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12.06.2001 10:17

10 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag

Burckhard Wiebe Abteilung Kommunikation
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH

    Nachbarn mit Vorurteilen - europäisch verbunden

    Zehn Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag

    Berlin (wbs) Die deutsch-polnischen Beziehungen sind geprägt von einem hohen Maß politisch-rationaler Übereinstimmungen, aber gleichzeitig leben die wechselseitigen stereotypen Bilder weiter. Dies ist das Ergebnis einer historischen Längsschnitt-Analyse und einer aktuellen deutsch-polnischen Elite-Studie unter Leitung von Professor Wolf-Dieter Eberwein vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Botschafter a.D. Janusz Reiter. Für die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen ist Eberwein optimistisch: "Sowohl in Deutschland als auch in Polen haben die meisten Eliteangehörigen eine 'europäische Identität'. Daher bin ich guter Hoffnung, daß Deutsche und Polen im 'Umweg' über ihre - auf beiden Seiten übrigens unbestrittene - gemeinsame Qualität als Europäer enger zueinanderfinden werden".

    Vor zehn Jahren - am 17. Juni 1991 - setzten die Außenminister Polens und Deutschlands in Bonn ihre Unterschrift unter den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag, nachdem einige Monate zuvor, am 11. November 1990, beide Regierungen den Grenzvertrag unterzeichnet hatten. Damit erkannte Deutschland die Oder-Neiße-Grenze als westliche Grenze Polens endgültig an. Heute gilt das deutsch-polnische Verhältnis in Politik und Wissenschaft als Modell für die Entwicklung von historisch belasteten Beziehungen zwischen Nationen hin zu einer friedlichen und intensiven Kooperation zwischen demokratischen Staaten.

    Die Arbeitsgruppe "Internationale Politik" des WZB (Leiter: Prof. Dr. Wolf-Dieter Eberwein) hat seit 1998 die Entwicklung des Verhältnisses von Polen und Deutschland im Nachkriegseuropa analysiert und die Ergebnisse jetzt in zwei Büchern vorgestellt. Im Zentrum steht eine deutsch-polnische Elite-Studie, die 1999/2000 gemeinsam von Botschafter a. D. Janusz Reiter in Warschau und Wolf-Dieter Eberwein am WZB durchgeführt wurde. Befragt wurden 439 deutsche und 321 polnische Angehörige der politischen, kulturellen, militärischen, kirchlichen und verbandlichen Eliten zu vier Themenblöcken: zu den bilateralen Beziehungen, zu der Aufnahme Polens in die EU, zur Mitgliedschaft Polens in der NATO sowie zu einer Reihe gesellschaftspolitisch im weiteren Sinne relevanter Wertvorstellungen.

    Zentrales Ergebnis der historischen Längsschnittanalyse von 1945 bis 2000: ab den 60er Jahren ist in beiden deutschen Staaten ein dichtes Netz vielfältiger Kontakte unterhalb der Regierungsebene entstanden. Annäherungen auf staatlicher Ebene waren jedoch durch die ideologische Konfrontation blockiert. Nach 1989 kam es zu einer regelrechten "Entblockierung", bei der die vorher entstandenen gesellschaftlichen Verbindungen einen wertvollen "Humus" bildeten.

    Das Ergebnis der Elite-Studie ist gespalten: Der Grad des Konsenses bei inhaltlichen Fragen liegt bei über 80 Prozent, der Anteil der umstrittenen Probleme bei nur etwa zehn Prozent. Aber bei den wech-selseitigen Bildern des jeweils anderen findet man noch viel Trennendes. Stereotypen wie "Unordentlichkeit" oder "Arbeitsscheu" prägen häufig das Bild des "typischen" Polen auf deutscher Seite, einen "preußischen Geist" hinter der Grenze vermutet ein beträchtlicher Teil der polnischen Befragten. Dazu Professor Eberwein: "Gemeinschaftsgefühl im Sinne einer emotionalen Verbundenheit zwischen Deutschen und Polen ist nur bei wenigen zu beobachten. Die Kontakte zwischen beiden Eliten scheinen Vorurteile kaum zu berühren, sie erweisen sich derzeit noch als im schlechtesten Sinne widerstandsfähig". Allerdings belegt die Studie auch, daß Stereotypen kaum zu problematischen politischen Einstellungen bei den Eliten führen.

    Den politischen Eliten beider Länder ist es in den 90er Jahren gelungen, den rechtlichen und institutionellen Rahmen für die Entwicklung der Zusammenarbeit zu schaffen. Durch die NATO-Osterweiterung sind Polen und Deutschland zu militärischen Verbündeten geworden, eine Zäsur in der Geschichte der gemeinsamen Beziehungen. Beide Partner haben auch bewiesen, daß sie zur Lösung schwieriger, historisch belasteter Themen fähig sind.

    Groß ist das Maß der Übereinstimmung anhand der Vorstellungen über die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik. Die Eliten beider Länder sehen die Berliner Republik am liebsten als das, was mit dem Begriff der Zivilmacht charakterisiert worden ist. Multilateralismus wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Für eine gemeinsame Sicherheitspolitik in beiden Ländern lag die Zustimmung in beiden Ländern bei über 90 Prozent, Zustimmung für eine gemeinsame Außenpolitik gab es nur bei 68 Prozent der polnischen Befragten, aber bei 90 Prozent der deutschen Befragten. Viele Übereinstimmungen gibt es trotz deutlich höherer Religiosität der polnischen Befragten zur laizistischen Trennung von Kirche und Staat. Auch Subsidiarität und Ökologie sind für beide Seiten wichtige Grundorientierungen. Langjährige Reizthemen haben offensichtlich ihre Brisanz verloren: Das gilt für die Vertriebenenproblematik wie für die Frage des Grundbesitz-Erwerbs. Kritisch ist lediglich die Restitution ehemaligen deutschen Besitzes.

    Verbundenheitsgefühle haben einen in der Studie belegten deutlichen Einfluß auf die Definition von Erwartungen und Interessen. Intensivere Kontakte werden also - so steht zu hoffen - das stützen und stärken, was bereits heute schon im wesentlichen festgestellt werden kann: Es gibt eine deutsch-polnische Werte- und Interessengemeinschaft.

    Weitere Informationen: Prof. Dr. Wolf-Dieter Eberwein; Telefon: 030 / 25 49 15 64
    E-Mail: eberwein@wz-berlin.de


    "Modell Polen-Deutschland - Eine Werte- und Interessengemeinschaft?", in: WZB-Mitteilungen, Heft 92
    (Juni 2001), S. 15 - 19

    Wolf-Dieter Eberwein, Matthias Ecker-Erhardt, Deutschland und Polen - eine Werte- und Interessengemeinschaft? Die Eliten-Perspektive. Mit einem Vorwort von Außenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher, Opladen: Leske + Budrich 2001, 213 S.

    Wolf-Dieter Eberwein, Basil Kerski (Hg.), Die deutsch-polnischen Beziehungen 1949-2000 - Eine Werte- und Interessengemeinschaft?, Opladen: Leske + Budrich 2001, 219 S.


    Weitere Informationen:

    http://www.wz-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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