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15.04.1998 00:00

Einfluss des St.George-Kreises auf Bildungsideologie

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 15.04.1998 Nr. 75

    Bildungsideologie - Wegbereiter des Dritten Reichs?

    Ideales und Emotionales im Denken des deutschen Bürgertums

    RUB-Wissenschaftlerin zum Einfluß des Stefan-George-Kreises

    Hat das bürgerliche Bildungsideal der Jahrhundertwende den Nationalsozialisten den Boden bereitet? War es der Glaube an die Kompetenz von Dichtern und antiken Denkern, der eine politische Analyse verhinderte? Verschleierte eine emotionale Aneignung von Bildung den Blick auf die Realität? Diesen Fragen geht die Bochumer Erziehungswissenschaftlerin Dr. Carola Groppe in ihrer Dissertation ,Die Macht der Bildung. Das deutsche Bürgertum und der George-Kreis 1890 - 1933" nach. Die Arbeit wurde betreut von Prof. Dr. Detlef K. Müller (Institut für Pädagogik der RUB). Dr. Groppe erhielt für ihre Untersuchung den Wilhelm-Hollenberg-Preis der Gesellschaft der Freunde der RUB 1997.

    Der Stefan-George-Kreis

    Der Stefan-George-Kreis diente der Bochumer Wissenschaftlerin als idealtypisches Objekt, den Bildungsbegriff am Ende der Kaiserzeit und während der Weimarer Republik darzustellen. Dazu analysierte sie die Binnenstrukturen des Kreises, stellte seine weltanschaulichen Grundideen dar, beschrieb die Lebenswege und die - durchaus nicht einheitlichen - Reformbestrebungen der wichtigsten Kreismitglieder. Außerdem hat sie die Rezeption der Schriften des Kreises und der Dichtung Stefan Georges vor allem durch die bürgerliche Jugend nach der Jahrhundertwende dargestellt. Der Kreis aus jungen Geisteswissenschaftlern um den Dichter Stefan George kämpfte gegen die Reduktion von Bildung auf bloße Wissensakkumulation und Qualifikation. Er fühlte sich vor allem der Erneuerung der Geisteswissenschaften unter dem Zeichen der Dichtung verpflichtet: Sturm und Drang, Klassik und der deutsche Idealismus hatten die Überzeugung genährt, daß die Dichter im Bildungsprozeß eine existenzielle Sonderstellung hätten.

    Der emotionale Bildungsbegriff

    Zwar führten die Erfolge der Naturwissenschaften, die rasende Industrialisierung und die akademische Arbeitslosigkeit zu einem Legitimationsdruck auf den klassischen Bildungsbegriff am Beginn des 20. Jhds. Doch der zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte Bildungsbegriff wurde, nicht zuletzt mit Hilfe des George-Kreises, wieder aufgenommen und zugleich instrumentalisiert: Erneut wurden die Geisteswissenschaften weltanschaulich überhöht. Sensibiliät, Einfühlung und intuitives Verstehen sollten vor allem die Gebildeten zum Genuß von Kultur befähigen. Der Bildungsanspruch auf einen freien, in der Gesellschaft mitverantwortlich handelnden Menschen geriet damit aus dem Blick.

    Der Kreis nach 1933

    Der George-Kreis engte das Leben seiner Mitglieder durch keine Satzung ein. So gab er, wie die Bochumer Erziehungswissenschaftlerin folgert, auch keine Option für oder gegen ein politisches Programm vor. Auffallend ist bei einigen Kreismitgliedern die Naivität gegenüber realen politischen Machtmechanismen: Aus bildungsbürgerlichem Selbstverständnis schätzten sie die Politik als minder wichtig ein, da sich die `wahre' Revolution für sie ja im `Reich des Geistes' abspielte. So waren die Mitglieder des Kreises, in dem Juden und Nichtjuden zunächst freundschaftlich verbunden gewesen waren, 1933 auch in der Judenfrage auf sich selbst gestellt. Der Kreis zerbrach nach dem Tod Georges 1933 schließlich an dieser Frage. Stefan George ließ den folgenden hilflosen Satz in einer Buchbesprechung abdrucken: ,Glauben Sie ja nicht, daß es mir gut geht, wenn es meinen besten Freunden (den Juden im Kreis) so schlecht geht"...

    Weitere Informationen

    Dr. Carola Groppe, Ruhr-Universität Bochum, Institut für Paädagogik, 44780 Bochum, Tel. 0234/700-4750, privat: 0201/481380


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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