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22.04.1997 00:00

Stress mit der Pflegeversicherung

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 22.04.1997 Nr. 77

    Bei Altenpflegerinnen steigt der Stress

    Pflegeversicherung verschaerft Situation in der Altenpflege

    RUB-Wissenschaftlerin ueber Stressempfinden bei Pflegepersonal

    Die Pflegeversicherung wirkt sich nicht nur negativ auf das Bewohnerklientel kirchlicher und oeffentlicher Altenpflegeheime aus; sie verschaerft darueber hinaus die Stresssituation des Pflegepersonals. Zu diesen Schlussfolgerungen kommt Dipl. soc. Katrin Johanna Kuegler in ihrer Untersuchung "Die Arbeitsorganisation im Dienstleistungsbereich Altenpflege mit den psychosozialen Konsequenzen fuer die Beteiligten". UEber einen Zeitraum von acht Monaten fuehrte sie fuer ihre Diplomarbeit eine Fallstudie in einem kirchlichen Altenheim mit 130 Bewohnern durch und befragte 30 von 60 Pflegerinnen im Alter zwischen 19 und 50 Jahren zu ihrem Stressempfinden. Die Arbeit wurde von Prof. Dr. Helmut Nolte (Sozialpsychologie, Fakultaet fuer Sozialwissenschaft der RUB) betreut.

    ,Fuehlen Sie sich ausgelaugt?"

    Die Untersuchung von Katrin Johanna Kuegler baut sich auf Interviews auf, in denen die Pflegerinnen zu berufsbezogenen Gefuehlen und Gedanken (beispielsweise "Fuehlen Sie sich von Ihrer Arbeit ausgelaugt?" oder "Gelingt es Ihnen gut, sich in die Bewohner hineinzudenken?") befragt wurden. Die Antworten waren auf einer Skala von eins bis sieben ("nie" bis "taeglich") auszuwaehlen. Angaben ueber berufsbezogene Gefuehle ("Seit ich diese Arbeit mache, bin ich gleichgueltiger gegenueber Leuten geworden" oder "Meine Arbeit frustriert mich") waren nach dem gleichen Prinzip (von "sehr schwach, kaum wahrnehmbar" bis "bedeutend, sehr stark") zu beantworten. Faktoren, die die Arbeitssituation bestimmen, wie Probleme mit den Bewohnern, mit Vorgesetzten, mit Teamarbeit, Arbeitsorganisation oder Arbeitsumgebung, wurden in den Gespraechen ebenfalls beruecksichtigt.

    Stress unter Zeitdruck ...

    Auf der theoretischen Grundlage der transaktionalen Stresstheorie, die Stress als Reiz und Reaktion in einem dynamischen Prozess sieht, untersuchte Katrin Johanna Kuegler ausserdem die Arbeitstaetigkeiten des Pflegepersonals und nahm eine psychologische Taetigkeitsanalyse (TBS) vor. So war es moeglich, die vielfaeltigen Aufgaben der Pflegedienstmitarbeiter darzustellen. Ihr ging es vor allem darum, durch eine psychologische Untersuchungsmethode die speziellen Anforderungen an die Mitarbeiter darzulegen. Ihr Fazit: Ein bestimmtes Stressempfinden tritt in Verbindung mit dem zeitlichen Druck auf.

    ... fuehrt zu Migraene oder Herz-Kreislaufbeschwerden ...

    Auf jeder Station des Altenheims ist, so die Bochumer Wissenschaftlerin, unter dem Personal eine uebereinstimmende Stresswahrnehmung vorhanden, die sich bei den Befragten vor allem in Form von Migraene, Herz-Kreislaufbeschwerden, Rueckenschmerzen oder Drogen- und Medikamentenmissbrauch, auch als klassische Burnoutsyndrome bekannt, aeussert.

    Agressive Bewohlner und schwierige Chefs

    Die staerksten Stressfaktoren sind jedoch schlechte Teamarbeit, persoenliche Probleme mit den Vorgesetzten und Demenz oder Aggressivitaet der Bewohner. Diese Faktoren wirken sich bei den Mitarbeitern in Form von psychischem Rueckzug (Depersonalisation) und emotionaler Erschoepfung aus. So entdeckte Kuegler, dass vor allem bei besonders aggressiven Bewohnern die Depersonalisierung (der Umgang mit den Bewohnern als blosses Subjekt) des Pflegepersonals am groessten ist.

    Personalmangel verschaerft Situation

    Die Wissenschaftlerin fand ausserdem heraus, dass die theoretische Ausbildung von Altenpflegern mit der Praxis in Konflikt steht, da vermittelte Lerninhalte vom Pflegepersonal nicht real angewandt werden koennen (z.B. Ausfluege mit den Bewohnern oder Gespraeche mit Familienangehoerigen in Form von Sprechstunden). Die seit letztem Jahr in Kraft getretene Pflegeversicherung verschaerft aufgrund von Personalmangel noch zusaetzlich den ohnehin schon vorhandenen Pflegenotstand. Dabei wuerden nach Ansicht der Autorin gerade solche Massnahmen dazu beitragen, die Stressfaktoren und somit auch die psychologische Belastung des Pflegepersonals zu verringern und die Qualitaet der Pflege zu steigern.

    Prognose: Demnaechst nun noch Schwerstpflegefaelle in Heimen

    Kuegler prognostiziert, dass sich aufgrund der Pflegeversicherung zukuenftig das Bewohnerprofil noch stark veraendern wird, da nur noch schwerste Pflegefaelle in kirchliche oder staedtische Altenpflegeheime eingewiesen werden. Weil diese Pflegefaelle eine Betreuung von 24 Stunden am Tag benoetigen, diese wiederum aus finanziellen Gruenden nicht gewaehrleistet werden kann (die Krankenkassen stufen die Pflegebeduerftigen zu niedrig ein, so dass geleistete Arbeit nicht voll bezahlt wird), wird sich dies vor allem negativ auf die Stresssituation des Pflegepersonals auswirken. Sie kommt aus diesem Grund zu dem Schluss, dass die Pflegeversicherung die Stresssituation des Personals verschaerft und ist der Auffassung, dass im Bereich der Altenpflege Veraenderungen in der Arbeitsorganisation (bezogen auf die untersuchte Einrichtung) notwendig sind, die beispielsweise Massnahmen zur Identifikation oder Motivation beinhalten muessten.

    Weitere Information

    Katrin Johanna Kuegler, Grullbadstrasse 85, 45661 Recklinghausen, Tel. 02361/35688, e-mail: Katrin.J.Kuegler@rz.ruhr-uni-bochum.de.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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