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19.10.2009 11:35

Bonner Ethnologe erklärt, was die 4.000 Völker weltweit verbindet

Frank Luerweg Abteilung Presse und Kommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Warum ist Sexualität weltweit mit Tabus belegt? Was bedeuten Macht, Status, Reputation? Welche Empfindungen und Wörter gibt es in jeder Kultur? Das sind nur einige der Universalien, die alle Kulturen unserer Welt auszeichnen. Sie sind Thema des neuen populärwissenschaftlichen Buches "Heimat Mensch - Was uns alle verbindet". Darin begibt sich der renommierte Universalienforscher und Indonesien-Experte der Universität Bonn, Professor Dr. Christoph Antweiler, im weltweiten Kulturvergleich auf die Suche nach Gemeinsamkeiten. Und findet trotz aller Differenzen ein überraschend breites Fundament.

    Eigentlich gilt Ethnologie ja als Wissenschaft der kulturellen Differenzen. Und wo es Probleme zwischen Kulturen gibt, werden Ethnologen als Fachleute hinzu gezogen. "Die Unterschiede der Kulturen werden konsumiert- nicht die Gemeinsamkeiten", sagt Christoph Antweiler, Leiter der Abteilung Südostasienwissenschaften der Universität Bonn. Er wählt den umgekehrten Forschungsansatz: In seinem wissenschaftlichen Hauptwerk "Was ist den Menschen gemeinsam?" (2007) widmete er sich der Erforschung von verbindenden Elementen, den Universalien, im weltweiten Kulturvergleich. Seine Erkenntnisse macht der Bonner Professor nun als populärwissenschaftliche Sekundäranalyse auch dem nicht-akademischen Leser zugänglich.

    "Heimat Mensch - Was uns alle verbindet" vermittelt in zwölf kurzen Kapiteln anschaulich und unterhaltsam ethnologisches Sachwissen. Und fördert eine erstaunliche Menge an Universalien zutage, die bei jedem Menschen und in den über 4000 Völkern der Erde existieren, egal ob es sich dabei um Völker in Industrienationen oder um "einfache" Ethnien, fälschlicher Weise oft "Naturvölker" genannt, handelt. Antweiler nennt Beispiele wie Heimatgefühl, Schönheitsempfinden, aber auch Macht, Reputation, Ungleichheit zwischen Geschlechtern und Generationen. Im Umgang mit ihnen offenbart sich eine faszinierende Vielfältigkeit der verschiedenen Kulturen.

    Heirat als "Sexualitätsfolgen-Legitimation"

    Sexualität zum Beispiel ist weltweit mit Tabus belegt: Nirgendwo gibt es öffentlichen Sex, und überall existieren Heiratsbeschränkungen. Auch in aufgeklärten westlichen Kulturen wird über Menstruation oder Selbstbefriedigung nicht öffentlich gesprochen. Geregelte Lust - warum? "Sex hat Folgen, und die sind langfristig", erläutert der Ethnologe. Nicht nur für die Frau, sondern für die ganze Gruppe, in der sie lebt. Also braucht es zumindest für heterosexuelle Aktivität Beschränkungen, die wiederum Sicherheiten schenken. Jede Kultur kennt ihren eigenen Lösungsansatz, aber alle verfolgen dasselbe Ziel: "Überall hat Heirat zu tun mit Sexualitätsfolgen-Legitimation."

    Und wer sich nicht an solche Regeln hält? Der fällt wahrscheinlich dem zum Opfer, was fast 80 Prozent aller Privatgespräche beider Geschlechter weltweit ausmacht: Tratsch! Geklatscht wird überall mit Vorliebe über das eigene soziale Nahfeld - wer also neue Klatschthemen in Antweilers Buchs erwartet, dürfte enttäuscht sein. Wobei die Enttäuschung zu den menschlichen Grundemotionen gehört, die sich in jeder Kultur dieser Welt finden. Auch ihre mimischen oder gestischen Äußerungen sind faszinierend gleich: Menschen unterschiedlichster Ethnien verstehen ein freundliches Lächeln ebenso wie zornige Blicke.

    Einen besonders reichen Kulturvergleich bieten die über hundert Ethnien Indonesiens, wo Antweiler mehrere Jahre Feldforschung betrieb. Mit dem Thema Nacktheit gehen die Kulturen dort offenbar sehr unterschiedlich um. Einerseits erlebte der Forscher in den vom Islam geprägten städtischen Kulturen strikte Moral: Von der Mutter seiner Gastfamilie handelte er sich einen heftigen Tadel ein, weil er nicht völlig bekleidet vor den weiblichen Familienmitgliedern erschienen sei: An seiner Schulter lugte ein winziger Fleck Haut hervor. Völlig entsetzt war die Frau, als sie bei Antweiler ein Buch über das ebenfalls in Indonesien lebende Eipo- Volk entdeckte: Nackte Menschen von tiefdunkler Haut, die lediglich ihre Genitalien mit Bastrock bzw. Penisköcher verhüllen. Ein Erklärungsversuch des Ethnologen scheiterte: Wilde Tiere seien das, und "dumm sind sie, weil sie keine Kleidung tragen!" Ihre eigene Kultur sei doch viel besser, klüger, sauberer. Antweiler: "Ich war entsetzt über die Vorurteile, das Statusdenken und diesen Ethnozentrismus." Auch das ist offenbar allen Kulturen gemeinsam.

    Wenn auch nicht in Antweilers Sinne: Er plädiert schließlich mit seinem Buch für ein Umdenken, hin zur Wahrnehmung der zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen Völkern und Kulturen, weg vom "Wir hier und die dort"-Gefühl. Den viel zitierten Kampf der Kulturen gibt es aus seiner Sicht ohnehin nicht - wohl aber einen von Unkenntnis geprägten verengten Blickwinkel, der zu vielen kulturellen Missverständnissen führt. Doch ihn hofft der Bonner Ethnologe mit "Heimat Mensch" erfolgreich zu erweitern. Denn uns verbindet viel mehr, als wir denken.

    Christoph Antweiler: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet; 266 Seiten; Murmann Verlag, € 18.-

    Kontakt:
    Prof. Dr. Christoph Antweiler
    Leiter der Abt. Südostasienwissenschaften
    Institut für Orient- und Asienwissenschaften (IOA) der Universität Bonn
    Telefon: 0228-739740
    E-Mail: christoph.antweiler@uni-bonn.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Sprache / Literatur
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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