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13.09.1996 00:00

Innovation in Deutschland

Dr. Rainer Nicolay Forschung und Technologie
Deutscher Industrie- und Handelstag

    Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT) 13. September 1996

    Unternehmerische Leistung sichert unsere Zukunft

    Auszuege aus der Rede von Hans Peter Stihl, Praesident des Deutschen Industrie- und Handelstages, anlaesslich des Bundeskongresses der Wirtschaftsjunioren Deutschland am 13. September 1996 in Mannheim-Ludwigshafen

    Es gilt das gesprochene Wort

    Wie ist es um die Innovationen am Standort Deutschland bestellt? Immer wieder hoeren wir, die Beschaeftigungskrise in Deutschland sei die Folge von Innovationsschwaeche und diese die Folge mangelnder Risikobereitschaft und Kreativitaet der Unternehmer und der mangelnden Faehigkeit, neue Erkenntnisse in neue Produkte umzusetzen. Ist dieser Vorwurf berechtigt? Tragen nicht wir Unternehmer die Verantwortung fuer den Zustand, den wir selbst beklagen? Muessen wir die Forderungen, die wir an andere, an Politik und Gewerkschaften richten, nicht zunaechst an uns selbst stellen?

    Nehmen wir die Forschungs- und Entwicklungsausgaben als einen Indikator fuer unsere Faehigkeit und Bereitschaft zur Innovation: Wenn es heisst, die deutsche Wirtschaft gebe weniger fuer Forschung und Entwicklung aus als in frueheren Zeiten, so gilt dies zunaechst lediglich fuer die Ausgaben hier in Deutschland. Die Ausgaben deutscher Unternehmen fuer Forschung und Entwicklung im Ausland sind bislang zwar nicht erfasst. Einige Zahlen sind aber bekannt: So haben deutsche Unternehmen in den Vereinigten Staaten 1993 gut 2,3 Milliarden Dollar fuer Forschung und Entwicklung aus. Dies zeigt: Die Globalisierung hinterlaesst auch im Bereich von Forschung und Entwicklung ihre Spuren. Sie fuehrt aber, das muss deutlich gesagt werden, nicht zu einer Schwaechung, sondern zu einer Staerkung des Standorts Deutschland. Die Globalisierung von Forschung und Entwicklung schafft Zugriff auf technisches Wissen im Ausland. Sie zwingt zu Effizienzsteigerungen im Inland. Sie sichert heimische Arbeitsplaetze.

    Umgekehrt geben auch auslaendische Tochterunternehmen fuer Forschung und Entwicklung viel Geld in Deutschland aus. Dieser Befund bildet einen deutlichen Kontrast zur Investitionstaetigkeit auslaendischer Unternehmen in Deutschland im allgemeinen. Wir alle kennen ja die erschreckende Diskrepanz zwischen der Anziehungskraft auslaendischer Standorte fuer deutsches Kapital und der fehlenden Attraktivitaet unseres Standorts fuer auslaendische Investoren. Der Forschungsstandort Deutschland hat aus Sicht auslaendischer Unternehmen immer noch eine starke Position. Rund 15 Prozent der Industrieforscher in Deutschland stehen auf Gehaltslisten auslaendischer Tochterunternehmen. Diese Unternehmen bestreiten heute etwa 16 Prozent ihrer Industrieforschung in Deutschland.

    Im weltweiten Vergleich ist unsere industrielle Forschung und Entwicklung bereits hoch internationalisiert. Dieser Befund gilt aber nicht fuer alle Zeiten: Wir duerfen nicht vergessen, dass Investitionen am Forschungsstandort Deutschland eine laengere Tradition haben als Forschungsinvestitionen in neuen Wachstumsmaerkten. Diese Schere wird sich weiter oeffnen. Das heisst: Die Forschungsaktivitaeten deutscher Unternehmen im Ausland duerften schneller steigen als die Aktivitaeten auslaendischer Unternehmen in Deutschland. Gegenwaertig kann man aber sagen: Die Bewertung des Forschungsstandortes Deutschland bestaetigt die These der Innovationsmuedigkeit hierzulande noch nicht.

    Innovation ist aber mehr als Forschung und neue Technologie. Spannend ist die Frage, wie der Kostenfaktor Forschung zum Gewinnfaktor wird, wie Forschungsergebnisse und Innovationen in wirtschaftlichen Erfolg verwandelt werden. Neue Techniken sind wertlos, solange sie nicht das Herz und das Geld der Konsumenten gewinnen. Wenn von Innovationsschwaeche gesprochen wird, dann ist vor allem die mangelnde Faehigkeit gemeint, Forschungsergebnisse und neue Techniken schnell und gewinnbringend in marktfaehige Produkte umzusetzen. Wer hier mit dem Finger auf die deutschen Unternehmer und die deutschen Unternehmen zeigt, der vergisst: Wenn rund ein Sechstel des industriellen Forschungsaufwandes in Deutschland auf auslaendische Unternehmen entfaellt, dann trifft der Vorwurf der Innovationsschwaeche diese Unternehmen ebenfalls. Ich frage Sie: Wann hat denn ein auslaendisches Unternehmen zuletzt eine revolutionaere Innovation zuerst in Deutschland eingefuehrt?

    Es hat keinen Sinn, die deutschen Unternehmer auf die Anklagebank fehlender Innovationsfaehigkeit und Innovationsbereitschaft zu setzen. Diese billige Managerschelte fuehrt uns keinen Schritt voran. Innovationsschwaeche ist kein Charakterzug deutscher Unternehmer. Innovationsschwaeche ist ein Problem, das alle betrifft, die in Deutschland wirtschaftlich handeln.

    Deutsche und auslaendische Unternehmer in Deutschland stehen vor den gleichen Standortnachteilen fuer Innovationen: Sie kaempfen mit unseren institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen, mit der hohen Regulierungsdichte, mit Auflagen, langen Genehmigungsverfahren und starren Arbeitszeiten. Gerade der Blick auf mittelstaendische Unternehmen, die ihre Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in den letzten Jahren trotz aller Probleme erhoeht haben, zeigt: Die Probleme der Innovationsfaehigkeit dieser Unternehmen liegen weniger in ihren technischen Faehigkeiten. Sie liegen in den steigenden Kosten fuer Forschung und Entwicklung. Sie liegen in Finanzierungsengpaessen, besonders dem Mangel an Eigenkapital. Sie liegen aber auch in dem unuebersehbaren Gestruepp von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften.

    Von den Unternehmen Einfallsreichtum und Wagemut zu verlangen ist das eine. Die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen ist das andere. Dies ist die Aufgabe der Politik und sie wuerde es sich zu einfach machen, wenn sie diese Aufgabe vernachlaessigt und den schwarzen Peter anschliessend an die Unternehmer zurueckgibt. Wenn wir die Innovationsschwaeche am Standort Deutschland ueberwinden wollen, dann fuehrt nichts an einer gruendlichen Verbesserung der Rahmenbedingunen fuer innovative Unternehmen vorbei.

    Lassen Sie mich einige aus meiner Sicht zentrale Punkte nennen, die wir dringend anpacken muessen:

    · Innovationskraft setzt Risikobereitschaft voraus. Der Erfolg unternehmerischer Leistung laesst sich nicht absichern, er ist stets gefaehrdet. Unternehmerische Leistung ist auch nicht durch staatliche Finanzspritzen zu ersetzen, seien es Erhaltungssubventionen oder sogenanntes Risikokapital, das auch mancher Unternehmer gern durch staatliche Absicherung als Sicherheitskapital erhalten wuerde. Die Suche nach oeffentlichen Foerdertoepfen verstehe ich nicht als unternehmerische Leistung und auch nicht als Zukunftssicherung. Wenn es darum geht, die Voraussetzungen fuer unternehmerischen Wagemut zu verbessern, dann geht es nicht um neue Programme - im Gegenteil: So manche gut gemeinte staatliche Finanzhilfe wuerde sich eruebrigen, wenn durch eine umfassende Abgabenentlastung das Geld dort belassen wuerde, wo es erwirtschaftet wurde - in den Unternehmen und in den Taschen der Buerger. Risikobereitschaft setzt Eigenkapital und gute Gewinnchancen voraus. Die enorme Belastung mit Abgaben drueckt die Gewinnmargen und macht die Bildung von Eigenkapital nahezu unmoeglich. Wer Innovation foerdern will, der muss die Steuern senken, die soziale Umverteilung wieder auf ein vertretbares Mass zurueckfuehren und sich von der Illusion befreien, jedes noch so kleine Risko muesse staatlich abgesichert sein.

    · Unsere Arbeitszeiten sind eine Innovationsbremse ersten Ranges. Es kann doch niemanden wundern, dass unsere Faehigkeit, neue Produkte zu entwickeln, abnimmt, wenn unsere Ingenieure und Techniker eine um etwa ein Drittel kuerzere Arbeitszeit haben, als bei unseren wichtigsten Konkurrenten. Es kann deshalb auch niemanden wundern, dass wir anderen hinterherlaufen, wenn es gilt, neue Erkenntnisse in Produkte umzusetzen. Wir muessen wieder laenger arbeiten - nicht nur aus Kostengruenden. Wir muessen wieder mehr arbeiten, damit uns die Konkurrenz nicht nach und nach unseren technologischen Rang ablaeuft.

    · Innovationskraft setzt Aufgeschlossenheit fuer moderne Technologien voraus. Risikobereitschaft heisst nicht Augen zu und durch Der Grad des einzugehenden Risikos bei jedweder Innovation kann fuer uns Unternehmer nur das Produkt einer intelligenten Abwaegung von Vor- und Nachteilen sein. Dabei schlaegt negativ zu Buche, wenn Innovationen nicht akzeptiert werden, sei es durch Buergerproteste bei der Bauplanung innovativer Produktionsanlagen, sei es durch die Zerstoerung von gentechnisch veraenderten Pflanzen auf Versuchsfeldern oder sei es durch verzoegerte Genehmigungen mit hohen Auflagen durch die Verwaltungsbehoerden. Es gibt zu viele innovative Bereiche, in denen das gesellschaftliche Klima die Tendenz zu Auslandsinvestitionen unnoetig verstaerkt. Wer Innovationsschwaeche beklagt, der muss hier umdenken.

    · Innovationskraft verlangt nach neuen Unternehmen. Es ist mittlerweile eine weitverbreitete Erkenntnis, dass Innovationskraft sich nicht vorrangig in staatlich gefoerderten Grossprojekten zeigt. Bekannt ist auch: Viele Grossunternehmen sind zu schwerfaellig geworden, um neue Erkenntnisse in neue Produkte umzusetzen. Eine neue, mittelstaendische Gruenderwelle gehoert deshalb sicher zu den wichtigsten Zielen, wenn wir neuen Schwung fuer Innovationen schaffen wollen. Um den Sprung in die Selbstaendigkeit zu erleichtern, brauchen wir keine neuen Foerdertoepfe, wie sie jetzt wieder auf allen Ebenen aufgemacht werden. Mit dem Argument, eine Existenzgruendung wuerde im Schnitt vier bis fuenf weitere Arbeitsplaetze schaffen, wird in der Keimzelle junger Unternehmen bereits die Subventionsmentalitaet gefoerdert, anstatt die Voraussetzungen fuer selbstaendige Existenzen zu schaffen: Eine entsprechende Ausbildung, die auf Selbstaendigkeit vorbereitet, und das wirtschaftliche Umfeld, das es jungen wie etablierten Unternehmen erlaubt, sich am Markt zu entfalten und zu behaupten.

    Das Bildungssystem muss seinen Beitrag zu einer innovationsfoerdernden Gruenderwelle leisten. An unseren Hochschulen werden seit Generationen Studenten mehr oder weniger gezielt auf eine Angestellten- oder Beamtenkarriere vorbereitet. Wir muessen darauf reagieren, dass derzeit ein Defizit in der betriebswirtschaftlichen Ausbildung etwa im Vergleich zu den USA besteht, wo es zahlreiche Lehrstuehle fuer Venture Capital und Entrepreneurship gibt. Es erscheint mir besonders in Deutschland notwendig, das Know-how fuer Unternehmensgruendungen einschliesslich der Finanzierungsfragen zu vermitteln und eine entsprechende Risikomentalitaet zu foerdern. All dies ist wichtiger als jedes noch so gut gemeinte Foerderprogramm.

    · Innovationen setzen wissenschaftliche Forschung an Forschungseinrichtungen und Universitaeten voraus. Unsere Universitaeten sind heute zu Massenanstalten der Berufsausbildung geworden. Vielfach fehlt Zeit, Geld und Kraft fuer die Foerderung von Hochbegabten und fuer Spitzenforschung. Hier mahne ich dringend Reformen an. Kein Zweifel: Wir brauchen qualifizierte Ausbildung in der Breite. Wir brauchen aber auch den Mut zur Elitenbildung. Sonst geraten wir im weltweiten Innovationswettlauf ins Hintertreffen.

    · Innovationskraft setzt qualifizierte Mitarbeiter voraus. Hier sind die Unternehmen auch selbst gefordert. Ich halte es auch fuer eine unternehmerische Aufgabe, im Rahmen unseres betrieblichen Ausbildungssystems ausreichend Lehrlingsplaetze zur Sicherung unserer Zukunft anzubieten. Bei absehbarem Facharbeiter- und besonders auch Ingenieurmangel ist es ein Gebot der unternehmerischen Vernunft Facharbeiter auszubilden und auch den hoeherqualifizierten Fachkraeften der Zukunft eine Chance zu geben. Es geht um ein ausreichendes Lehrstellenangebot, es geht aber auch um die zumindest befristete Einstellung von Praktikanten und Hochschulabsolventen. Rationalisierung um jeden Preis wirkt meines Erachtens nicht innovativ.

    · Innovation verlangt nach enger Kooperation zwischen der oeffentlichen Forschung und der Wirtschaft. Die Erschliessung des Know hows oeffentlicher Forschungseinrichtungen ist nicht Bringschuld der Wissenschaftler und nicht Holschuld der Unternehmer; sie ist im Interesse beider Seiten notwendig und machbar. Trotz der breiten Palette unterstuetzender Massnahmen gibt es nach wie vor Hemmnisse und Defizite in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie haben zur Folge, dass vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse nicht oder verspaetet in marktfaehige Produkte umgesetzt werden. Ich meine, dass der Forschungsminister auf dem richtigen Weg ist, wenn er versucht, die kuenstliche Trennung zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung zu ueberwinden.

    Oeffentliche Forschungseinrichtungen sind in der Regel nicht ausgesprochen mittelstandsorientiert. Auf der anderen Seite bestehen noch zahlreiche Kontaktaengste bei mittelstaendischen Unternehmern gegenueber Wissenschaftlern und ihren Mitarbeiterstaeben, die oft groesser sind als die eigene Gesamtbelegschaft. Deshalb sollten Wirtschaft und Wissenschaft in eigener Verantwortung alles tun, um ihre Kontaktflaechen zu vergroessern.

    Nehmen wir all jene in die Pflicht, die unternehmerische Leistung und Innovationen einfordern - fuer eine Politik, die unternehmerische Leistung erst moeglich macht. Dies liegt im Interesse aller.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Politik, Recht
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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