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02.02.1998 00:00

RUB-Schnecken aus dem Weltraum zurück

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 02.02.1998 Nr. 27

    Schnecken und Fische aus dem Weltraum zurück RUB-Wissenschaftler ,hochzufrieden" mit den Komponenten Erfolgreicher Flug der Spaceshuttle mit ,C.E.B.A.S.-MINI-MODUL"

    Mit der pünktlichen Landung der Raumfähre Endeavour am 31.1.98 um 23:35 MEZ im Kennedy Space Center (Florida) kehrten auch die drei vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) finanzierten Experimentanlagen zur Erde zurück. Mit dabei: das biologische Experimentsystem "C.E.B.A.S.-Minimodul", ein in sich geschlossenes, künstliches Ökosystem mit Süßwasserfischen, Schnecken, Wasserpflanzen und Mikroorganismen in einem Wasservolumen von nur 8,6 Litern, das unter Leitung des Bochumer Biologen Prof. Dr. Volker Blüm (Vergleichende Endokrinologie, Fakultät für Biologie der RUB) entwickelt worden ist. Ab dem 9. Februar ist Prof. Blüm wieder in der RUB erreichbar.

    Nach 5,8 Mio Kilometern Flug ...

    Nach der Öffnung des C.E.B.A.S.-Tanksystems nur drei Stunden nach der Landung der Endeavour und einer ersten, vorläufigen Inspektion äußerten sich die beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure hochzufrieden über den Zustand der biologischen und technischen Komponenten von C.E.B.A.S.. In den nächsten Tagen und Wochen werden detaillierte Tests und Untersuchungen der deutschen und amerikanischen Biologen Aufschluß über die genauen Auswirkungen der Weltraumbedingungen auf Physiologie, Morphologie und Biochemie der C.E.B.A.S.-Bewohner geben, die in 8 Tagen und 19 Stunden 138mal die Erde umkreisen und dabei etwa 5,8 Millionen Kilometer zurückgelegt haben. Bereits am 2. April 1998 wird das C.E.B. A.S.-Minimodul seinen zweiten Flug ins All antreten. Mit der 16 Tage dauernden "Neurolab"-Mission der Raumfähre Columbia wird dann eine im Vergleich zum Erstflug beinahe doppelt so lange Experimentzeit zur Verfügung stehen.

    C.E.B.A.S. simulierte Biosphäre im Weltraum

    Das ,Closed Equilibrated Biological Aquatic System" (C.E.B.A.S.) ist ein geschlossenes künstliches aquatisches Ökosystem, in dem wurzellose Wasserpflanzen (Ceratophyllum demersum, Gemeines Hornkraut) im Prozeß der Photosynthese Lichtenergie in chemische Energie umwandeln, indem sie Wasser und Kohlendioxyd in Kohlenhydrat und Sauerstoff umwandeln. Letzterer dient Fischen (Xiphophorus helleri, Schwertträger), Wasserschnecken (Biomphalaria glabrata) und Mikroorganismen zur Atmung, wobei diese wiederum Kohlendioxid ausscheiden, welches von den Pflanzen zur Photosynthese benötigt wird. Als Endprodukt des Eiweißstoffwechsels geben die Wassertiere Ammoniumionen ab, die sich im Wasser teilweise in giftiges Ammoniak umwandeln. Dieses wird von speziellen ammoniumoxidierenden Mikroorganismen in einem Bakterienfilter zuerst in Nitrit- und dann in Nitrationen umgewandelt, die dann den Pflanzen als Stickstoffquelle dienen. So etabliert sich das ,Gerüst" eines Stoffkreislaufs, in dem die Pflanzen als ,Produzenten" Lichtenergie in chemische Energie umwandeln, wobei u. a. der hierbei gebildete Sauerstoff von Tieren und Mikroorganismen, den ,Konsumenten", verbraucht wird. Das C.E.B.A.S. simuliert so in stark vereinfachter Weise Stoff- und Energiekreisläufe, die die Grundlage der Existenz der Biosphäre, d. h. der Erdkruste und der Atmosphäre und der darin befindlichen belebten und unbelebten Natur sind. Somit ist dieses System ein vorzügliches Experimentierwerkzeug zur Modellanalyse aquatischer Ökosysteme in der terrestrischen Forschung. In ihm können aber auch die Einflüsse von Weltraumbedingungen auf die in ihm lebenden Organismen studiert werden. Die angewandten Aspekte dieser Forschung führen zu Systemen, in denen durch die Verwendung pflanzenfressender Fische zusätzlich ein Nahrungskreislauf geschlossen wird. Diese lassen sich als innovative Intensiv-Aquakultursysteme zur Produktion pflanzlicher und tierischer Biomasse zur menschlichen Ernährung optimieren. Dies ist der zweite Anknüpfungspunkt des C.E.B.A.S. an die Weltraumforschung: Produktionssysteme für tierisches und pflanzliches Eiweiß sind in sog. bioregenerativen Lebenserhaltungssystemen (z. B. für lunare oder planetare Basen) unter reduzierter Schwerkraft nur als geschlossene Aquakultursysteme realisierbar.

    Großmodul mit 150 Litern - Minimodul mit 8,6 Litern

    Das C.E.B.A.S. wurde an der RUB in dem vom BMBF über DARA/DLR und dem Land NRW eingerichteten ,C.E.B.A.S.-Forschungszentrum" von Prof. Blüm und seinen Mitarbeitern in 13-jähriger Foschungsarbeit entwickelt; letztere bauten auch am Kennedy Space Center mit Unterstützung durch NASA eine große Fisch-und Schneckenproduktionsanlage auf, in der sie Tausende von Tieren für die Weltraum- und Laboratoriumsexperimente züchteten. Es existiert in zwei Versionen: das ,Original-C.E.B.A.S." mit einem Gesamtvolumen von ca. 150 l und das ,C.E.B. A.S.-MINI-MODUL" mit 8,6 l Inhalt, das speziell für Raumfahrtexperimente optimiert wurde. Das raumflugfähige System wurde von der Bremer Firma OHB gefertigt. Es besteht aus einem ,Organismentank" und Peripheriegeräten, die einen nahezu vollautomatisierten Betrieb zulassen, d. h. lediglich die Kassetten zur Viodeoaufzeichnung müssen täglich von einem Astronauten gewechselt werden. Das gesamte Gerät ist in einen sog. ,Middeck-Locker" eingepaßt, der im Schlaf- und Aufenthaltsraum der Astronauten in ein spezielles Regal eingebaut ist. Der Organismentank besteht aus den typischen C.E.B.A.S.-Komponenten: 2 Tiertanks (Zoologische Komponente), einem Pflanzenbioreaktor (botanische Komponente), einem Bakterienfilter (mikrobiologische Komponente) und einer Meß-/Überwachungseinheit (elektronische Komponente).

    Zwei Ziele: Systemtest und der Einfluß des Weltraums

    Der Weltraumflug des C.E.B.A.S.-MINI-MODULS hatte zwei Ziele. Das erste war, die Funktionalität der biologischen und technischen Komponenten unter Weltraumbedingungen zu untersuchen, um die Verwendbarkeit des Systems grundsätzlich auszuloten und erste Ansätze zu einer Analyse der Interaktionen der Einzelkomponenten zu erarbeiten. Das zweite Ziel war die Nutzung des Systems zur Lösung verschiedener wissenschaftlicher Fragestellungen zum Einfluß von Weltraumbedingungen auf die im ihm lebenden Organismen. Die Entwicklung des C.E.B.A.S. orientierte sich von Anfang an an diesem interdisziplinären wissenschaftlichen Rahmenprogramm, in das bei der STS-89-Mission 4 deutsche und zwei U. S. -amerikanische Universitäten sowie das Hospital of Special Surgery in New York involviert sind, die im folgenden mit ihren Unterprojekten aufgelistet sind:

    Kooperationspartner unter der Leitung von RUB-Forschern

    1. Ruhr-Universität Bochum: Ökosystemanalyse, Xiphophorus-Reproduktionsbiologie und -Embryologie (Prof. Dr. V. Blüm, Dr. M. Andriske, Dr. F. Paris), Ceratophyllum-Morphologie und Physiologie (Dr. H. Holländer-Czytko, Dr. D. Voeste), Mikrobiologie des Gesamtsystems (Prof. Dr. W. Rüger) ;

    2. Heinrich-Heine-Univetrsität Düsseldorf: Xiphophorus-Immunologie (PD Dr. R. Goerlich);

    3. Universität Hamburg: Biomphalaria-Embryologie und-Schalenbiomineralisierung (Prof. Dr. W. Becker);

    4. Universität Stuttgart-Hohenheim: Xiphophorus-Neurobiologie (Prof. Dr. H. Rahmann, Dr. R. Anken);

    5. City University of New York, Brooklyn College: Xiphophorus-Reproduktionsbiologie (Prof. Dr. M. Schreibman, Dr. L. Magliulo-Cepriano);

    6. University of Texas, Medical School, San Antonio: Biomphalaria- und Xiphophorus-Lagesinnesorgane (Prof. Dr. M. Wiederhold);

    7. Hospital of Special Surgery: Xiphophorus-Skelett-Biomineralisierung (Prof. Dr. S. Doty).

    BMBF und NASA zahlen

    Die deutschen Forscher werden vom BMBF via DLR finanziert, die amerikanischen von der NASA. Alle diese Unterprojekte sind eigenständige Forschungsvorhaben. Sie schließen aber auch den Kreis zum ,Ökosystemaspekt" des C.E.B.A.S., indem ihre Einzelergebnisse wertvolle Bausteine einer Systemanalyse sind.

    4 trächtige Schnecken und 200 Jungtiere "wohlauf!"

    Auf der Endeavour befanden sich 4 trächtige Xiphophorus-Weibchen, 200 Jungtiere, zahlreiche Wasserschnecken, Ceratophyllum-Pflanzen und ein Bakterienfilter. Die zur Erde zurückgekehrten Organismen befanden sich nach der ersten Inspektion in ausgezeichnetem Zustand und alle beteiligten Wissenschaftler erhielten ausreichende Mengen von Untersuchungsmaterial, das in den nächsten Monaten wissenschaftlich aufgearbeitet werden wird. Die kontinuierlich erfaßten physikalischen Systemdaten werden Einsichten in den Stoffhaushalt erleichtern. Erste Experimente und Beobachtungen zum Schwimm- und Orientierungsverhalten von Fischen und Schnecken nach der Mission und an Videoaufnahmen aus dem Weltraum versprechen interessante Ergebnisse. Das C.E.B.A.S.-MINI-MODUL ist das erste artifizielle aquatische Ökosystem mit Wirbeltieren, das im Weltraum seine Funktionsfähigkeit und biologische Selbstregulation bewies.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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