Um das "Zeitalter der Erfahrung" rankt sich der III. Internationale Kongress für Pietismusforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Ende August 2009 wird er rund 150 Wissenschaftler aus aller Welt nach Halle locken. Unter dem Titel "Aus GOttes Wort und eigener Erfahrung gezeiget" stehen etwa hundert Vorträge in sechs parallelen Sektionen und sieben Hauptvorträge auf dem Programm. Vom 30. August bis zum 2. September geht es um "Erfahrung - Glauben, Erkennen und Handeln im Pietismus". Zudem gibt es ein reiches kulturelles Beiprogramm.
Veranstalter des Kongresses ist das Interdisziplinäre Zentrum für Pietismusforschung der MLU in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus und den Franckeschen Stiftungen zu Halle. "Mit dem gewählten Themenkreis soll einerseits ein für den Pietismus in seinen historischen und regional-territorialen Ausprägungen sowie in seinen fachlich-disziplinären Ausdifferenzierungen verbindender Sachverhalt angesprochen werden", sagt Prof. Dr. Udo Sträter, Geschäftsführender Direktor des Interdisziplinären Zentrums für Pietismusforschung. "Andererseits gibt es die begründete Hoffnung, den fruchtbaren Dialog mit der Aufklärungsforschung weiter zu vertiefen."
Ob in der Theologie, in Medizin und Psychologie, in Pädagogik, den Naturwissenschaften, in Ästhetik, Literatur, Kunst und Musik: Im langen 18. Jahrhundert hatte Erfahrung, bei gleich bleibender Lexik und changierender Semantik, Konjunktur. Wesentliche Aufgabe des Kongresses wird es sein, den nicht unerheblichen, aber bislang weitgehend unerforschten Anteil, den der Pietismus an der Profilierung des 18. Jahrhunderts als Zeitalter der Erfahrung hatte, herauszuarbeiten. "Dabei ist die Spanne zwischen dem Pietismus als einer passivisch-introvertierten, auf Verinnerlichung bedachten und dem Pietismus als einer aktiv-extrovertierten, auf Menschen- und dadurch Weltveränderung zielenden Frömmigkeitsbewegung auszuschreiten", erklärt Sträter. Es ist also die Spanne zwischen pietistischer Selbst- und pietistischer Welterfahrung, die in Theorien, Projekte und Praktiken der Selbst- und Weltgestaltung mündeten.
Erfahrung soll als ein nach Innen reflektiertes und nach Außen profiliertes Argument rekonstruiert werden: Was hat der Pietismus Erfahrung genannt? Wie hat er ihr Zustandekommen erklärt? Welche wissenschaftliche, d. h. erkenntnistheoretische und -praktische Valenz, welche ethische Verbindlichkeit und moralische Leitkraft hat er ihr in welchen thematischen, fachlich-disziplinären und lebensweltlich-institutionellen Kontexten zugewiesen? Aber auch: Welche Gefahren - für die Frömmigkeit, für die Wissenschaft, für die soziale Praxis - hat er mit ihr verbunden gesehen?
Ohne Zweifel steht die für das 18. Jahrhundert auf verschiedenen Ebenen anzusetzende Frage nach Individualisierungsprozessen als Ausdifferenzierungsprozessen auch im Zeichen der Erfahrung. Zugleich mit der Ausbildung von Fächern und Disziplinen gilt dies ebenfalls für Produkte der Verschriftlichung und Veröffentlichung, d. h. für die Ausbildung von (in einem weiten Sinn) literarischen Formen, die zwischen Diskursen und Disziplinen angesiedelt sind, die keine klaren Gattungsmerkmale und Funktionen aufweisen bzw. solche erst entwickeln.
Eröffnet wird der Kongress am Sonntag, 30. August, um 15 Uhr im Freylinghausensaal der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Prof. Dr. Udo Sträter wird die Kongressteilnehmer begrüßen. Anschließend gibt es einen pietistischen Ehekrimi von Anna Magdalena und August Hermann Francke anno 1694 unter dem Titel "Ich kann vor Liebe nicht mehr (schreiben) ..." in einer szenischen Lesung durch die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Exzellenznetzwerks "Aufklärung - Religion - Wissen. Transformationen des Religiösen und des Rationalen in der Moderne". Grußworte halten Prof. Dr. Helmut Obst, Vorsitzender des Kuratoriums der Franckeschen Stiftungen zu Halle, MLU-Rektor Prof. Dr. Wulf Diepenbrock, Tobias Kogge, Beigeordneter der Stadt Halle für Jugend, Schule, Soziales und kulturelle Bildung, und Dr. Christian Bunners, Vorsitzender der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus. Den Eröffnungsvortrag hält Prof. Dr. Rudolf Dellsperger (Bern) um ca. 16.30 Uhr zum Thema "Erfahrung als Grund des Glaubens im radikalen Pietismus und in der Aufklärung". Im Anschluss musiziert das Max Brod Trio (Berlin/Prag). Erklingen wird Franz Schuberts Klaviertrio in B-dur D 898 op. 99.
(Die Schreibweise von "GOtt" im Titel des Kongresses ist historisch. Damit sollte besonderer Respekt ausgedrückt bzw. seine Erhabenheit versinnbildlicht werden.)
Der Kongress unterteilt sich in folgende Sektionen:
1. Kontexte für Konzeptualisierungen und Praktiken der Erfahrung im Pietismus
2. Theologie und Frömmigkeit, Pädagogik und Erziehung aus Erfahrung
3. Vergemeinschaftung und Institutionalisierung im Zeichen der Erfahrung
4. Lesen, Hören, Sehen als Medien und Praktiken des Erfahrens
5. Wort und Schrift, Textsorten und literarische Gattungen der Erfahrung
6. Nah- und Fernräume der Erfahrung
Tagungsgebühr: 50 Euro; 25 Euro (für Studierende)
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Udo Sträter
Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung
Telefon: 0345 55 23070 oder 55 23020
E-Mail: udo.straeter@pietismus.uni-halle.de
Internet: http://www.pietismus.uni-halle.de
PD Dr. Christian Soboth
Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung
Telefon: 0345 55-23072
E-Mail: christian.soboth@pietismus.uni-halle.de
Prof. Dr. Pia Schmid
Institut für Pädagogik der MLU
Telefon: 0345 55-23790
E-Mail: pia.schmid@paedagogik.uni-halle.de
Prof. Dr. Jonathan Strom (USA-Atlanta, GA)
(über das Zentrum für Pietismusforschung zu erreichen)
http://www.pietismus.uni-halle.de/veranstaltungen/kongress2009/kongress.htm
Plakat zum Pietismuskongress
Quelle: Abbildung: MLU, Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung
Historische Postkarte aus den Franckeschen Stiftungen zu Halle
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Pädagogik / Bildung, Religion, Sprache / Literatur
überregional
Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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