Bochum, 07.07.1997 Nr. 135
Internationales Projekt zur jiddischen Sprache
Tondokumente Holocaust-Überlebender in Bochum NRW und EU fördern Archivierung sprachlichen Kulturgutes
6000 Stunden gesprochener Sprache - Interviews mit Überlebenden des Holocausts - umfaßt das Archiv der Columbia-Universität New York. Um es der weiteren Forschung zugänglich zu machen, entwickelt nun ein Team Bochumer Sprachwissenschaftler (Prof. em. Dr. Helmut Schnelle, Projektleitung, Dr. Rolf Wilkens, Dipl.-Inform. Frank Wegmann, Dr. Martin Hoelter, sprach- und informationstechnologische Entwicklung, Dr. Ulrike Kiefer, Expertin für Jiddisch) zwei spezielle elektronische Arbeitsplätze: einen für die computergestützte Transkription von jiddischen Texten, die in Paris und Jerusalem erfolgen sollen, und einen weiteren für die Kontrolle von Güte und Genauigkeit der Textübertragungen. Außerdem entwickeln die Bochumer Sprachwissenschaftler elektronische lexikographische Tools, mit denen später aus den Texten ein Lexikon der jiddischen Sprache erstellt werden kann. Die Bochumer Arbeiten sind Teil eines großen internationalen Projektes EYDES (Evidence of Yiddisch Documented in European Societies) zur Rettung der jiddischen Sprache.
Jiddische Sprache für die Zukunft bewahren
Vor dem zweiten Weltkrieg war das Jiddische die Muttersprache von 90% aller Juden weltweit. Die vitale Kraft dieser Sprache drückte sich in einer lebendigen Kultur und einer bedeutenden Literatur aus - so erhielt etwa Isaac B. Singer den Literatur-Nobelpreis für sein in Jiddisch verfaßtes Werk. Nach dem Holocaust stand die jiddische Sprache aber vor allem in Osteuropa bereits vor dem Aussterben, und durch die Wiederbelebung des Hebräischen in Israel verlor sie auch ihre zentrale Rolle als jüdische Sprache. Um das Jiddische in seiner lebendigen Form für die Zukunft zu bewahren und linguistische Studien zu ermöglichen, wurde in den 60er Jahren an der New Yorker Columbia University ein einzigartiges Archiv von 6.000 Stunden Tonbandaufnahmen von Interviews mit überlebenden Sprechern des Jiddischen aus unterschiedlichsten Regionen geschaffen.
Vertrag zwischen Land NRW und Columbia-University New York
Der Förderverein für jiddische Sprache und Kultur hat seit vielen Jahren darauf hingewirkt, daß durch eine technische Aufarbeitung dieses Archivs die Voraussetzungen für die eigentliche sprach- und kulturwissenschaftliche Analyse der Zukunft geschaffen werden. Durch ein soeben in New York geschlossenes Abkommen zwischen dem Land NRW und der Columbia University wird das Archiv für die sprach- und informationstechnische Bearbeitung im vom Land NRW und der Europäischen Union geförderten Projekt EYDES zur Verfügung gestellt. Die Zusammenarbeit mehrerer nationaler und internationaler Partner im Projekt wird vom Förderverein für jiddische Sprache und Kultur koordiniert. Die Entwicklung der computerlinguistischen Archivierungs- und Analyseprogramme wird von Wissenschaftlern der RUB durchgeführt, deren Sprachwissenschaftliches Institut hierfür international anerkannte Kompetenz hat. Zukünftig wird darüber hinaus eine Kooperation mit Jiddisch-Experten der Hebrew University in Jerusalem stattfinden.
Erst aus dem geschriebenen Wort gewinnt man Einzelheiten
Für die effiziente Bearbeitung des riesigen Tonarchivs der Columbia University müssen zunächst die 6.000 Stunden gesprochener Sprache durch computer-unterstützte Transkription in geschriebene Texte überführt werden. Nur mittels dieses Textmaterials wird dann die gezielte Suche nach Einzelinformationen möglich sein. Die Transkription muß dabei natürlich in standard-jiddischer Schrift erfolgen, also in hebräischen Lettern und von rechts nach links. Die Transkriptionsarbeiten werden in den nächsten Jahren hauptsächlich an der Jerusalemer Hebrew University durchgeführt. Selbst bei effizienter Arbeitsweise und bei einem optimalen Arbeitsplatz sind dafür mindestens 60.000 Arbeitsstunden, also etwa 30 Bearbeiterjahre, zu veranschlagen.
Anforderungen an moderne Transkriptionssoftware
Voraussetzung für die Transkription der Audiodaten ist ein optimal gestaltetes Softwaresystem, das derzeit vom Sprachwissenschaftlichen Institut der Ruhr-Universität im Rahmen des Projekts EYDES entwickelt wird. Die dortigen Computerlinguisten stehen hierbei jedoch vor folgenden Problemen und Anforderungen:
- die jiddischen Texte werden von rechts nach links geschrieben, aber sie enthalten oft eingebettete Zitate aus anderen Sprachen, wie etwa Deutsch, Englisch oder Russisch, die dann natürlich von links nach rechts geschrieben werden;
- die verschrifteten Daten müssen für die spätere Forschungsarbeit (z.B. dialektologische Studien) exakt mit den digitalisierten und auf CDs gebrannten Ton-Daten assoziiert werden können, was eine präzise parallele Verwaltung beider Datentypen erfordert;
- angesichts des enormen Umfangs der Daten gewinnen auch kleinste ergonomische Details der Software außerordentliche ökonomische Bedeutung, und ebenso sind kompromißlose Qualitätssicherung und fehlerminimierte Speicherung der Daten unerläßlich. Eine Nachbearbeitung der 6.000 Stunden Tonmaterials in einem zweiten Arbeitsschritt ist völlig ausgeschlossen.
Weitere Informationen
Prof. em. Dr. Helmut Schnelle, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Philologie, Sprachwissenschaftliches Institut, 44780 Bochum, Tel. 0234/700-5114, Fax: 0234/7094-137
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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