Religionslehrer haben Gemeinsamkeiten mit Detektiven und Feldforschern - das wurde bei einer Expertentagung deutlich, die der Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts der Uni Würzburg vom 5. bis 7. Dezember 2001 im St.-Burkardus-Haus in Würzburg veranstaltete.
Im Videoclip läuft eine schöne Frau mit einem Kruzifix in der Hand durch eine Feuerwand. Zwei Freundinnen, die aus dem Religionsunterricht ausgetreten sind, treffen sich in einer kleinen Kirche und sitzen still nebeneinander. In der Straßenbahn diskutieren Jugendliche über eine höhere Macht, die zwar eine Erfindung des Menschen sei, von der die Menschen aber trotzdem abhängig sind.
Was verbirgt sich hinter diesen Beobachtungen? Und wie können Religionslehrer damit umgehen? Dies waren die Ausgangsfragen für eine von den Würzburger Religionspädagogen Prof. Dr. Dr. Hans Georg Ziebertz, Dr. Stefan Heil und Diplom-Theologe Andreas Prokopf veranstaltete Expertentagung.
Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte internationale Runde vereinte 20 Wissenschaftler aus Theologie, Soziologie, Erziehungswissenschaft, Mathematik, Philosophie und Rechtswissenschaft. Sie alle verband die Suche nach Möglichkeiten, Überraschendes und Neues deuten zu können.
Am Anfang stand der Befund, welchen Stellenwert Religion für Jugendliche heute hat. Prof. Ziebertz machte anhand einer empirischen Studie deutlich, dass Jugendliche in Deutschland keineswegs nur gläubig oder ungläubig seien. Vielmehr lassen sich folgende fünf Typen finden: christlich-religiös (15 Prozent), christlich-orientiert (25 Prozent), religiös offen (20 Prozent), funktional religiös (20 Prozent) und nicht religiös (20 Prozent). Die Befunde zeigen weiterhin, dass Elemente aus der christlichen Religion - wie Symbole, Feiertage, Rituale oder Figuren - durchaus von Jugendlichen verwendet, jedoch mit anderen Elementen neu zusammengesetzt werden. Diese Patchwork-Religiosität sei immer häufiger und stärker zu finden.
An diesen Befund schließt sich die Frage an, was dies für Religionslehrer bedeutet. Wie kann ein Religionsunterricht aussehen, der die Verwendung dieser Elemente bei Jugendlichen zum Thema macht? Hier setzt die Interdisziplinarität an: Wie Detektive und Feldforscher müssen Religionslehrer nach Spuren suchen, um einen Fall zu erklären und zu lösen.
Der Religionslehrer sucht, wie ein Detektiv nach dem Täter, nach der Verwendung christlicher Elemente bei den Schülern. Sein Ziel sei es, so Prof. Ziebertz, die neuen Bedeutungen herauszufinden, die Schüler den selektiv genutzten christlichen Traditionen geben. Hier seien "gewagte Schlüsse" notwendig. Gewagt deshalb, weil hier Neues begegnet, das gedeutet werden muss. Diese Schlüsse müssen dann wiederum durch Rückfragen getestet werden. So entsteht Kommunikation im Religionsunterricht.
Am Ende des Schlusses stehe dann die Aufdeckung der "Tat", also dessen, was Schüler wirklich mit christlichen Zeichen meinen, die sie häufig beiläufig verwenden. Dieses Bewusstmachen sei bereits ein Lernprozess, auf den weitere folgen können. Ohne die Aufdeckung bleibe religiöses Wissen kontextlos. Auch Schüler müssten gewagte Schlüsse vornehmen, um das vom Lehrer vorgeschlagene Neue zu interpretieren.
Wie der internationale Schüler-Leistungstest "Pisa" deutlich gemacht habe, so Ziebertz, bedeute Bildung nicht primär die Vermittlung von Wissen, sondern die Fähigkeit zum selbstständigen Umgang mit Wissen. Genau dies sei das Bildungsziel gewagter Schlüsse im Religionsunterricht: die Aufklärung über den eigenen Umgang mit religiösen Elementen und der Umgang mit der eigenen Religiosität vor dem Hintergrund der Religion. Gewagte Schlüsse seien daher eine Kernkompetenz nicht nur für Religionslehrer, um Vorhandenes aufzudecken und Neues daran anzuschließen.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Ziebertz, T (0931) 888-4839, Fax (0931)888-4840, E-Mail:
hg.ziebertz@mail.uni-wuerzburg.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Pädagogik / Bildung, Philosophie / Ethik, Religion
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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