(Berlin) Auf dem Deutschen Schmerzkongress in Berlin geben Experten Empfehlungen für die Opioid-Behandlung von starken chronischen Schmerzen, die nicht durch Tumoren verursacht werden.
Zur Linderung der Schmerzen von Tumorpatienten existieren bereits seit vielen Jahren Therapieempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, der so genannte Stufenplan. Diesem zufolge sollen leichte Schmerzen mit einfachen Analgetika behandelt werden. Bestehen die Schmerzen weiter oder nehmen sie zu, sollen zunächst schwach wirksame, dann stark wirksame Opioide (Morphin und dessen synthetische Abkömmlinge) eingesetzt werden - oft auch in Verbindung mit anderen Medikamenten und Behandlungsformen.
Anders sieht es jedoch bei allen anderen starken chronischen Schmerzen aus. Zu deren Therapie mit Opioiden fehlen vergleichbare internationale Empfehlungen bis heute. Der Grund: ein Mangel an wissenschaftlich kontrollierten Studien, die den Nutzen einer Langzeitbehandlung mit Opioiden bei Nicht-Tumor-Schmerzen eindeutig belegen. "Bis heute liegen nur vier placebokontrollierte Studien zur kurzfristigen Wirksamkeit von Opioiden bei chronischen Nicht-Tumor-Schmerzen vor," erklärt Professor Christoph Stein vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin.
Überprüft in solchen wissenschaftlichen Studien haben Ärzte beispielsweise die Wirksamkeit einer maximal neunwöchigen Opioidbehandlung bei Weichteilschmerzen, entzündlichen Gelenkerkrankungen (Osteoarthritis) oder Nervenschmerzen nach einer Herpes-Zoster-Infektion. In allen Untersuchungen konnten die Schmerzen der Patienten zwar gelindert werden, doch nur bei zwei Studien analysierten die Ärzte auch den Einfluss der Therapie auf Lebensqualität und psycho-soziale Funktionen. "In allen Studien traten erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen auf, die bei einer signifikanten Zahl von Patienten einen Abbruch der Behandlung erforderlich machten", so Stein.
Die Ergebnisse verschiedener Fallberichte und unkontrollierter Untersuchungen, bei denen die Patienten ausschließlich Opioide erhalten haben, sind widersprüchlich und führen eher zu der Schlussfolgerung, dass nur ein Teil der Patienten mit chronischen Nicht-Tumorschmerzen von einer Opioid-Behandlung profitiert. "Einigkeit besteht offensichtlich nur darin", sagt Stein, "dass durch Opioidtoleranz, körperliche Abhängigkeit oder Sucht eher selten Probleme entstehen."
Warum die Ergebnisse einer Opioid-Behandlung so unterschiedlich ausfallen, dürfte an der Komplexität chronischer Schmerzen liegen, erklärt der Anaesthesiologe. "Das Gefühl Schmerz ist nicht nur das Symptom einer Gewebeverletzung, sondern wird auch durch subjektive Erfahrungen, Depressionen, Emotionen wie Angst und Enttäuschung sowie soziale Beziehungen und das Gesundheitssystem beeinflusst." Dies bedeutet für die Behandlung im Klartext, dass nicht nur der Schmerz, sondern stets der ganze Mensch untersucht und mit einem ganzen Bündel von Therapiestrategien behandelt werden muss - nicht nur mit Medikamenten.
Darum wollen die Experten auf dem Schmerzkongress jetzt die zukünftige "Marschrichtung" für den Einsatz von Opioiden beim Nicht-Tumorschmerz vorgeben. Denn dies ist für die Mehrzahl der Patienten mit chronischen Schmerzen in Deutschland von großer Bedeutung. Eine Arbeitsgruppe hat Empfehlungen ausgearbeitet, die auf dem Kongress diskutiert und verabschiedet werden sollen.
Die Essenz dieser Empfehlungen lautet: "Nicht-Tumorschmerz kann als "ultima ratio" auch mit Opioiden behandelt werden, wenn die Schmerzen auf diese Therapie ansprechen, jedoch nur unter strenger, regelmäßiger Kontrolle des Therapieerfolgs", erklärt Stein. Als Therapieerfolg werten die Experten nicht nur die Schmerzlinderung, sondern in erster Linie auch eine funktionelle Verbesserung des Zustandes der Patienten. Dazu gehören etwa Leistungsfähigkeit oder die Wiedereingliederung ins Berufs-, Sozial-, und Familienleben. Wichtig ist darum auch vor allem, dass eine solche Therapie in ein mehrgleisiges, interdisziplinäres Behandlungs-konzept mit anderen, etwa aktivierenden und psychologischen Behandlungsstrategien eingebunden ist.
Dann, so vermuten die Experten, könnten etwa Patienten mit starken Rückenschmerzen, die durch morphologische Schäden und Veränderungen verursacht werden, sowie Patienten mit schweren chronisch-entzündlichen oder fortgeschrittenen degenerativen Knochen- und Gelenkserkrankungen von einer solchen Therapie profitieren. Auch wenn Patienten wegen Erkrankungen von Gehirn, Rückenmark oder Nervensystem unter Schmerzen leiden, könnten Opioide sinnvoll sein.
Aufgrund des gegenwärtigen Wissensstandes raten die Schmerztherapeuten hingegen von einer Opioid-Therapie bei allen primären Kopfschmerzen (etwa Migräne und Spannungs-kopfschmerz) ab. Ebenso dann, wenn Schmerzen vorwiegend seelisch bedingt oder durch erhebliche psychologische Faktoren beeinflußt sind. Auch wenn Nervenschmerzen ausschließlich als Schmerzattacken auftreten, etwa bei einer Trigeminus Neuralgie, ist eine Opioid-Behandlung nicht sinnvoll.
Allerdings betont Stein, dass "ein dringender Bedarf an wissenschaftlichen Studien zur mehrmonatigen Langzeitanwendung von Opioiden in Verbindung mit anderen Therapiestrategien bei Nicht-Tumor-Schmerzen besteht." In diesen müsse nicht nur die Schmerzlinderung, sondern auch die Reduzierung von Leiden, Depression, die funktionale Verbesserung, soziale Wiedereingliederung sowie die Abnahme der Nutzung des Gesundheitssystems infolge der Behandlung überprüft werden.
Pressestelle
Deutscher Schmerzkongress - bis 7.10.
Barbara Ritzert
Tel. 030/314-22800
mail: ritzert@proscientia.de
Rückfragen an:
Prof. Dr. med. Ch. Stein
Klinik für Anaesthesiologie und Operative Intensivmedizin
Freie Universität Berlin, Klinkum Benjamin Franklin
Hindenburgdamm 30
12200 Berlin
Tel.: 030-8445-2731
Fax: 030-8445-4469
e-mail: christoph.stein@medizin.fu-berlin.de
http://www.schmerz-kongress.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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