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01.09.1995 00:00

GhK zur EXPO 2000

Bernt Armbruster Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Kassel

    Mit Forschungen der GhK zur EXPO 2000

    Die Zukunft der Bioenergie hat begonnen

    Kassel/Witzenhausen. Beharrlichkeit fuehrt zum Erfolg, wie der Volksmund weiss. Im vorliegenden Fall fuehrt sie nicht nur zu verblueffenden Erkenntnissen, sondern auch zur EXPO 2000 nach Hannover. Der so naheliegende Gedanke, heimische Agrarflaechen zur Produktion nachwachsender Rohstoffe zu nutzen, hat Konrad Scheffer nicht mehr losgelassen. Die beharrliche Forschung des Professors fuer Pflanzenbau am Witzenhaeuser Fachbereich der Kasseler Universitaet findet jetzt Eingang in zwei Projekte, die zur Weltausstellung in Hannover realisiert werden sollen: im Biomasse Kraftwerk der Stadt Einbeck und in einem Vorhaben zum Trinkwasserschutz der Stadt Hannover.

    Energie aus Biomasse

    Dass wir fuer unseren wachsenden Energiebedarf neue Quellen erschliessen muessen, ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Um 10 Prozent werde der Bedarf im Weltmassstab steigen, schaetzen die Experten. Regenerative Quellen wie Sonne und Wind stehen im Mittelpunkt der Bemuehungen, dieser wachsenden Nachfrage gerecht zu werden und durch den Ersatz fossiler Brennstoffe die CO2-Emissionen zu vermindern. Die Arbeiten machen beachtliche Fortschritte. Fuer Konrad Scheffer ist der Weg allerdings zu aufwendig und zu teuer. Er baut vielmehr auf Schaetzungen, nach denen 20 Prozent des heutigen Energiebedarfs durch nachwachsende Rohstoffe erzeugt werden koennen. Biomasse auf direktem Weg oder ueber den Umweg einer stofflichen Zwischennutzung als Papier, Baustoff oder Verpackungsmaterial, schliesslich der Verbrennung in Kraftwerken zugefuehrt, ist fuer Scheffer und sein Team der ideale energetische Grundstoff. "Biomasse ist alles, was waechst", meint Scheffer und zeigt ein imposantes buntes Bild eines Rapsfeldes, das durchsetzt ist mit rotem Mohn, weissen Margariten und blauen Kornblumen. Fuer Landwirte, die bisher ohne Ruecksicht auf die oekologischen Folgen auf Nahrungsmittelertrag programmiert waren, ein grauslicher Anblick. Doch die sind nicht mehr auf der Hoehe der Zeit. Der Staat zahlt beachtliche Praemien zur Stillegung ihrer Flaechen. Draengen sich diese Felder nicht geradezu auf zur Produktion von Biomasse, anstatt den Fruchtertrag immer mehr zu intensivieren und das Stroh unterzupfluegen? Dabei muessten die Landwirte sich nicht einmal grundsaetzlich umgewoehnen. Denn die Witzenhaeuser Pflanzenbauer setzen nicht auf exotische Sproesslinge der Marke "Elefantengras", sondern vertrauen auf heimische Gewaechse. Sie empfehlen zwei Ernten im Jahr mit einer Winterpflanze wie Getreide oder Raps und der anschliessenden Aussaat einer Sommerpflanze wie Mais. Klingt ganz normal? Ist es auch; allerdings mit kleinen entscheidenden Veraenderungen, die andererseits bei konsequenter Denkweise wieder ganz nahe liegen.

    Aenderung Nummer 1: Die Ernte erfolgt vier bis sechs Wochen vor der Reife.

    Aenderung Nummer 2: Das Feld bleibt nach der ersten Ernte nicht brach liegen, sondern die Aussaat der Folgefrucht erfolgt direkt in das soeben abgeerntete Stoppelland.

    Damit haben wir nicht nur zwei "Ernten" vom selben Feld, sondern gleich mehrere oekologische Vorteile:

    - Auf den Einsatz von "Unkrautvernichtung" kann vollstaendig verzichtet werden, denn auch "Unkraeuter" sind harmlos-nuetzliche Biomasse;

    - eine Erosion unterbleibt, da der Boden staendig bewachsen ist;

    - das Auswaschen von Naehrstoffen findet dadurch ebensowenig statt und der Duengebedarf bleibt aeusserst gering.

    Stop der genetischen Erosion

    Scheffers Arbeiten koennten zudem eine Entwicklung aufhalten, die als "genetische Erosion" bezeichnet wird. War die Vielfalt der landwirtschaftlich genutzten Pflanzenarten bis 1960 noch stetig angestiegen, so ist heute durch die Konzentration des Anbaus auf wenige ertragreiche Arten die "Biodiversitaet" staendig ruecklaeufig. Verloren sind sie allerdings nicht. Etwa 60.000 Genproben lagern in der Genbank Gatersleben nahe Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. Im Rahmen einer Doktorarbeit wurden dort 1000 Arten von Roggen und Wintergerste ausgewaehlt und angebaut. 150 erwiesen sich dabei in ihrem Ertrag an Biomasse besser als moderne Zuechtungen. Anfang der 80er Jahre hatte Scheffer noch ein spezielles Anzuchtverfahren entwickelt, das es den Jungpflanzen ermoeglichen sollte, sich in der stoppeligen Umgebung ihrer gerade abgeernteten Vorgaenger besser durchzusetzen. Doch das hat sich zu aufwendig und letztlich als ueberfluessig erwiesen. Und die Witzenhaeuser Forscher neigen zu einfachen Loesungen. Vielleicht hat ihnen das anfangs immer wieder Misstrauen eingetragen. "Es muss doch auch Nachteile geben" sei ein immer wiederkehrender Einwand von Skeptikern gewesen, berichtet die Dr. Marianne Karpenstein-Machan.

    Die suedniedersaechsische Stadt Einbeck und die Landeshauptstadt Hannover sehen mittlerweile die Vorteile und lassen Felder anlegen, die nach Scheffers Methode bebaut werden. Einbeck verfolgt dabei das ehrgeizige Ziel, ein Blockheizkraftwerk zu errichten, das allein mit Biomasse befeuert wird, die auf den Feldern rund um die Stadt gewonnen wird. Aus etwa 100 ha Anbauflaeche soll damit der Waermebedarf von zwei Schulen und des Staedtischen Krankenhauses gedeckt werden. Als Mitglied des weltweiten Klimabuendnis ist die Stadt Einbeck intensiv um eine Reduzierung des Kohlendioxyds (CO2) bemueht, das fuer die gegenwaertigen Klimaveraenderungen verantwortlich gemacht wird. Da die Verbrennung von Biomasse grundsaetzlich CO2-neutral ist - bei der Verbrennung wird nicht mehr freigesetzt als die Pflanze vorher aufgenommen hat - erwartet die Stadt eine jaehrliche CO2-Einsparung von 1200 to. Im Einbecker Kraftwerk setzt man dabei auf die vorherige Vergasung der Biomasse. Zwar haben die Witzenhaeuser Forscher mit ihrem Hang zur Einfachheit in den 80er Jahren noch die Direktverbrennung bevorzugt und die Untersuchungen waren zusammen mit einer Tochterfirma der Preussag bis zu Versuchen im Kilogrammassstab gediehen, doch Scheffer praeferiert heute eindeutig die Vergasung. Damalige Probleme durch Schlackebildung moegen mittlerweile geloest sein, denn in Daenemark arbeiten mehrere Grossfeueranlagen nach dem Prinzip der Direktverbrennung, doch fuer Scheffer zaehlt die OEkologie. Gas verbrennt annaehernd rueckstandsfrei und in Grossbrennversuchen der deutschen Bundesstiftung Umwelt und des niedersaechsischen Landwirtschaftsministeriums wurden Emmissionswerte erreicht, die 50 bis 80 Prozent unter den Vorschriften fuer Grossfeueranlagen blieben.

    Silage: Entwaesserung und Reinigung

    Das dabei verwendete "Scheffersche" Material hatte dazu noch eine Sonderbehandlung erfahren. Der Wassergehalt der Biomasse wird von Kritikern haeufig als Problem gesehen. Zwar brennt auch frisches und entsprechend feuchtes Material, doch der Brennwert ist gering und die Rueckstaende hoch. Doch auch hier musste das Rad nicht neu erfunden werden, um gewuenschte Resultate zu erzielen. Scheffer lagert die Biomasse vier Wochen lang unter Luftabschluss: Altbekannte Silage. Zusammen mit einer anschliessenden mechanischen Entwaesserung sinkt der Wassergehalt des Materials auf ca. 40 Prozent. Doch die eigentlich verblueffenden Effekte dieses Prozesss fanden Scheffer und Dr. Reinhold Stuelpnagel als sie sich an die Untersuchung des "Restwassers" aus der Silage machten: Die bei der Silierung der Biomasse entstehende Milchsaeure hatte ganze Arbeit geleistet und eine Vielzahl von Mineralien aus der Pflanze geloest. Die Entfernung von Stickstoff, Kalium, Magnesium und Silizium reduziert den Aschegehalt um 50 Prozent, vermindert die Schlackebildung und reduziert die fluechtigen Anteile der Verbrennung. Als Duengung aufs Feld gebracht, koennen sie dagegen dem Naehrstoffkreislauf wieder zugefuehrt werden. Besonders interessant aber ist, dass durch die Silierung das in der Pflanze enthaltene Chlor zu 80 bis 90 Prozent entfernt wird. Damit duerfte dieser wegen seiner hohen Aggressivitaet in vielen technischen Anlagen gefuerchtete Stoff keine Probleme mehr bereiten. Doch es waere eigentlich untypisch fuer die Witzenhaeuser Forscher, wenn sie das Restwasser der Silage einfach auf das Feld zurueckkippten. Eine Anwendung ist bereits entdeckt, und sie entschaerft das Guelleproblem der Landwirtschaft in einem Teilbereich. Dass aus Guelle grosse Mengen Ammoniak freigesetzt werden, ist nicht nur empfindlichen Nasen bekannt, und dass dies die Luft verunreinigt bis zur Schaedigung von Gebaeuden beunruhigt oekologisch sensible Gemueter seit langem. Die Witzenhaeuser Forscher haben entdeckt, dass ein Teil ihres silierten Restwassers auf sechs Teile Guelle genuegt, um die Guelle im sauren Bereich zu halten, womit das Ammoniak gebunden bleibt. So reiht sich offenbar ein ueberraschender Effekt an den anderen.

    Dass die Niedersachsen mit grossen Regionen der Massentierhaltung und insgesamt intensiver landwirtschaftlicher Nutzung in Scheffers Anbaumethoden ein EXPO-faehiges Projekt zum Schutz des Trinkwassers sehen, ist ein frappierendes Beispiel der Universalitaet dieser Idee. Ihr liegt nicht einmal die eine grosse revolutionierende Entdeckung zugrunde. Es ist vielmehr die konsequente Anwendung einer oekologischen Denkweise, die beeindruckt und zu immer neuen, sich selbst ergaenzenden Ergebnissen fuehrt. Die Umsetzung allerdings verlangt Geduld und Beharrlichkeit - Eigenschaften ueber die der Wissenschaftler Scheffer offenbar in ausreichendem Masse verfuegt.

    Kontakt und weitere Information: Prof. Dr. Konrad Scheffer, Fachbereich Landwirtschaft, Internationale Agrarentwicklung und Oekologische Umweltsicherung, Steinstr. 19, 37213 Witzenhausen, Tel. 05542/98-1545/-1229


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Es wurden keine Sachgebiete angegeben
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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