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17.04.2001 14:12

Große Werke im Sommersemester: neue Serie in der traditionellen Augsburger Literatur-Ringvorlesung

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    An sieben Mittwochabenden wird im Sommersemester 2001 die mittlerweile siebte Staffel "Große Werke der Literatur" fortgesetzt. Eingeladen vom Germanisten und Komparatisten Prof. Dr. Hans Vilmar Geppert referieren Augsburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über literarische Themen ihrer eigenen Wahl. Neben dem Hildebrandslied sind diesmal Werke von Heidegger, Thomas Mann, Adorno, Frisch, Fuentes und Morrison Gegenstand der Vorträge, die jeweils um 18.00 Uhr im Hörsaal II des Hörsaalzentrums (Universitätsstraße 10) beginnen.

    o 9. Mai 2001

    DAS "HILDEBRANDSLIED"

    Referent: Prof. Dr. Johannes Janota (Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters)
    Erläuterungen: Von der vielfältigen Tradition des germanischen Heldenlieds ist uns in deutscher Sprache nur ein einziges Beispiel überliefert: das Hildebrandslied. Sein Überleben verdankt sich allein dem Zufall - zwei Mönche des Klosters Fulda füllten damit in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts die frei gebliebenen Blätter einer lateinischen Bibelhandschrift ihrer Klosterbibliothek. Was mag der Grund für diese Aufzeichnung gewesen sein? Waren die beiden Geistlichen von der heroischen Tragik des tödlich endenden Vater-Sohn-Kampfes, über den dieses Stabreimgedicht berichtet, so fasziniert, dass ihnen nicht einmal eine Bibelhandschrift für diese Dokumentation aus heidnischer Zeit zu schade war? Oder stand dahinter ein Interesse an historischer Vorzeitkunde über Theoderich und Odoaker - wobei das historische Geschehen freilich mit literarischen Mitteln völlig auf den Kopf gestellt wurde? Gab es dafür seinerzeit ein aktuelles Interesse an einer solchen Geschichtsklitterung? Noch gewichtiger stellt sich allerdings die Frage, warum die knapp 70 Verse des zudem nur fragmentarisch überlieferten Liedes auch rund 1200 Jahre nach seiner Aufzeichnung immer noch Aktualitätswert besitzen. Die Verherrlichung des heroischen Untergangs ist uns zu Recht unverständlich geworden - vielleicht aber mutet das Hildebrandslied seinen heutigen Lesern eine neue Form von Heroik zu.
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    o 16. Mai 2001

    MARTIN HEIDEGGER "SEIN UND ZEIT"

    Referent: Prof. Dr. Severin Müller (Philosophie)
    Erläuterungen: Als 1927 Martin Heideggers frühes Hauptwerk "Sein und Zeit" erscheint, verändert sich die Landschaft philosophischen Denkens. "Sein und Zeit" eröffnet einen neuen Stil philosophischen Fragens und Denkens. Das Werk eröffnet die Sicht auf uns in unserer "Alltäglichkeit", es stellt Fragen nach dem, was wir in dieser Dimension sind. "Sein und Zeit" wendet philosophisches Denken zurück zur gängigen Erfahrung, bewegt von der Absicht, deren Feld in radikalem Sinne auszuloten: "Alltäglichkeit" in ihren grundlegenden Verhältnissen aufzudecken und ihren umgreifenden Bezügen zu sichten. So thematisiert "Sein und Zeit", was Menschen unaufhebbar betrifft: "Dasein" im Geflecht der "Welt", im Horizont der "Zeit", in der Gewissheit des "Todes". Heideggers Besinnung auf diese Bedingungen der Conditio humana aber folgt der Absicht, eine ursprüngliche Grundfrage der Philosophie neu zu stellen: Die Frage nach dem, was "Wirklichkeit" überhaupt sei - die alte und klassische Frage nach "Sein". Die Grundfrage wird nicht allein im Blick auf die alltägliche Conditio humana, im Blick auf die Möglichkeiten ihres Handelns, ihres Verstehens und ihrer Situation neu entfaltet. Mit der revolutionierten Grundfrage soll eindringlicher entdeckt werden, was "Welt", "Zeit" und "Tod" in sich tragen - gegenläufig zu Sichtverlusten tradierten Philosophierens. Im Vorhaben solcher "Aufklärung" unternimmt "Sein und Zeit" eine radikale, "dekonstruierende" Auseinandersetzung mit wegweisenden Positionen europäischer Philosophie. "Sein und Zeit", vielschichtig gebaut, komplex argumentierend, wird zu einem der maßgebenden Texte in der Philosophie des 20. Jahrhunderts.
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    o 30. Mai 2001

    THOMAS MANN "LOTTE IN WEIMAR"

    Referent: Prof. Dr. Helmut Koopmann (Neuere Deutsche Literaturwissenschaft)
    Erläuterungen: Alle späten Romane Thomas Manns sind Sprachspiele, die die jeweils gezeigte Wirklichkeit durchsichtig machen. Thomas Manns Lotte-Roman baut immer neue Theaterkulissen auf, um den großen Mann auf vielfache Weise erscheinen zu lassen, bevor er selbst erscheint. Goethe selbst tritt spät im Roman auf, und er hat mehr Freude an den Scherenschnitten als an der Wirklichkeit der dargestellten Personen, schätzt Schattenspiele mehr als Gegenwärtiges. Als kunstvoller Auftritt ist auch die Begegnung Lottes mit Goethe am Ende einer der vorangegangenen Befragungen und Projektionen inszeniert. Doch wieder interessiert sich Goethe mehr für den frühen Silhouettenschnitt Lottes als für die gealterte Geliebte aus Wetzlaer Tagen. "Dichter-Genügsamkeit" meint der getreue Riemer. Schätzt Goethe das zur Kunst Gewordene höher als alle Gegenwart? Aus dem alten Goethe spricht auch der alt gewordene Thomas Mann und Goethes schwieriges Wirklichkeitsverhältnis - es spiegelt die komplizierte Beziehung Thomas Manns zu seiner eigenen Umwelt, zu seiner Kultur, seiner Herkunft. "Lotte in Weimar" ist auch ein Emigrantenroman. Tagebucheintragungen Thomas Manns ähneln auf verblüffende Weise den Gedanken Goethes im großen "Siebenten Kapitel". Ist das Kunst-Spiel so deutlich geraten, weil auch der Emigrant Thomas Mann ein gebrochenes Verhältnis zur Wirklichkeit bekommen hat? Doch wie dem auch sei: der Roman ist ebenfalls Goethe-Nachfolge, und mit "Lotte in Weimar" hat Thomas Mann alle Konkurrenten um diese Nachfolge, vor allem Gerhart Hauptmann, endgültig aus dem Feld geschlagen. Der war in Deutschland geblieben - Thomas Mann aber hatte das bessere Deutschland mitgenommen bis hin zu jenem Ort, den man "Weimar am Pazifik" nannte: Los Angeles, USA. Aus der Sicht des Emigranten mochten die Schattenspiele, die Schattenrisse, die Silhouetten sogar höher zählen als das, was dahinter vergänglich war.
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    o 20. Juni 2001

    THEODOR W. ADORNO "MINIMA MORALIA"

    Referent: Prof. Dr. Hans Peter Balmer (Philosophie)
    Erläuterungen: Mit den "Minima Moralia" (entstanden 1944-47, erschienen 1951) hat der Sozialphilosoph und Kunsttheoretiker Adorno ein Werk geschaffen, das, in der Tradition der großen Aphoristiker und Essayisten, nun allerdings unter den spezifischen Bedingungen nach Auschwitz, in besonderer Weise geeignet ist, das moralisch-ethische Denken formal und inhaltlich anzuregen, und dies durchwegs bezogen auf eine bedeutsame Theorie der Negativität, einschließlich der Tradition der sogenannten negativen Theologie. Wo die Differenz zu bewahren im Zentrum steht und die Option, ohne Angst verschieden zu sein nach wie vor unerhört sich ausnimmt, da ist das aphoristisch-differenzielle Denken in der Tat am Platz. Philosophieren überhaupt erscheint so als ein Versuch, aus der Fühlung mit den Gegenständen heraus im Dienste genuiner Lebendigkeit unverhärtet die angemessenen Perspektiven zu gewinnen.
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    o 27. Juni 2001

    ICH IM IRREALIS. MAX FRISCH "MEIN NAME SEI GANTENBEIN"

    Referentin: Priv. Doz. Dr. Ursula Regener (Neuere Deutsche Literaturwissenschaft)
    Erläuterungen: Formal ist Max Frischs "Gantenbein"-Roman ein Produkt der 60er Jahre. Seine Poetologie des notgedrungenen Umkreisens von Erfahrungen und seine Konzentration auf eher private Tragödien korrespondieren mit dem literarischen main stream seiner Entstehungszeit, der auf die Erfahrungen von Realitätsverlust, Beziehungsunfähgkeit und Nicht-Identität angemessen zu reagieren versuchte. Frisch, der sich von Anfang an dem Bildnisverbot verschrieben hat, treibt im "Gantenbein" die alter-ego-Projektionen so auf die Spitze, dass sein "Buch-Ich" unter der Last seiner eigenen Geschichten zusammenbricht. Was sich für die deutsche Literatur wie ein Segen auswirkt, weil nach Jahren der Realismusverfallenheit die Phantasie mit ihrem Sinn für das Mögliche wieder zum Zuge kommt, stellt sich für das erzählende Ich als Selbstverlust heraus. Frisch überschreitet die Grenze der Groteske, wenn er den Leser mit der Erkenntnis konfrontiert, dass keine der entworfenen Geschichten zu einem besseren Ende geführt hätte, dass die Steigerung der Fiktivität die Fallhöhe nur vergrößert. Thematisch steht Frischs "Gantenbein" im Zentrum eines - bedingt durch biographische Konstellationen - sehr eindringlich geführten literarischen Disputs über Beziehungsfragen. Er rekurriert in seiner Utopie einer geschichtslosen Liebe auf Ingeborg Bachmanns Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan" und greift auch deren erzählerische Replik auf "Homo faber" auf. Mit "Malina" veröffentlicht die Bachmann eine literarische Gegendarstellung zu "Mein Name sei Gantenbein". Uwe Johnsons "Skizze eines Verunglückten" bezieht sich ebenso auf Frischs Roman wie Alfred Anderschs "Winterspelt". Das Unbehagen am literarischen Spiel mit Möglichkeiten als Austragungsmodus höchst persönlicher Krisen führt in den 70er Jahren nicht nur bei Frisch zum Rückzug auf die autobiographische Erzählweise. Die aus dem "Gantenbein"-Roman übernommene Montagetechnik und motivische Komposition in "Montauk" zeigen aber im Verbund mit einer distanzierten Erzählweise (Ich in der dritten Person), dass für die Restitution des Ich nicht mehr viel zu gewinnen ist.
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    o 11. Juli 2001

    CARLOS FUENTES "TERRA NOSTRA"

    Referent: Prof. Dr. Thomas M. Scheerer (Romanische Literaturwissenschaft)
    Erläuterungen: Der bekannteste Roman des Mexikaners Carlos Fuentes (geb. 1928) ist als ein Werk sui generis nicht in Gattungsschemata einzuordnen: Gewiss mag es sich auch um einen phantastisch-visionären Roman handeln, zugleich ist es aber ein geschichtsphilosophisches Werk von hohen Graden. Eine im Erscheinungsjahr noch utopische Rahmenhandlung: Apokalypse in Paris zur Jahreswende 1999/2000. Personen, nein: Figuren, gehen unter und werden in die Weltgeschichte gespült. Ein erster Teil spielt im Spanien Philipps II., "in dem fanatischer Glaubenseifer, aber auch Laster und sexuelle Abschweifungen herrschen" (Werbetext dtv). Der Bau des Escorial wird zur Allegorie für das monolithisch-imperiale Europa. Ein zweiter Teil evoziert die "andere Welt" des Mexiko in der Zeit bis zur Eroberung. Im dritten Teil führt der Weg in den Mittelmeerraum des Römischen Imperiums zurück. Fuentes versucht, der Weltgeschichte und vor allem der Geschichte Lateinamerikas eine imaginäre "zweite Chance" zu geben. Der Roman hat (meta)historische, phantastische, utopische, poetische sowie literatur- und geschichtstheoretische Aspekte, die eine Vielzahl ineinander verwobener Diskurse aufrufen. Intertextualität, Postmoderne (?), geniale Kreativität ...
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    o 25. Juli 2001

    TONI MORRISON "BELOVED / MENSCHENKIND"

    Referent: Prof. Dr. Hubert Zapf (Amerikanistik/Universität Augsburg)
    Erläuterungen: Die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison, geb. 1931 in Lorain, Ohio, die 1993 den Nobelpreis erhielt, gehört zu den profiliertesten Vertreterinnen der neueren amerikanischen Literatur. Von den sieben Romanen, die sie bisher vorgelegt hat, hat "Beloved" (1987), ins Deutsche übersetzt unter dem Titel "Menschenkind" (1989), wohl national und international die größte Resonanz sowohl beim Publikum wie bei der Literaturkritik gefunden. Der Roman behandelt das Thema der Sklaverei in den USA des 19. Jahrhunderts als ein unbewältigtes Trauma der amerikanischen Geschichte, dessen rekonstruierende Vergegenwärtigung und symbolische Aufarbeitung der Text beabsichtigt. Aufbauend auf der Form des slave narrative, nimmt er den historischen Fall einer entflohenen Sklavin, die ihre kleine Tochter tötete, um sie vor dem Zugriff der Sklavenfänger zu bewahren, als Ausgangspunkt der fiktionalen Handlung. Der Roman ruft die Schrecken des Sklavereisystems in einer bis dahin nicht gekannten Intensität in Erinnerung, wodurch die Tat mindestens ansatzweise verständlich wird, sucht aber andererseits gerade im Akt der individuellen und kollektiven Erinnerung einen Weg aus der paralysierenden Übermacht einer verdrängten Vergangenheit. "Beloved" ist ein Roman über die Schwarzen - und insbesondere die Frauen - als Opfer der Geschichte, und stellt die wohl radikalste Abrechnung mit der Sklaverei dar, die sie als amerikanischen Holocaust interpretiert. Es ist aber auch ein Roman über die Fähigkeit der Menschen, noch aus den schlimmsten Erfahrungen der Dehumanisierung ein Potential des Neuanfangs, der Kommunikation und der Wiederherstellung ihrer Menschenwürde zu gewinnen. Beeinflusst auf der einen Seite von modernen Erzählverfahren wie Bewusstseinsstromtechnik, innerem Monolog, Montage und häufigem Perspektivenwechsel, lebt der Text zugleich von der Einbeziehung spezifischer Traditionen der afroamerikanischen Literatur und Kultur, wie sich in der wichtigen Rolle des mündlichen story-telling, der Dialektsprache, der Folklore, der Musik und der mythisch-magischen Imagination zeigt. Gerade aus der spannungsvollen Mischung dieser Literaturformen, die ihn einem ,magischen Realismus' zuordnen lässt, gewinnt der Roman seine außerordentliche kreative Energie und seine Funktion als komplexes Medium kultureller Selbsterkenntnis und Selbsterneuerung.
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    KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:

    Prof. Dr. Hans Vilmar Geppert, Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft/Vergleichende Literaturwissenschaft, Telefon, 0821/598-2768, e-mail: vilmar.geppert@phil.uni-augsburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Sprache / Literatur
    regional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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