Universitätsmedizin Greifswald startet große SMS-Studie mit alkoholabhängigen Patienten
„Sehr geehrter Herr Schmidt, benötigen Sie Hilfe?“ Alkoholabhängige Patienten in Mecklenburg-Vorpommern werden diese Frage schon bald regelmäßig per SMS (Short-Message-Service) in ihrem Handy lesen und bei der Antwort „JA“ mit Hilfe rechnen können. Die Universitätsmedizin Greifswald startet nach einem Testlauf mit etwa 80 Patienten in Kooperation mit dem Koordinierungszentrum für klinische Studien Leipzig und drei weiteren Kliniken im Nordosten eine große Langzeitstudie mit 468 Patienten.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt die klinische Studie mit einer Laufzeit von drei Jahren mit 949.200 Euro. Das Projekt steht unter Federführung des Greifswalder Psychiaters Privatdozent Dr. Michael Lucht (Foto) aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Mitantragsteller sind Prof. Harald J. Freyberger (Psychiatrische Klinik) und Prof Dr. Ulrich John (Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin).
Nur maximal acht Prozent der alkoholabhängigen Patienten in Deutschland werden fachgerecht therapiert. Selbst ein auf optimistischen Schätzungen beruhender Ausbau medizinischer Hilfen würde nicht ausreichen, um den hohen Bedarf bei der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen auch nur annähernd zu decken. Alkoholabhängigkeit ist eine chronisch-wiederkehrende Störung, die die meisten Patienten ihr Leben lang begleitet. „Wir wollen wissenschaftlich nachweisen, welche Effekte eine langfristig angelegte Fernbetreuung per SMS für die Betroffenen bringt“, erläuterte Dr. Michael Lucht. „Wir werden als Ansprechpartner über einen längeren Zeitraum bereitstehen, falls wir per SMS ein Hilfesignal vom Patienten erhalten.“
Per SMS die Abhängigkeit in den Griff bekommen
In der Mitte des Jahres beginnenden Studie soll die Effektivität einer zwölfmonatigen standardisierten und SMS-basierten Betreuung von Menschen mit Alkoholproblemen getestet werden. Ziel ist die Erhöhung von Abstinenzraten und die Senkung des Alkoholkonsums bei Patienten nach qualifizierter Entgiftung in vier psychiatrischen Krankenhäusern in Mecklenburg-Vorpommern. Neben der Stralsunder Klinik (Universitätsklinik für Psychiatrie im HANSE-Klinikum) beteiligen sich die Krankenhäuser für Psychiatrie der Johanna Odebrecht Stiftung Greifswald, die Carl Friedrich Flemming HELIOS Klinik Schwerin und die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Rostock als Projektpartner. Als Vergleichsgruppe dienen Patienten, die ohne SMS eine Standardbehandlung erhalten.
Es werden regelmäßig automatisiert SMS verschickt, um von den Patienten Zustandswerte und Hilfebedarfe zu erfassen. Im Falle eines Hilfebedarfs ruft der Therapeut zurück und bietet gezielte Unterstützung an. Die Ergebnisse werden systematisch erfasst und elektronisch ausgewertet. In einer Pilotstudie erwies sich das Verfahren der SMS-Intervention als sehr gut umsetzbar.
„Seit einigen Jahren werden verhaltensverändernde SMS-Modelle bei einer Vielzahl von Krankheiten getestet“, so Lucht weiter, „so beispielsweise bei Rauchern, Diabetikern und übergewichtigen Kindern.“
Zu den großen Vorteilen SMS-basierter Interventionen zählt die vorhandene Infrastruktur mit einer nahezu vollständigen Durchdringung der Gesellschaft mit Zugang zum Mobiltelefon. Eine SMS erlaubt relativ kurze Botschaften, die direkt individuell an jeden Ort jederzeit verschickt werden können. Zudem kann der Empfänger die Nachricht zu einer ihm genehmen Zeit lesen. Nicht zuletzt ist die SMS-Kommunikation mit geringem Kosten- und Zeitaufwand in den Alltag integrierbar. „Interessanterweise ist in der relevanten Zielgruppe die Nutzung von Mobiltelefonen weit verbreitet und die Erreichbarkeit außerordentlich gut gesichert. Die Hemmschwelle beim Umgang mit Kurznachrichten im Telegrammstil ist gleichzeitig sehr gering“, machte der Psychiater deutlich.
Erste Ergebnisse in der Pilotstudie 2009 haben eine erstaunlich hohe Teilnahmetreue von 90 Prozent der Patienten ergeben. Der Vorteil für die Einsparung von Ressourcen zeigte sich in der Zahl von mehreren tausend Operationen, die das System vollautomatisch bereitgestellt hat wie SMS-Botschaften, Antworten, E-Mails und unterstützende Botschaften. Diesbezüglich wurde auf die telemedizinischen Erfahrungen des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin zurückgegriffen.
In der Testgruppe konnten erste positive Hinweise für eine Verringerung des Alkoholkonsums registriert werden, die allerdings nicht als methodisch abgesicherter Wirksamkeitsnachweis gelten können. Eine jetzt umfangreichere Studie soll letztendlich zeigen, ob SMS-basierte Hilfsprogramme für den alltäglichen Einsatz geeignet sind.
Patienten erhalten nach erfolgter stationärer qualifizierter Alkohol-Entgiftung über ein Jahr lang mehrfach die Woche eine SMS. Die SMS werden automatisch durch einen PC mit einem Mobiltelefonsender versandt. Der Computer verschickt dann zum Beispiel zu festgelegten Zeiten die Botschaft: „Werter Herr Schmidt, haben Sie Alkohol getrunken oder benötigen Sie Hilfe? Bitte antworten Sie mit A für Ja oder B für Nein.“ Die Teilnehmer haben dann 24 Stunden Zeit, um zu antworten. Wenn ein Teilnehmer mit B (= kein Hilfebedarf) antwortet, versendet der Computer automatisch eine kurze Antwort mit einem aufmunternden Satz. Lässt der Teilnehmer erkennen, dass er Hilfe benötigt oder nicht innerhalb einer 24-Stunden-Frist antwortet, erhält der Betreuer eine E-Mail mit dem Aufruf, seinen Patienten zu kontaktieren, um die Situation zu erfassen und ihm gegebenenfalls zu helfen. „Sollte unsere Studie belegen, dass eine SMS-Intervention den Alkoholkonsum senkt, würde uns ein sehr einfaches Werkzeug zur Langzeitbehandlung der Alkoholabhängigkeit zur Verfügung stehen“, so Lucht abschließend.
Universitätsmedizin Greifswald (UMG)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Direktor: Prof. Harald J. Freyberger
Projektleiter: PD Dr. Michael Lucht
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
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Forschungsprojekte
Deutsch
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