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27.10.2010 12:50

Europarekord: MHH-Patienten leben seit fünf Jahren mit einem Kunstherz

Stefan Zorn Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Medizinische Hochschule Hannover

    Kontinuierliches Herzunterstützungssystem pumpt in der Zeit 15 Millionen Liter Blut / Professor Strüber: Ein Leben „ohne Puls“ ist möglich

    Sie leben mit einem Kunstherz so lange wie kaum ein anderer Mensch auf der Welt: In der Brust des heute 26-jährigen Nino Wolfram arbeitet seit dem 29. Oktober 2005 das kontinuierlich pumpende Herzunterstützungssystem „Heartmate II“, der 50-jährige Uwe Schulze hatte sein Kunstherz zwei Wochen später eingesetzt bekommen und der 28-jährige Bastian Heidhoff bereits drei Monate zuvor. In dieser Zeit hat die Miniaturpumpe knapp 15 Millionen Liter Blut gepumpt. Professor Dr. Martin Strüber aus der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie, hatte den drei Männern die kleinen Lebensretter eingesetzt. Sie gehören zu den ersten Patienten weltweit, die in der MHH dieses Kunstherz implantiert bekamen; in den USA leben zwei Patienten noch etwas länger mit dem Herzunterstützungssystem.

    Waren die winzigen Pumpen zunächst als kurzfristige Überbrückungssysteme gedacht, tun sie mittlerweile seit fünf Jahren ihren Dienst. „Ich bin froh, dass ich das Kunstherz bekommen habe – denn sonst würde ich gar nicht mehr leben“, sagt Nino Wolfram. Der junge Mann kann wieder Treppen steigen, Rad fahren, sich mit Freunden treffen und auch ins Fitnessstudio gehen. Auch für Uwe Schulze war das System sein Lebensretter. „Das Kunstherz gehört mittlerweile zu mir. Ich kann arbeiten, in den Urlaub fliegen – eben einfach wieder leben.“ Bastian Heidhoff hat jahrelang gut mit dem Kunstherz leben können. Nun wartet er auf ein Spenderherz.

    Da diese Pumpen wie eine kleine Turbine funktionieren und somit das Blut kontinuierlich befördern, haben die Patienten in Ruhe keinen Puls mehr. „Vor fünf Jahren konnten wir nicht sicher sein, dass ein Leben ohne Puls über Jahre hinweg gut geht und sämtliche Organe sich auf die Pulslosigkeit einstellen können“, sagt Professor Strüber, stellvertretender ärztlicher Direktor der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie und Bereichsleiter für Herztransplantation und Herzunterstützungssysteme. „Nun haben wir die Gewissheit, dass Patienten mit diesen Kunstherzen über fünf Jahre ordentlich leben können“, betont er. „Daher ist diese Therapie eine Chance für die vielen Patienten mit einem versagenden Herzen – auch wenn wir wissen, dass nicht für alle Kunstherzpatienten später eine Herztransplantation möglich wird.“ Patienten mit gravierenden Zweiterkrankungen etwa haben keine Chance, auf die Transplantationsliste gesetzt zu werden. Professor Strüber betont, dass die Langzeittherapie mit einem Kunstherz kein Alleingang der MHH ist: „Auch in den USA wird dieser Weg nun eingeschlagen.“

    Die MHH hat seit 2005 mehr als 150 Patienten mit Kunstherzen versorgt und ist damit eines der größten Zentren in Europa, die derartige Unterstützungssysteme implantiert. „Das ist zwar nur die zweitbeste Versorgung für unsere Patienten, aber da es nicht genügend Spenderherzen für eine Transplantation gibt, müssen wir darauf zurückgreifen“, sagt Professor Dr. Axel Haverich, Direktor der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie. In Deutschland wurden im Jahr 2009 gerade mal 363 Herzen transplantiert, die Zahl hat sich seit Jahren nicht erhöht. 2004 standen 400 Patienten auf der Warteliste, mittlerweile sind es bereits mehr als doppelt so viele. An der MHH wurden bis Ende vergangenen Jahres 904 Herzen verpflanzt, im Jahr 2009 waren es 34.

    Bei den sogenannten Kunstherzen handelt es sich eigentlich um Linksherzunterstützungssysteme: Der etwa zwölf Zentimeter lange und 375 Gramm schwere „Herzfreund“ besteht aus einer Hochleistungspumpe mit Anschlussstutzen, die an die linke Herzkammer angesetzt werden. Der Motor der winzigen, titanbeschichteten Kreiselpumpe dreht sich bis zu 10.000-mal pro Minute und pumpt so das Blut über die Aorta in den Körper. Ein Kabel verbindet das Kunstherz mit der Steuerelektronik und den Batterien, die außerhalb des Körpers in einem Gürtel getragen werden. Da das Kunstherz kontinuierlich pumpt, ist bei den Patienten kein Blutdruck mehr zu spüren.

    Infektionen und Entgleisungen der Blutgerinnung können zu Komplikationen führen. Infektionen nehmen dabei meistens von der Stelle ihren Ausgang, an der das Steuerkabel durch die Haut geführt wird. „Besonders wenn die körperliche Aktivität zunimmt und die Aufmerksamkeit nachlässt, also meist nach ungefähr einem Jahr, kommt es zu diesem Problem“, betont Professor Strüber. Aber auch später können etwa Kabelbrüche zu Schwierigkeiten führen. Insgesamt zieht der Chirurg jedoch eine positive Bilanz: „Zu Beginn hätten wir nie gedacht, dass diese Technik über einen so langen Zeitraum im Einsatz bleiben kann.“

    In den ersten Jahren wurden diese Geräte nur bei drohendem Herzversagen eingesetzt. Mit zunehmender Erfahrung versucht man nun, die Systeme zeitiger zu implantieren. Damit konnten die Chirurgen die Sterblichkeitsrate von 30 Prozent vor fünf Jahren auf nunmehr unter zwölf Prozent senken. Mehr als 100 Patienten leben nun mit dem Herzunterstützungssystem Heartmate oder dem kleineren Nachfolgesystem Heartware und sind in der MHH in der ambulanten Betreuung. „Die Anzahl dieser Patienten nimmt rapide zu, darauf müssen wir uns einrichten“, sagt Professor Haverich. Dazu bedarf es einer engmaschigen Betreuung, aber auch die Muskulatur des Bewegungsapparates muss bei vielen Patienten nach einer solchen Operation über viele Monate wieder aufgebaut werden: Die Herzschwäche hatte zuvor zum Verlust der „Muskelmasse“ geführt.

    Bei Nino Wolfram hatte sich eine Herzschwäche vor fünf Jahre plötzlich bemerkbar gemacht. „Mir ging es rapide schlechter“, erinnert sich der 26-Jährige aus Oschersleben in Sachsen-Anhalt. Er wurde auf die Transplantationsliste gesetzt. Als sich sein Zustand dramatisch verschlimmerte und kein Spenderorgan zur Verfügung stand, erhielt Nino Wolfram im Oktober 2005 als 18. Patient in der MHH das Kunstherz Heartmate II. „Die Technik ist für mich eigentlich kein Problem“, sagte Nino Wolfram, „damit lässt sich ganz gut leben. Ich kann halt nur nicht mehr Baden gehen.“ Das ist nicht möglich, da das Verbindungskabel zwischen Pumpe einerseits und Steuerelektronik und Batterie anderseits aus dem Bauch austritt. „Aber mehr als lästig sind die schweren und klobigen Akkus.“ Nino Wolframs Herzunterstützungssystem wird noch mit Nickel-Cadmium-Akkus betrieben. Jeder wiegt 750 Gramm, zwei Stück sind in dem Tragegürtel untergebracht. Eine Ladung hält zwischen zwei und drei Stunden, dann müssen die Akkus getauscht werden.

    „Die neueren Kunstherzen werden mit den viel leichteren Lithium-Ionen Akkus betrieben“, erklärt Professor Strüber. „Dies ist für die Lebensqualität enorm wichtig: Wir versuchen Patienten, die im Berufsleben stehen, unbedingt die weitere Berufstätigkeit zu erhalten, das klappt auch in den meisten Fällen.“ Die Akkus halten nun acht bis zwölf Stunden. Doch die Krankenkassen wollen die Kosten für die Umrüstung in Höhe von etwa 30.000 Euro nicht übernehmen. Und daher muss Uwe Schulze jeden morgen mit einem fast zehn Kilogramm schweren Rucksack vollgepackt mit Akkus in den Arbeitstag starten. „Um kurz nach sechs verlasse ich das Haus, zwischen 19 und 20 Uhr bin ich wieder da“, erzählt der 50-Jährige aus Hötensleben in Sachsen-Anhalt. „Für einen so langen Arbeitstag brauche ich so viele Akkus, die sind schließlich meine Überlebensgarantie.“ Schulze arbeitet als Prokurist und kaufmännischer Leiter in Wanzleben und Wolmirstedt. „Ich habe mir mein Leben mit dem Kunstherz eingerichtet – gehe arbeiten, bin schon mit meiner Lebensgefährtin nach Italien in den Urlaub geflogen und empfinde das System – bis auf die leidigen Akkus – nicht als störend.“

    Bastian Heidhoff aus dem niedersächsischen Kreis Stade lebt von den drei Patienten am längsten mit dem Kunstherz. Vor neun Jahren wurde bei ihm eine Herzschwäche festgestellt. Im Jahr 2005 verschlechterte sich sein Zustand dramatisch, das Herzunterstützungssystem, dass er am 5. Juli 2005 erhielt, war sein Lebensretter. „Über Jahre habe ich ganz gut damit gelebt ¬– fast wie jeder andere in meinem Alter“, sagt der 28-Jährige. Er konnte wieder Rad fahren und auch zum Hamburger Sportverein ins Stadion gehen. „Im Frühjahr habe ich dann plötzlich Herzrhythmusstörungen bekommen“, erinnert er sich. Sie waren so stark, dass sein Defibrillator das Herz mit gezielten Stromschlägen wieder in Takt bringen musste. „Das war schon sehr heftig. Seither habe ich das Vertrauen in mein eigenes Herz verloren.“ Der Gedanke an ein Spenderherz, den er schon lange bewegt hatte, wurde immer stärker. Bastian Heidhoff hat sich entschieden, er wartet seit nunmehr zwölf Wochen in der MHH auf eine Transplantation. Und er bittet jeden zu überlegen, einen Spenderausweis auszufüllen – denn: „Jeder kann Leben schenken.“

    Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Martin Strüber, strueber.martin@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-3373.

    Ein Foto können Sie in der Pressestelle anfordern.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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