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02.11.2001 10:41

Auftakt der Augsburger Forschungstage 2001 zum Leitbegriff der Interdisziplinarität

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Die Tage der Forschung beginnen mit einer Zeitreise zum Thema Wahlen und mit Fasern, Fäden und Knoten im Netz der Disziplinen -

    Vom 5. bis zum 9. November sind alle, die sich einen exemplarischen Überblick über die breite Palette aktueller Forschungsprojekte an der Universität Augsburg verschaffen wollen, wieder zu den "Augsburger Tagen der Forschung" eingeladen. Die Eröffnung des fünftägigen Programms, das über zwanzig einzelne Veranstaltungen verzeichnet, steht am 5. November (Beginn 18 Uhr im HS IV des großen Hörsaalzentrums, Universitätsstraße 10) unter dem Motto "Interdisziplinarität als Leitbegriff der Forschung".

    Nach einer allgemeinen Einführung in das Rahmenthema durch die für den Bereich Forschung zuständige Prorektorin Prof. Dr. Karin Aschenbrücker werden der Mathematiker Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim und der Chemiker Prof. Dr. Armin Reller am Beispiel zweier Projekte demonstrieren, was Fachgrenzen überschreitende Forschungskooperationen zu leisten vermögen:

    LLULL, CUSANUS, BORDA, CONDORCET: EINE INTERDISZIPLINÄRE ZEITREISE ZUM THEMA WAHLEN
    Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim zu seinem Vortrag am 5. November

    "Am Ende von Wahlen müssen die von den Parteien errungenen Stimmenzahlen in Mandate verrechnet werden. Der Beitrag der Mathematik besteht darin, solche Mandatszuteilungsmethoden - von denen es unzählig viele gibt - nach ihren Auswirkungen zu unterscheiden. Die Gütekriterien, die anzulegen sind, können aber nicht durch innermathematische Überlegungen hergeleitet werden, sondern sind bestimmt durch die politischen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Wahl stattfindet.

    Dieser vom Thema diktierten Interdisziplinarität hat sich der Mathematiker Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Rainer-Olaf Schultze und dem Verfassungsrechtler Prof. Dr. Johannes Masing in fakultätsübergreifenden Seminaren genähert, von denen eines 'Wahlverfahren in der Demokratie' zum Gegenstand hatte und ein zweites 'Juristische und mathematische Probleme des Wahlrechts' untersuchte. Dabei ergab sich, dass die Wahlgrundsätze, die in Massendemokratien die legitimitätsstiftende Bindungswirkung von Wahlen begründen, oft zu einseitig als eine Errungenschaft der Neuzeit dargestellt werden, die aus den Umwälzungen im Gefolge der Französischen Revolution erwachsen sind. Das ist viel zu kurz gegriffen.

    Schon im Mittelalter gab es zahlreiche einschlägige Untersuchungen, etwa ob die Stimmen gleich zählen oder gewichtet werden sollen oder ob offen oder geheim gewählt werden soll. Im Vortrag von Professor Pukelsheim wird eine solche zeitliche Verklammerung geschildert, die ein neues Licht auf zwei der Literatur wohlbekannte Abstimmungssysteme wirft: auf das von Jean-Charles de Borda (1733-1799) und das des Marquis de Concorcet (1743-1794). Der Streit zwischen den beiden Zeitgenossen, wer das bessere System habe, ist so bunt und bitter, dass er noch heute der Wissenschaft Freude bereitet. Ob es die Streithähne beruhigt hätte, wenn sie gewusst hätten, dass ihre Systeme alte Hüte waren? Das Wahlsystem des Condorcet entwirft dreihundert Jahre vorher Nikolaus von Kues (1401-1464): in seiner Schrift 'De concordantia catholica' (1433) empfiehlt er es für die Wahl des Deutschen Königs durch die Kurfürsten. Das System Borda wurde sogar fünfhundert Jahre früher formuliert: der katalanische Religionsphilosoph Ramon Llull (1232-1316) beschreibt es für Wahlen von kirchlichen Amtsträgern.

    Nach mittelalterlicher Überlieferung hat sich Llull an drei Stellen seines Schrifttums zum Thema Wahlen geäußert. Eine dieser Quellen, das Traktat 'Artifitium electionis personarum' (vor 1283), galt als verschollen und wurde im Zuge der Augsburger Forschungen nun wiederentdeckt. Die Abschrift stammt aus der Hand von Pier Leoni (gest. 1492), Leibarzt von Lorenzo de' Medici, und ist enthalten im Codex Vaticanus latinus 9332 der Apostolischen Bibliothek des Vatikans. Im Vergleich zu den beiden anderen Llull-Quellen ist der wiedergefundene Text der älteste, längste und detaillierteste. In bester interdisziplinärer Manier wurde der Text ediert und ist nun als Web-Edition unter der Adresse im Internet ausgestellt."

    FASERN, FÄDEN UND KNOTEN IM NETZ DER DISZIPLINEN
    Prof. Dr. Armin Reller zu seinem Vortrag am 5. November

    "Wir hüllen uns - so will es unsere Art - in Fäden aus Fasern, kunstvoll zu ansehnlichen Textilien verknotet. Mitteilungen zwängen mehr und mehr und rasend schnell durch Metall- und Glasfasern, die als weitverzweigtes Netz den der Kommunikation verfallenen Globus einhüllen. Die Spinne wartet, um zu gegebener Zeit die das kunstvoll gespannte Netz übersehende Fliege in ihr Totenhemd zu kleiden. Die Vernetzung des Wissens inter disciplinas gilt als tragfähiges Entwicklungskonzept.

    Hinter drei, vier alltäglichen Begriffen verheddern sich vielfältige Zusammenhänge. Um ein Quäntchen Transparenz zu gewinnen, soll einigen Fäden und Fasern nachgegangen, deren Anfang und Ende ausgekundschaftet und deren Sinn und Zweck ergründet werden. Erschwerend wirken bei diesem Unterfangen die Knoten, die Kreuzungspunkte, an denen nach eigenem Gusto oder auf Geheiß höherer Ordnung und Gewalt die Richtung beibehalten oder geändert wird, Entscheidungen zu treffen sind, um das noch nicht erkennbare Netzwerk zu begreifen und zu betreiben. Ariadnes Faden wäre oft hilfreich.

    Um nicht ganz in der Luft hängen zu bleiben, sollen der Spinnenfaden, die Baumwollfaser, das Stromkabel, der Nylonfaden und die Glasfaser als Wegweiser zu Rate gezogen werden. Durch sie hervorgerufene stoffliche, sozioökonomische, ökologische und vielleicht sogar kulturelle Vernetzungen werden ersichtlich. Dass dies nur durch die Verknüpfung von Wahrnehmungen und Überlegungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln erfolgreich gestaltet werden kann, spricht gleichzeitig für die Möglichkeiten und Beschränkungen (inter-)disziplinären Denkens und Handelns."

    PREISE DER AUGSBURGER UNIVERSITÄTSSTIFTUNG

    Am Ende der Auftaktveranstaltung zu den Tagen der Forschung steht traditionellerweise die Verleihung der drei Wissenschaftspreise der Augsburger Universitätsstiftung. Sie gehen in diesem Jahr an einen Informatiker, eine Literaturwissenschaftlerin und an einen Politikwissenschaftler:
    o Dr. Wolf-Tilo Balke erhält den Preis für seine Dissertation "Efficient Combination of Ranked Result Sets in Multi-Feature Applications";
    o Dr. Bettina Englmann wird ausgezeichnet für ihre Dissertation "Poetik des Exils. Die Modernität der deutschsprachigen Exilliteratur" und
    o die preisgekrönte Doktorarbeit von Dr. Thomas Gutschker hat den Titel "Aristotelische Diskurse - Studien zur Rezeption und Transformation aristotelischer Denkfiguren in der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts".
    ____________________________________

    Ein kommentiertes Gesamtprogramm der Augsburger Tage der Forschung steht im Internet unter der Adresse http://www.uni-augsburg.de/tagederforschung zur Verfügung.


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-augsburg.de/tagederforschung
    http://www.uni-augsburg.de/llull


    Bilder

    Auf interdisziplinärer Zeitreise durch die Geschichte der Wahlsysteme wiederentdeckt: Llulls Traktat "Artificium electionis personarum" (Codex Vaticanus latinus 9332, folio 12v)
    Auf interdisziplinärer Zeitreise durch die Geschichte der Wahlsysteme wiederentdeckt: Llulls Traktat ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
    regional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Auf interdisziplinärer Zeitreise durch die Geschichte der Wahlsysteme wiederentdeckt: Llulls Traktat "Artificium electionis personarum" (Codex Vaticanus latinus 9332, folio 12v)


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