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21.11.2001 18:37

Pressemeldung Kompetenznetz Rheuma 10/01

Dr. Julia Rautenstrauch Geschäftsstelle der DGRh
Kompetenznetz Rheuma in der Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh)

    Berliner Rheumatologen vor dem Bankrott:
    Versorgung Rheumakranker in der Hauptstadt akut gefährdet

    Die Berliner Rheumatologen stehen vor dem Ruin. Schuld daran ist die vollkommen unzureichende Vergütung ihrer Leistungen. Die Honorare sind in den letzten Jahren trotz steigender Patientenzahlen dramatisch gesunken und liegen weit unter den Beträgen, die in anderen Bundesländern üblich sind. Inzwischen gibt es in der Hauptstadt nur noch 10 (!) niedergelassene internistische Rheumatologen. Eigentlich müssten es 35 sein, folgt man den Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, die von einem Bedarf von einem Rheumatologen pro 100.000 Einwohner ausgeht. Doch selbst die "letzten Mohikaner" unter den Berliner Rheumatologen werden bald das Facharztschild an den Nagel gehängt haben. "Ihr Wegfall wird die Versorgung von Patienten mit einer entzündlich-rheumatischen Krankheit gravierend verschlechtern", befürchtet Frau Privatdozentin Dr. Angela Zink vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin.

    Alle Verantwortlichen wissen es: Wer an einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung leidet, braucht qualifizierte ärztliche Betreuung. Die alleinige Versorgung durch den Hausarzt reicht in der Regel nicht aus. Zu kompliziert sind die Krankheitsbilder, zu vielfältig die Behandlungsmöglichkeiten und zu bedrohlich die Folgen der Krankheiten. Die Spezialisten auf diesem Gebiet sind die internistischen Rheumatologen. Beispielsweise können die neuen, sehr wirksamen biologischen Rheumamedikamente praktisch nur von Rheumatologen verordnet werden. Immer mehr Hausärzte sind bereit, im Interesse ihrer Patienten einen internistischen Rheumatologen hinzuzuziehen. Doch in Berlin dürften sie bald niemanden mehr finden, an den sie sich wenden können.

    Derzeit kann nur jeder vierte Rheumakranke durch einen Rheumatologen mitbetreut werden. Dies haben Studien des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin unter Federführung von Frau Dr. Zink ergeben. Doch die wenigen noch bestehenden rheumatologischen Praxen in Berlin sind durch eine verfehlte Gesundheits- und Standespolitik akut gefährdet. Die von den Kassen zur Verfügung gestellten ärztlichen Honorare werden durch die Kassenärztlichen Vereinigungen verteilt. Die dabei angelegten Maßstäbe sind je nach Fachgruppe unterschiedlich und belohnen technische Leistungen meist höher als zuwendungsintensive Medizin. Der seit Jahren stattfindende Rückgang der ärztlichen Honorare trifft die Rheumatologen besonders hart, weil sie viel Zeit für die Patienten brauchen und wenig lukrative technische Leistungen abrechnen können. Zudem erhalten sie als Fachärzte für ein und dieselbe Leistung nur halb so viel Honorar wie Hausärzte - angeblich, weil die Betreuung weniger aufwendig ist als diejenige beim Hausarzt. Das Gegenteil ist aber der Fall.

    Zur Verdeutlichung zwei aktuelle Beispiele:

    1. In der langjährig eingeführten, rheumatologischen Schwerpunktpraxis von Frau Dr. S.werden pro Jahr etwa 900 neue Patienten neben 900 Dauerpatienten behandelt. Von 1995 bis 2001 ist die Zahl der Patienten um 30 % gestiegen. Gleichzeitig hat sich das kassenärztliche Honorar pro Fall fast halbiert (von 110 DM auf 60 DM pro Vierteljahr). Mit diesen 60 DM sind alle Leistungen abgegolten, die Ärztin und Praxispersonal pro Patient innerhalb eines Vierteljahres erbringen. Für die Versorgung chronisch Kranker, die im Schnitt drei bis fünf Mal pro Quartal kommen, erhält die Praxis an Honorar also etwa 15 DM pro Besuch einschließlich Laborleistungen. Zum Vergleich: Eine Facharbeiterstunde kostet heute zwischen 65 und 80 DM. Eine eingehende Beratung wird bei AOK-Versicherten mit 9,40 DM einmal im Quartal vergütet, alle weiteren Beratungen müssen für 2,00 DM pro Besuch geleistet werden. Eine gründliche Erstuntersuchung, die etwa 30 bis 45 Minuten in Anspruch nimmt, erbringt 12,80 DM. Für einen kurzen Arztbrief gibt es 3,20 DM, ein ausführlicher Brief von ein bis zwei Seiten wird mit 7,20 DM vergütet. Darin enthalten sind die Kosten für Schreibarbeiten.

    Da nach Abzug der Kosten von diesen Honoraren nichts übrig bleibt, finanziert die Rheumatologin ihre Arbeit ausschließlich über Privatpatienten, die auf diese Weise unfreiwillig die Versorgung von Kassenpatienten subventionieren. Obwohl die Ärztin durch Überstunden und höheres Arbeitstempo wesentlich mehr Patienten versorgt als 1995, nimmt sie nur noch 76% des damaligen Betrages ein - bei gleich gebliebenen oder gestiegenen Kosten. Das persönliche Gehalt liegt deutlich unter dem eines angestellten Klinikarztes, Rücklagen können nicht gebildet werden. In anderen Bundesländern erhalten Rheumatologen für dieselben Leistungen 50 bis 100 % mehr an Honorar.

    2. Dr. H. betreut in seiner rheumatologischen Schwerpunktpraxis heute pro Quartal fast 400 Patienten mehr als noch Ende 1999. Um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden, hat er seine Arbeitszeit pro Tag um 2 Stunden verlängert und fängt jetzt bereits um kurz vor 7.00 Uhr mit der Sprechstunde an. Dennoch beträgt die Wartezeit der Patienten für einen Termin derzeit 3-4 Wochen und in der Praxis bis zu 3 Stunden. Die hohe Zahl noch nicht diagnostizierter rheumatischer Erkrankungen bei den neuen Patienten hält Dr. H. noch davon ab, einen Aufnahmestopp für die Praxis zu verhängen. Er hat eine Praxisassistentin eingestellt und zwei türkische Arzthelferinnen als Übersetzungshilfe, da ein großer Teil seiner Patienten aus der Türkei stammt. Die Personalkosten sind deshalb deutlich höher als in anderen Praxen.

    Trotz Mehrarbeit und ständig wachsender Patientenzahlen arbeitet auch Dr. H. bestenfalls kostendeckend. Für Hausbesuche, die er inzwischen oft am Sonntagnachmittag erledigt, erhält er 24,40 DM pro Besuch, für die Beratung eines Patienten mit lebensverändernder Erkrankung gerade mal 12,00 DM. Und die so genannte "Rheumatologenziffer" (Nr. 16 im Abrechnungskatalog), die die zuwendungsbetonte Arbeit der Fachärzte eigentlich besonders honorieren sollte, darf erst nach 3 (!) Arztkontakten mit einem Rheumapatienten abgerechnet werden und bringt je nach Kasse gerade einmal 36,00 bis 45,00 DM.

    Damit die chronisch Kranken nicht am Ende die Zeche zahlen, muss die absurde Situation beendet werden, dass technische Leistungen weit mehr zählen als die Zuwendung zum Patienten. Unverständlich ist auch, warum Hausärzte für die identische Leistung fast die doppelte Vergütung bekommen wie Rheumatologen. Die Betreuung Rheumakranker muss als das erkannt werden, was sie ist: Eine anspruchsvolle, zeitaufwendige Arbeit, die großer Fachkenntnis bedarf und von Hausärzten allein nicht angemessen geleistet werden kann. Hier ist die Kassenärztliche Vereinigung Berlin in der Pflicht.

    Ansprechpartner:

    PD Dr. Angela Zink
    Deutsches Rheuma-Forschungszentrum
    Schumannstr. 21/22
    10117 Berlin
    Tel. 030 28460 621
    Fax: 030 28460 626

    - Pressestelle -
    Dr. med. Julia Rautenstrauch, Hermann-Hesse-Str. 4,
    88427 Bad Schussenried
    Tel.: 07583 3818, Fax: 07583 4440,
    e-Mail: Rautenstrauch@t-online.de

    Niedergelassene Rheumatologen:
    Dr. Dorothee Hagemann
    Düppelstr. 40
    12163 Berlin
    030 793 54 85

    Dr. Roland Haux
    Welserstr. 3
    10777 Berlin
    030 211 52 52

    Dr. Ursula Reuter
    Florastr. 48
    13187 Berlin
    030 4863 7456


    Weitere Informationen:

    http://www.rheumanet.org


    Bilder




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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Politik, Recht
    regional
    Organisatorisches, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     


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