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20.12.2010 11:39

Studie zeigt, wie wenig Träume über uns verraten

Frank Luerweg Abteilung Presse und Kommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Unsere Träume werden augenscheinlich viel weniger durch unsere Lebenssituation beeinflusst als häufig angenommen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Universitäten Bonn und Frankfurt sowie der Harvard Medical School. Die Forscher haben die Träume von taubstumm oder gelähmt geborenen Menschen mit denen von Personen ohne Handicap verglichen. Selbst geschulte Analytiker konnten nicht zuordnen, von welcher Personengruppe die jeweiligen Traumbilder stammten. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift „Consciousness and Cognition“ erschienen (doi: 10.1016/j.concog.2010.10.020).

    An der Studie nahmen vier taubstumme, zehn gelähmte und 36 nicht behinderte Personen teil. Die Probanden führten ein Traumtagebuch und notierten darin ihre nächtlichen Phantasien. Innerhalb von zwei Wochen kamen so mehr als 350 detaillierte Beschreibungen zusammen, die die Forscher inhaltlich und formal auswerteten.

    Interessanterweise spielte die Behinderung in den wenigsten Träumen eine Rolle: Gelähmte gingen, rannen oder schwammen, obwohl sie diese Bewegungen in Realität noch nie vollzogen hatten. Taubstumme kommunizierten im Schlaf nicht in Gebärdensprache, sondern konnten hören und sprechen.

    Keine Freudsche Wunscherfüllung

    Laut Sigmund Freud gehen in unseren Träumen unsere tiefsten Wünsche in Erfüllung. Man könnte die Ergebnisse der Studie demnach als Sehnsucht der Betroffenen deuten, ihre Behinderung hinter sich zu lassen. „Unsere Resultate sprechen gegen diese Interpretation“, betont die Bonner Psychologin Dr. Ursula Voss. „In den Träumen der gelähmten Teilnehmer spielte das Motiv ‚Bewegung’ keine besondere Rolle: Es tauchte weder häufiger noch seltener auf als bei Nichtgelähmten. Bei den taubstummen Probanden war es genauso.“

    Möglicherweise enthalten Träume aber verborgene Hinweise auf den Träumenden, die in einer statistischen Auswertung nicht hinreichend erfasst werden. Die Forscher wollten diese These testen. Sie baten daher einen Psychoanalytiker, einen Verhaltenstherapeuten, einen Psychologen und (als Fachfremden) einen Physiker, die Schlafphantasien zu analysieren. Die Testpersonen sollten für jeden einzelnen Traum herausfinden, ob er von einem Taubstummen, einem Gelähmten oder einem Probanden ohne Behinderung stammte.

    Das gelang ihnen unabhängig von ihrer Ausbildung nur in einem geringen Teil der Fälle. So ordneten die Tester lediglich jeden dritten Traum eines Gelähmten korrekt dieser Gruppe zu. Bei den Träumen von Taubstummen lagen die Tester sogar nur in 20 Prozent der Fälle richtig.

    „Unsere Probanden sind mit ihrem Handicap zur Welt gekommen“, sagt Dr. Ursula Voss. „Sie wissen nicht, wie es ist, etwas zu hören; sie sind noch nie gelaufen oder geschwommen. Diese Erfahrungen fehlen ihnen komplett. Vor diesem Hintergrund ist es besonders erstaunlich, dass man davon in den Träumen so wenig merkt: Dort scheinen Taubstumme oder Gelähmte all das zu können, wozu Menschen eben normalerweise befähigt sind.“

    Unser Traum-Ich hat keine Ecken und Kanten

    Sieht man also in den Träumen nicht sich selbst, sondern gewissermaßen ein Ideal, eine Art menschlichen Prototypus ohne Ecken und Kanten? Mit einem noch unveröffentlichten Experiment haben die Wissenschaftler versucht, diese Frage zu beantworten. Sie malten dazu auf die Hände gesunder Versuchspersonen einen roten Fleck und frischten diese Markierung über mehrere Wochen immer wieder auf. Außerdem baten sie ihre Probanden, sich vor dem Einschlafen gedanklich mit dem Farbklecks auf ihrer Hand auseinander zu setzen. In die Träume stahl sich die Markierung dennoch nicht. „Allerdings sind Träume flüchtig“, relativiert Voss. „Schon kurz nach dem Aufwachen kann man sich oft nicht mehr an alle Details erinnern.“

    Bei aller Ähnlichkeit enthalten Träume aber natürlich auch viele persönliche Anspielungen. Für Außenstehende scheint es aber schwer zu sein, diese zu dechiffrieren. „Vielleicht ist es ja so, dass nur der Träumer selbst weiß, wie er den Inhalt seines Traums interpretieren muss“, vermutet Ursula Voss. Die Forscher planen nun eine Anschlussstudie, um diese These weiter zu untersuchen. Außerdem wollen sie so herausfinden, ob sich Ereignisse, die ihre Probanden akut besonders beschäftigen, in den Träumen wiederfinden.

    Kontakt:
    Privatdozentin Dr. Ursula Voss
    Institut für Psychologie, Universität Bonn
    Telefon: 0228/73-4351
    E-Mail: u.voss@uni-bonn.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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