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19.02.1997 00:00

NRW-Huntington-Zentrum in der RUB eröffnet

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 19.02.1997 Nr. 42

    Veitstanz - Das Schicksal vor Augen

    Ganzheitliche Betreuung fuer Patient und Angehoerige

    Klinischer Bereich des NRW-Huntington-Zentrums eroeffnet

    ,Leiden foerdert Denken", mit dem Zitat des brasilianischen Theologen Leonardo Boff beschreibt der Vorsitzende der Deutschen Huntington-Selbsthilfegruppe, Georg Hirschler, das Leid auch als Antrieb im zaehen Ringen um die Errichtung eines Huntington-Zentrums in NRW: Am 14. Februar 1997 konnte nun auch der klinische Bereich dieser in Deutschland einmaligen Einrichtung durch den NRW-Ministerpraesidenten Dr. Johannes Rau in der Neurologischen RUB-Universitaetsklinik des St. Josef-Hospitals (Direktor: Prof. Dr. med. Horst Przuntek) feierlich eroeffnet werden. Bereits 1993 hatte in der Humangenetik der RUB der humangenetische Bereich des Huntington-Zentrums NRW unter Leitung von Prof. Dr. med. Joerg Thomas Epplen seine Arbeit aufgenommen.

    Stetig bergab

    Chorea Huntington (George Huntington: amerik. Arzt, der im vorigen Jahrhundert das Krankheitsbild bei zahlreichen Patienten beobachtete) ist eine bislang unheilbare Erbkrankheit, die durch einen fortschreitenden Verlust an Nervenzellen gekennzeichnet ist. Am augenfaelligsten unter den Beschwerden sind unwillkuerliche abrupte und ausfahrende Bewegungen (Veitstanz). Das Miterleben des eigenen geistigen Verfalls ueber einen Zeitraum von ca. 12 bis 20 Jahren bis hin zum Tod macht diese Erkrankung zu einer der leidvollsten ueberhaupt und ist letztlich Ursache fuer eine Selbstmordrate bis zu 12 Prozent unter den Huntington-Patienten. Da die Patienten meist zugleich an einer Beeintraechtigung von Bewegung, Gedaechtnis und Stimmung leiden - hinzu kommen daraus resultierende soziale Probleme - stellt die Krankheit ueberdurchschnittliche Anforderungen an die medizinische Versorgung.

    Betreuung von Patien und Angehoerigen

    Das Huntington-Zentrum NRW ist die einzige ueberregionale Fachinstitution auf diesem Gebiet in Deutschland. Der klinische Bereich bietet Betroffenen sowie den ebenfalls enorm belasteten Angehoerigen eine ganzheitliche Betreuung, angefangen von der Diagnostik und Beratung von Patienten und Risikopersonen bis hin zur routinemaessigen Optimierung der Therapie. Bei der Betreuung der Patienten arbeiten Psychologen, Familientherapeuten, Kliniker, Genetiker und das qualifizierte Pflegepersonal Hand in Hand. Die Behandlung umfasst vor allem Rehabilitationsmassnahmen, wie entsprechende sportliche Betaetigung, weiterhin Logo- und Ergotherapie. Medikamente werden sparsam eingesetzt insbesondere gegen die Unruhe und UEberbeweglichkeit; dabei gilt: Das Ausleben der Hyperaktivitaet hilft dem Patienten.

    Notfallbereitschaft rund um die Uhr

    Die Station in der Neurologischen Universitaetsklinik verfuegt ueber 12 Betten, wovon sechs Einzelzimmer die Moeglichkeit des rooming-in fuer Familienangehoerige bieten. Die Klinik wurde als Akutpflegestation konzipiert (Aufenthalt zwischen drei Tagen bis zu einigen Wochen bzw. wenigen Monaten) und bietet eine 24-Stunden-Bereitschaft fuer Notfallsituationen. Wenn die optimale Therapie fuer den jeweiligen Patienten gefunden ist, kann er zurueck in die eigene Familie oder in eine andere Pflegeeinrichtung. Die Therapieziele liegen vor allem in der Erhaltung von Arbeitsfaehigkeit, Selbstaendigkeit und Lebensqualitaet.

    Sichere Gen-Diagnostik

    Die Krankheit wird von Generation zu Generation (dominant) vererbt, mit einem Erkrankungsrisiko fuer die Nachkommen von 50 Prozent. In Nordrhein-Westfalen gibt es z.Z. ca. 1.000 manifest erkrankte Huntington-Patienten bei einer Risikogruppe von ca. 4.000 Personen. Im Jahre 1993 gelang es in den USA, den genauen Ort des genetischen Defekts auf dem Chromosom 4 zu identifizieren. Seitdem ist eine direkte Erbgut-Diagnostik mit mehr als 99prozentiger Sicherheit moeglich. Sie wird in der Humangenetischen Abteilung des Huntington-Zentrums auf dem Campus der RUB durchgefuehrt. Ist die Erbanlage fuer die Krankheit nachgewiesen, tritt sie mit 100prozentiger Sicherheit, in der Regel in der Lebensmitte, mit weiten Grenzen vom Kindheits- bis zum Greisenalter.

    Leben in Unsicherheit

    Als Motivationen einer solchen DNA(Desoxyribonukleinsaeure)-Diagnostik wurden 'Familienplanung', 'der Unsicherheit ein Ende setzen wollen', 'Information der Kinder', 'Zukunftsplanung' oder 'Schwangerschaft einer Risikoperson' ermittelt. Dennoch entschliessen sich nur 50 Prozent der Risikopatienten zu dieser Untersuchung, die anderen waehlen ein Leben in Unsicherheit, aber eben auch mit Hoffnung.

    Therapie: Blick in die Zukunft

    Die Zusammenarbeit zwischen Humangenetik und Klinik in einem Zentrum und die gegenueber normalen Kliniken groessere Anzahl von Huntington-Patienten ermoeglicht eine Verbesserung bestehender Therapieansaetze. Derzeit zeichnen sich fuer die Zukunft auch Therapiemoeglichkeiten ab, die den fortschreitenden Nervenzellverlust verlangsamen koennen. Eine direkte Therapie der Huntingtonschen Krankheit ist nur auf dem Wege der Genforschung moeglich, erst mit Hilfe der Gentherapie und/oder der Entwicklung wirksamer, gentechnisch hergestellter Medikamente ist ein Durchbruch in Sicht. Dabei gibt es prinzipiell zwei Ansatzmoeglichkeiten: zum einen ueber das Gen selbst, als Traeger der Erbinformation fuer die Krankheit, zum anderen ueber das Protein, das diese Information als sogenanntes Funktionsmolekuel uebernimmt und umsetzt.

    Zukunftsmusik

    Fuer die Einrichtung des Huntington Zentrums bietet Bochum ein guenstiges Umfeld durch die Zusammenarbeit von drei Neurologischen Universitaetskliniken (am St. Josef Krankenhaus, am Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer und an den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil) und der Humangenetischen Abteilung auf dem Campus der RUB. Und so wird schon heute ueber die Entwicklung hin zu einem Neuromuskulaeren Zentrum am Standort Bochum nachgedacht, welches auch die Betreuung von Patienten mit aehnlichen Erkrankungen des Nervensystems (Parkinson, Alzheimer) uebernehmen koennte. Dieses Konzept schliesst auch die Ansiedlung entsprechender biotechnologisch-pharmazeutischer Unternehmen ein.

    1. Huntington-Medaille an NRW-Ministerpraesiden Johannes Rau

    Anlaesslich der Eroeffnung des Huntington-Zentrums wurde NRW-Ministerpraesident Dr. h.c. Johannes Rau fuer sein Engagement fuer die Errichtung des Zentrums mit der erstmals vergebenen Huntingtonmedaille geehrt. Sie soll alle zwei Jahre verliehen werden fuer besondere Verdienste um die Belange der Huntington-Patienten oder die Erforschung der Erkrankung.

    Weitere Informationen: Huntington-Zentrum NRW

    - Klinischer Bereich: Prof. Dr. Horst Przuntek, Neurologische RUB-Klinik im St. Josef-Hospital Bochum, Gudrunstr. 56, 44791 Bochum, Tel.-Nr. 0234/509-2410 (Notruf: 0234/5091)

    - Humangenetischer Bereich: Prof. Dr. Joerg T. Epplen, Ruhr-Universitaet Bochum, Huntington-Beratungszentrum, 44780 Bochum, Tel.-Nr. 0234/700-3839, -3822


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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