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01.06.2010 16:06

Martha C. Nussbaum zu Gast an der Universität Tübingen: „Wie weit geht die Freiheit religiöser Überzeugungen?“

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    3. Unseld Lecture am FORUM SCIENTIARUM der Universität Tübingen

    Mit Martha C. Nussbaum kommt im Juni dieses Jahres die wohl weltweit renommierteste politisch engagierte Ethikforscherin an das FORUM SCIENTIARUM der Universität Tübingen: am 22. Juni hält sie die diesjährige Unseld Lecture zum Thema "Liberty of Conscience". Ausgehend vom Prinzip gleichen Rechts aller Bürgerinnen und Bürger auf freie Entfaltung tritt Martha Nussbaum immer wieder für Minderheiten ein und wendet sich massiv gegen die bevorzugte Stellung einzelner Werte- und Glaubenstraditionen in einer pluralen Gesellschaft. Damit übt sie deutliche Kritik am Selbstverständnis der meisten europäischen Staaten.

    Die Universität Tübingen führt mit der Einladung Martha C. Nussbaums an das FORUM SCIENTIARUM ihr vor zwei Jahren mit großem Erfolg gestartetes Veranstaltungsformat der "Unseld Lectures" fort. In Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag und der Udo Keller Stiftung Forum Humanum lädt das FORUM SCIENTIARUM der Universität jährlich einen Spitzenwissenschaftler zum interdisziplinären Dialog nach Tübingen ein.

    Zur Person: Martha Nussbaum ist Ernst Freund Professorin für Recht und Ethik an der Universität Chicago. Einen Namen machte sie sich früh mit ihrer Aristoteles-Interpretation, die mit herrschenden Meinungen zur Philosophie der Antike brach. Bald erweiterte sie ihren Themenbereich und veröffentlichte vor allem Arbeiten über moralphilosophische Fragen der Moderne. Dabei behandelt Martha Nussbaum oft Themen am Schnittpunkt zwischen Ethik, öffentlicher Moral, Literatur und Feminismus. Längst gilt sie als eine der markantesten Vertreterinnen des aufgeklärten Feminismus, der auch die soziale Prägung von Präferenzen und Wünschen sowie mitfühlendes Verstehen thematisiert. In ihren neueren Büchern beschäftigt sich Martha Nussbaum u. a. mit der Bedeutung von Emotionen, denen sie einen eigenständigen Erkenntniswert beimisst. Zudem ist sie bekannt für den in Zusammenarbeit mit Amartya Sen ausgearbeiteten Capability Approach, der die Ermöglichung freier Entfaltung der Person zum Kriterium sozialer Gerechtigkeit erhebt.
    Martha Nussbaum hat mehrere Literaturpreise und über dreißig wissenschaftliche Ehrungen erhalten. Sie hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, u. a. in Paris, Oxford, Oslo und Harvard. Im Jahr 2009 erhielt Nussbaum den A.SK Social Science Award des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Wichtige Publikationen: "Women and Human Development: The Capabilities Approach" (2000), "Upheavals of Thought" (2001), "Frontiers of Justice" (2006), "Liberty of Conscience" (2008), "From Disgust to Humanity: Sexual Orientation and Constitutional Law" (2010).

    Martha C. Nussbaum spricht in ihrer öffentlichen Lecture über „Liberty of Conscience“, Gewissensfreiheit. Sie interessiert sich dabei besonders für die Frage, wie die Freiheit religiöser Überzeugungen und daraus motivierter Handlungen rechtsstaatlich geregelt werden kann, ohne einzelne Überzeugungen zu bevorzugen. Das Recht auf eine solche Freiheit religiöser Überzeugungen begründet sie vor allem im Rückgriff auf die philosophische Tradition der Aufklärung. Dabei sieht sie die Idee der Religionsfreiheit in der US-amerikanischen Geschichte besonders deutlich herausgestellt und folgerichtig auch in den Gründungsdokumenten der USA vorbildlich berücksichtigt. So aufmerksam in den USA selbst darauf geachtet werden müsse, diese Errungenschaft nicht zu verlieren und das Prinzip gleicher Rechte für alle Religionsgemeinschaften nicht zu verwässern, sollten sich andere Staaten – auch die europäischen – doch an diesem Vorbild orientieren.

    Das Thema der Lecture wird zwei Tage später in einem öffentlichen Streitgespräch aufgegriffen und interdisziplinär verhandelt, wenn Martha C. Nussbaum mit Kollegen aus der Rechtswissenschaft und der Philosophie der Menschenrechte diskutiert. Religionsfreiheit ist zweifelsfrei ein hohes Gut. Wie weit sie reicht und wie der Staat die Interessen einer Religionsgemeinschaft schützt, ohne die einer anderen zu berühren, das sind dagegen Fragen, über die öffentlich gestritten wird. Erinnert sei nur an den Kopftuchstreit und die Diskussionen um den Kruzifixbeschluss des Bundesverfassungsgerichts. Darf sich eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert noch auf einzelne religiöse Traditionen berufen? Andererseits: leugnet sie andernfalls nicht ihre eigene Geschichte?

    Nachwuchswissenschaftler aus aller Welt haben sich für einen ebenfalls von Martha C. Nussbaum während ihres Aufenthaltes in Tübingen angebotenen mehrtägigen Kurs für Studierende und Doktoranden aller Fächer zum Thema „Capability Approach on Social Order“ am FORUM SCIENTIARUM angemeldet. Den Capability Approach hat Martha Nussbaum ursprünglich gemeinsam mit dem indischen Ökonomen und Nobelpreisträger Amartya Sen ausgearbeitet. In diesen Ansatz fließen auch ihre Arbeiten zu Aristoteles mit ein. Er zielt darauf ab, die de facto bestehenden Chancen auf eine freie Entfaltung der Person zum Kriterium sozialer Gerechtigkeit zu erheben. Im Kurs soll dieser Ansatz interdisziplinär diskutiert werden.

    Im Rahmen der Unseld Lecture 2010 finden folgende Veranstaltungen statt:

    Öffentliche Lecture
    22. Juni, 20.15 Uhr Audimax, Neue Aula, Geschwister-Scholl-Platz Martha C. Nussbaum: "Liberty of Conscience"

    Öffentliche Disputation
    24. Juni, 20.15 Uhr Audimax, Neue Aula, Geschwister-Scholl-PlatzStreitgespräch zwischen Martha C. Nussbaum, Ute Sacksofsky (Öffentliches Recht, Frankfurt/M.) und Heiner Bielefeldt (Philosophie der Menschenrechte, Erlangen):
    "Religious Liberty: Sources and Constraints". 21. – 25. Juni
    Internationaler Meisterkurs zum Thema "The Capability Approach on Social Order": 20 Studierende und Doktoranden aus aller Welt diskutieren am FORUM SCIENTIARUM mit Martha C. Nussbaum über interdisziplinäre Implikationen des Capability Approach.

    Die Unseld Lectures suchen in den drei genannten Formaten den Dialog mit der Gesellschaft; sie fördern die Auseinandersetzung zwischen Forschern verschiedener Disziplinen, und sie verankern das fächerübergreifende Arbeiten in der Lehre. Die Unseld Lectures wollen so einen interdisziplinären Dialograum öffnen, der Forschung und Lehre zum öffentlichen Ereignis macht. Sie werden vom FORUM SCIENTIARUM der Universität Tübingen organisiert. Die edition unseld des Suhrkamp Verlags greift mit ihren Programmen und Aktivitäten die Themen der Unseld Lectures auf. Die Udo Keller Stiftung Forum Humanum hat die Lectures initiiert und fördert sie. Im Jahr 2011 wird der chilenische Neurobiologe und Systemtheoretiker Humberto R. Maturana Gast der Unseld Lecture sein.

    Broschüre zur Unseld Lecture 2010: http://www.forum-scientiarum.uni-tuebingen.de/de/vortragsprogramm/unseld/2010/UL...

    Die Partner:

    Universität Tübingen
    Die Universität Tübingen versteht sich als internationale Forschungsuniversität. Gegründet 1477 gehört sie heute zu den führenden Hochschulen sowohl in den Lebens- und Naturwissenschaften als auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften.

    FORUM SCIENTIARUM
    Das Forum Scientiarum ist eine Zentrale Einrichtung der Universität Tübingen zur Förderung des Dialogs zwischen den Wissenschaften in Forschung und Lehre. Es wird unterstützt von der Udo Keller Stiftung Forum Humanum, der Klett-Stiftung und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

    Udo Keller Stiftung Forum Humanum
    Die 2000 gegründete Stiftung möchte in einer Zeit des zunehmenden Zugriffs von Technik und Ökonomie auf das Humanum an die Bedeutung des geistigen und religiösen Erbes der Weltkulturen erinnern. Sie geht davon aus, dass die weitere Entwicklung der Menschheit entscheidend davon abhängen wird, ob und wie es gelingt, die reichhaltigen Potenziale dieser Traditionen für die Zukunft fruchtbar zu machen. In diesem Sinn plädiert sie für eine Wiederbelebung der Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts. Hierbei kommt der Arbeit am doppelten Brückenschlag zwischen Natur- und Geisteswissenschaften sowie zwischen den Religionen eine Schlüsselrolle zu.

    Suhrkamp Verlag
    Der Suhrkamp Verlag wurde 1950 von Peter Suhrkamp gegründet. Nach Suhrkamps Tod 1959 wurde Siegfried Unseld der alleinige Verleger. Seit dessen Tod 2002 leitet Ulla Unseld-Berkéwicz den Verlag, zu dem auch der Insel Verlag, der Deutsche Klassiker Verlag, der Jüdische Verlag und der Verlag der Weltreligionen gehören. Die edition unseld startete im Frühjahr 2008.

    Kontakt:
    Dr. Niels Weidtmann
    Wissenschaftlicher Leiter
    Forum Scientiarum der Universität Tübingen
    Doblerstr. 33
    72074 Tübingen
    Tel.: (07071) 40716-12
    niels.weidtmann [@] fsci.uni-tuebingen.de


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    Anhang
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Kulturwissenschaften, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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