Eine Untersuchung der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) zum Umgang mit Armen und Randgruppen in Deutschlands Städten
"Alles, was wir erreichen können, ist nichts anderes, als das Elend auf Trab zu halten und im Kreise herumzuführen." (ein für die öffentliche Ordnung einer Großstadt verantwortlicher Polizist)
Trotz rückläufiger Fallzahlen im Bereich der Straßenkriminalität wird seit längerem das Thema "Sicherheit im öffentlichen Raum" diskutiert. Eine von der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) im Auftrag der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (KAGW) durchgeführte Untersuchung zeigt laut Prof. Dr. Titus Simon, dem Verfasser der Studie, "dass die aus dem Gefahrenabwehr- bzw. Straßenrecht resultierenden Instrumente vor allem gegen deklassierte und verarmte Bevölkerungsgruppen in Anwendung gebracht werden".
Repressives Übermaß
Titus Simon, Professor am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, bezeichnet einige der in der Befragung geschilderten Vorgänge sogar als "repressives Übermaß". Bei den Bemühungen um eine "saubere Stadt" komme es keineswegs nur zu problematischen rechtlichen Konstrukten. In einer Vielzahl von Einzelfällen gebe es willkürliche Maßnahmen, die nur schwer mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Einklang zu bringen sind. Einige Beispiele aus der Studie:
* In Ulm und in anderen Städten wurden Wohnungslose von der Polizei
aufgegriffen und mit Polizeifahrzeugen über den Stadtrand gebracht und
"nach den Ortsschildern" ausgesetzt.
* In Düsseldorf verglich eine Stadtmarketing-Firma, die unter dem Namen
"Pro Düsseldorf" ein Konzept für die Aufwertung der Innenstadt entwickeln
sollte, im Rahmen der ersten Präsentation ihres Vorhabens Taubenkot und
Graffiti mit "Berbern und Pennern".
* Stuttgarter Polizisten verstießen 1999 gegen den § 221 StGB, indem sie
einen volltrunkenen Wohnungslosen in der Stuttgarter Innenstadt aufgriffen
und in der Nähe der Autobahnraststätte "Sindelfinger Wald" an der viel
befahrenen Autobahn Stuttgart-Singen aussetzten. Der Mann wurde später
in hilflosem Zustand auf dem Standstreifen der gefährlichen Strecke aufgegriffen.
* Speziell in touristisch attraktiven Städten und Gemeinden werden in die Standardpolizeiverordnungen zusätzliche Sonderbestimmungen aufgenommen,
die - um zahlungskräftigen Gästen einen möglichst ungestörten Genuss zu ermöglichen - Personengruppen in diskriminierender Weise ausgrenzen. So
beinhalten die Verordnungen mehrerer Bodenseegemeinden folgende
Bestimmung: "Der Aufenthalt am Seebereich nicht gestattet (ist)...Personen
mit abstoßenden Krankheiten."
Einfluss der Sozialarbeit
Rund ein Fünftel der Projekte gab an, dass auf eine für ihr Klientel günstigere Ausgestaltung entsprechender Satzungen und Verordnungen Einfluss genommen werden konnte. Simon bezeichnet angesichts gängiger inhaltlicher Ausführungen den Zustand nur als "Vermeidung von Verschlimmerung". Dies sei für Sozialarbeit nicht unüblich. Zu problematisieren sei allerdings die hohe Zahl derer, die sich zu keiner Antwort entschließen konnten.
Der Magdeburger Professor schlussfolgert an Hand der empirischen Befunde: "Der Sicherheitsdiskurs hat ungeachtet der Tatsache, dass keine kriminologischen Befunde die These von der erhöhten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und für die Sicherheit des einzelnen Bürger belegen, zu einer Einschränkung von Grundrechten (insbesondere der Artikel 2 Abs. 1 und des Artikels 11 GG) geführt. Die Zugänglichkeit attraktiver kommunaler Zonen wird für missliebige Personenkreise eingeschränkt. Von den alten Armenordnungen bis zu "Zero Tolerance" besteht eine nahezu bruchlose Kontinuität des repressiven Umgangs mit Gruppen, die die vormals feudalistische und heute bürgerliche Ordnung des öffentlichen Raums zu stören drohen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die erzielten Effekte eher mäßig sind."
Für die Untersuchung waren insgesamt 616 Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe mit Hilfe eines knappen Fragebogens befragt worden. Die Angaben von insgesamt 288 Einrichtungen waren auswertbar.
Eine Kurzfassung der Studie kann über die Pressestelle der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) bezogen werden. Die Langfassung erschien im Herbst 2001 unter dem Titel "Wem gehört der öffentliche Raum? Zum Umgang mit Armen und Randgruppen in Deutschlands Städten" im Verlag Leske + Budrich, ISBN 3-8100-3279-4.
Rückfragen bitte an:
Prof. Dr. Titus Simon
Tel.: (0391) 886 42 76
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Politik, Recht
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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