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23.02.1998 00:00

Jenaer Linguist erforscht wie Sprache konstruiert ist

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    FSU-Mediendienst

    DFG foerdert Jenaer Projekt zum Sprachverstehen

    Wie Sprache konstruiert ist

    Jena (23.02.98) "Professoren, die immer betrunken sind, sollte man besser nicht anlaecheln". Wenn Prof. Dr. Josef Bayer seinen Testpersonen diesen Satz vorlegt, betreibt er keine Kollegenschelte sondern Sprachforschung. Der Jenaer Linguist ist den syntaktischen Strukturen der deutschen Sprache und deren Verarbeitung beim Sprachverstehen auf der Spur. In einem seit kurzem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefoerderten Projekt erforscht er "Sprachverstehen und variable Wortstellung".

    Menschen verstehen sprachliche AEusserungen beim Hoeren und Lesen, bevor diese abgeschlossen sind. Sie schliessen dabei nach gewissen universellen Prinzipien aus ersten, vertrauten Woertern auf das im Satz folgende. "Der Mensch macht bereits Hypothesen, wie der weitere Satz strukturell aufgebaut ist", erlaeutert Prof. Bayer. Der Beispielsatz wird ohne grosse Verwunderung akzeptiert. Wenn der Satz geaendert wird zu "Professoren, die immer betrunken sind, sollte man besser nicht nachlaufen" folgen hingegen deutliche Reaktionen. Der deutsche Leser erwartet beim Lesen des Wortes "Professoren" zunaechst einen Nominativ. Diese Hypothese muss erstmals bei "sollte" revidiert werden - jetzt wird "Professoren" als Akkusativ interpretiert. Diese 'einfachheitsbasierte' Hypothese muss erneut veraendert werden, wenn das Verb "nachlaufen" wahrgenommen wird. Dieses Verb fordert naemlich vom Substantiv den Dativ.

    Obwohl das Deutsche ueber vier Faelle (Kasus) verfuegt, gibt es viele Beispiele, bei denen - wie bei "Professoren" - die Form unveraendert bleibt. "Im Deutschen treten aus diesem Grund zum Teil erhebliche Mehrdeutigkeiten auf", sagt Prof. Bayer. Da bei uns das Verb - anders als z. B. im Englischen - im Prinzip immer am Satzende steht, existieren bis dahin haeufig mehrere Fortsetzungsmoeglichkeiten. Die dabei beobachtbaren Vorlieben und Fehler der Versuchspersonen bieten einen ausgezeichneten Einblick in den Konstruktionsvorgang.

    Diesen Prozess auszuleuchten, versucht Prof. Bayer gemeinsam mit Dr. Jens-Max Hopf aus der Jenaer Uni-Klinik fuer Kinder- und Jugend- psychiatrie mit verschiedenen aus der Medizin und den Verhaltenswis- senschaften entlehnten Verfahren und mit zum Teil von dem Linguisten Dr. Markus Bader entwickelter Software. Die experimentellen Methoden, die im Projekt verwendet werden, umfassen Lese- und Reaktionszeit- messungen aber auch Messungen von ereignisrelatierten Hirnpotentialen. Das Elektroenzephalogramm (EEG) wird - ausgehend von amerikanischen Studien - erst seit etwa zehn Jahren fuer psycholinguistische Studien genutzt. Anhand der aufgezeichneten Wellen koennen die Wissenschaft- ler erkennen, welche sprachlichen Strukturen muehelos oder mit Veraen- derungen der Eingangshypothese verarbeitet werden konnten. Wird wie im Beispielsatz durch das Verb "nachlaufen" der unerwartete Dativ gefordert, registriert das EEG eine deutliche negative Welle, das sogenannte "N 400 Shift". "Je nach Hoehe, Richtung und Zeitverlauf der Welle koennen wir etwas ueber die Verarbeitungsprobleme bei der Er- stellung sprachlicher Repraesentationen erfahren", so Bayer.

    Die mit dem EEG gemessenen Verhaltensdaten koennen irgend- wann einmal als "externes UEberpruefungsmittel" dienen, um sprach- wissenschaftliche Theorien zu untermauern oder zu verwerfen, erlaeutert Prof. Bayer den Einsatz der fuer die Linguistik neuen Methode. Der Linguist will anhand der im Deutschen auftretenden Besonderheiten psycholinguistische Modelle korrigieren und verallgemeinern, die den Anspruch der Allgemeingueltigkeit erheben, sich aber bislang nur an wenigen Sprachen, etwa dem Englischen, bewaehrt haben. Doch die Fragestellungen des DFG-Projekts reichen weit hinaus, "von der allgemeinen Linguistik bis zum Sprachvergleich", sagt der Jenaer Sprachwissenschaftler. Darueber hinaus koennten die Forschungsergebnisse fuer die Sprachlernforschung interessant sein. Wenn Deutschlernende bereits auf ihre muttersprachlichen Konstruktionshypothesen aufbauen koennen, sollte dies den Zweitspracherwerb erleichtern.

    Kontakt: Prof. Dr. Josef Bayer, Institut fuer Germanistische Sprachwissenschaft, Friedrich-Schiller-Universitaet Jena, D - 07740 Jena, Tel.: 03641/944311, Fax.: 03641/944302, e-mail: xjo@rz.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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