaft, Ethik und Religionen, ein weiterer den Umgang der Religionswissenschaft mit internationalen Konflikten.
Der Schlussteil rückt interreligiösen Dialog und interreligiöses Lernen ins Blickfeld. Grundüberlegungen stehen da neben ganz praktischen Beispielen, etwa dem interreligiösen Lernen im Kindergarten, das Kinder wie Erwachsene als Religionsforscher sieht. Eine empirische Bestandsaufnahme zum interreligiösen Lernen in den neuen Medien ergänzt diesen Teil ebenso wie die virtuelle Begegnung mit Religionen am Beispiel der fiktiven Stadt "Religiopolis", einer bereits mehrfach ausgezeichneten CD-ROM, die - multimedial animiert und mit interaktiven Softwaremodulen - Grundwissen über die fünf Weltreligionen vermittelt. Kurzviten der insgesamt 20 Autoren runden das Handbuch ab, das über Studium und Beruf hinaus auch für jeden Leser viel Wissenswertes bereithält.
Bibliographische Angaben:
Michael Klöcker, Udo Tworuschka (Hg.): Praktische Religionswissenschaft; Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln/Weimar/Wien 2008, 328 Seiten, 18,90 Euro, ISBN 978-3-8252-3165-1
Kontakt:
Prof. Dr. Udo Tworuschka
Theologische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Lehrstuhl für Religionswissenschaft
Fürstengraben 6, 07743 Jena
E-Mail: Udo.Tworuschka[at]uni-jena.de
Der Jenaer Mitherausgeber Prof. Dr. Udo Tworuschka.
Foto: Peter Scheere/FSU
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Religion
überregional
Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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