Der Sturm der Entrüstung über die Novelle des Hochschul-Rahmen-Gesetzes reißt an den Hochschulen in allen Fachbereichen nicht ab. Die Halbherzigkeit der Umsetzung konterkariert die in vielen Bereichen begrüßenswerten Reformbemühungen. Eine Stellungnahme des Verbandes deutscher Biologen (vdbiol).
Der Verband Deutscher Biologen und Biowissenschaftlicher Fachgesellschaften e.V. sieht die Einführung von Juniorprofessuren mit Skepsis.
Die Dienstrechtsreform und die Einführung einer Juniorprofessur wird vor allem mit drei Zielen begründet: a)Senkung des zu hohen Durchschnittsalters der Professoren, b) Schaffung einer größeren Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses, c) Einführung einer leistungsgerechteren Bezahlung.
Hochschulrektorenkonferenz, Wissenschaftsrat und Hochschullehrerverband haben bereits ablehnend Stellung bezogen.
Die Änderungen des Hochschulrahmengesetzes sollen die Länder innerhalb von drei Jahren in Landesrecht umsetzen. Die rahmenrechtliche Vorgabe der Juniorprofessur als Regeleinstellungsvoraussetzung für Professoren ist nach dem Regierungsentwurf erst ab dem 1. Januar 2010 zu erfüllen. Die Auswirkungen werden aber bereits in den nächsten Jahren zu spüren sein.
:: :: STRUKTURELLE PROBLEME BLEIBEN
Die eigentlichen strukturellen Probleme der Universitäten bleiben dabei aber weitgehend unberücksichtigt.
Sinnvoller wäre es gewesen, wenn der Gesetzgeber sich den eigentlichen Problemen zugewendet hätte:
- Reduzierung der Gremienvielfalt, klare und überprüfbare Entscheidungsstrukturen in den Universitäten und Fachbereichen, mit Entscheidungskompetenz statt Verwaltung des Mangels
- kontinuierliche Evaluation und Reduzierung der Lehrverpflichtung auf ein vernünftiges Maß. Ehrlichkeit bei der Stellenplanung und Berechnung der Lehrverpflichtung
- Sicherung der Grundlehre durch genügend Mittelbaustellen, Neubewertung der Einheit von Forschung und Lehre
- wirklich leistungsbezogene Änderung des Dienstrechts im Hochschulbereich, ("unbefristet" muss nicht notwendigerweise auch "unkündbar" heißen)
:: :: ZIELE NICHT ERREICHT
Allein wenn es gelänge, nur die sachlich nicht begründbaren Fristen (die ja letztlich nichts anderes als den Versuch des öffentlichen Arbeitgebers darstellen, die Forschungseinrichtungen vor der Blockierung durch unmotivierte Mitarbeiter zu bewahren) durch Entkopplung der Begriffe "unbefristet" und "unkündbar" abzuschaffen, dann stellten sich überprüfbare Leistung und vor allem Leistungsbereitschaft von selbst ein. Diese Chance wurde zum Teil vertan. Stattdessen haben wir wieder ein sehr kompliziertes Dienstrecht, welches mehr Probleme schafft als löst und die selbstgesteckten Ziele nicht erreicht.
Ohne die flächendeckende Einführung des "tenure-track" (leistungsbezogenes Karrieresystem an US-amerikanischen Hochschulen) wird der Reformansatz der Juniorprofessur endgültig ad absurdum geführt. Im Weiteren wenden wir uns den biowissenschaftlichen Fächern zu, vieles ist jedoch auf alle Fachbereiche übertragbar.
:: :: WO BLEIBT DER AKADEMISCHE MITTELBAU?
Jeder weiß es, die Biologie ist nunmehr weitgehend ein experimentelles Fach, ein Fach also, in dem man neben Wissen und intellektuellen auch praktische Fähigkeiten erwerben sollte. Die erwirbt man in den sog. Praktika oder Übungen. Diese Praktika sind Lehrveranstaltungen, in denen man die Professoren kaum je erblickt, sondern zumeist die, die noch selber an der Laborbank stehen, also auch praktisch wissenschaftlich arbeiten. Die können es oft eh besser. Dies sind mehrheitlich dienstverpflichtete DiplomandInnen, DoktorandInnen oder Postdocs. In der Regel sitzen sie auf befristeten Projektstellen und werden von Drittmittelgebern eigentlich für die Forschung und nicht für die Lehre bezahlt. Der akademische Mittelbau ist im Rahmen der Streichaktionen der vergangenen Jahrzehnte an den Universitäten so stark ausgedünnt worden, dass es kaum noch institutionalisierte Lehrpersonen für Organisation und Durchführung von Praktika gibt. Daueraufgaben in der Lehre und in der Administration werden somit zunehmend von befristet eingestellten Mitarbeitern wahrgenommen. Dies hat zur Folge, dass deren eigene wissenschaftliche Qualifikation und damit wiederum die Forschung leiden. Hinzu kommen Reibungsverluste durch häufigen Wechsel nach Ablauf der Verträge.
Ohne einen vernünftigen Mittelbau sind die Fakultäten auch mit der Einrichtung der neuen Bachelor/Master-Studiengänge überfordert. Haben doch Ministerialbürokraten bei der Festlegung des Personalschlüssels übersehen, dass die neuen Studiengänge personalintensiver (Studienbetreuung) sind und mit der Fortschreibung oder gar Reduzierung der "curricularen Normwerte in der KapVO" quasi eine weitere Personalunterdeckung für die Zukunft festgeschrieben wird. Besonders problematisch wird auch die Situaton der Universitätskliniken, da hier der Anteil befristet Beschäftigter besonders hoch ist.
:: :: WAS SOLL DIE JUNIORPROFESSUR?
Man kann über die Bedeutung der Habilitation streiten. Fakt ist, dass wissenschaftlich erfolgreiche(re) Nationen dieses Instrument nicht kennen. Hier zählen eher die tatsächlichen und nicht die in einem formalisierten Verfahren erbrachten Leistungen. In diesen Ländern besteht aber in der beruflichen Realität ein Unterschied zwischen "unbefristeten" und "unkündbaren" Arbeitsverträgen. In der deutschen Tariflandschaft ist die Erkenntnis, dass da vielleicht ein Unterschied besteht, noch nicht angekommen. Mit De-facto-"Kettenverträgen" auf unterschiedlichsten Stellen an verschiedenen Hochschulen konnte in der Vergangenheit eine "Karriere" bis zur Pensionierung durchgehalten werden, auch ohne "Ruf" auf eine der wenigen "festen Stellen". Auf der anderen Seite muss bislang auch ein erfolgreicher Juniorprofessor durch die Knochenmühle der Berufungsverhandlungen (neu W2, W3) und das in den engen vorgegebenen Zeitfenstern. An den deutschen Hochschulen fehlen Instrumente, wie echte "Postdoc-Stellen" im US-amerikanischen Sinne, auf denen frisch Promovierte ihren Horizont erweitern. Diese Postdoc-Stellen sind im Übrigen gar nicht üppig in der Bezahlung, dafür gibt es dann aber auch mehr von diesen Stellen. Nach 2- 4 Postdoc-Jahren kann man sich dann auf Stellen wie etwa auf die eines/einer "Assistant Professor" bewerben, und dort zeigen, was man in der eigenständigen Lehre und der Forschung (= Drittmitteleinwerbung) leisten kann, dies dann aber auch mit der Aussicht auf eine unbefristete Stelle ("tenure track"). Man wird auf diesen Stellen ebenso evaluiert, aber man kann durch eigene Leistung kontinuierlich diese Position ausbauen und über eine "Associate Professor" zum "Full Professor" aufsteigen, auch an ein und derselben Universität, denn man hat seine Lehr- und Wanderjahre ja als Postdoc absolviert.
Das derzeit in Deutschland in der Etablierung befindliche Konstrukt der Juniorprofessur ist damit nicht zu vergleichen: Abgesehen davon, dass viel zu wenige solcher Stellen eingeplant sind, ist es unmöglich und unzumutbar schon nach 2-3 Jahren (Promotion) sowohl 4 oder gar 8 SWS an solider eigenständiger Lehre abzuliefern und sich gleichzeitig eigenständig in der Forschung zu profilieren. Bleibt dann noch die Frage, wie man diese Lehre leisten kann, wer etwa dafür sorgt, dass es entsprechend Hilfskräfte gibt, die bei einem anspruchsvollen Praktikum assistieren und mit darauf achten, dass alle Sicherheitsbestimmungen erfüllt werden (die Biologie ist ein experimentelles Fach ...). Werden die JuniorprofessorInnen jetzt also verheizt? Man muss aufpassen.
:: :: STOPP DEM "BRAIN DRAIN"?
Was ist eigentlich aus der Forderung geworden: "Deutschland - ein rohstoffarmes Land, das seine einzige Ressourcen Bildung und Wissenschaft fördern muss, um international konkurrenzfähig zu sein" ? Was aus der alten Forderung nach einem einheitlichen Professorenamt? Wenn nicht noch in letzter Minute die Notbremse gezogen wird, werden in den nächsten Jahren nicht nur die durch die Fristenlösung freigesetzten "zu alten" Wissenschaftler in Scharen ins Ausland abwandern, sondern auch die, die unter den neuen Bedingungen hier erst gar nicht arbeiten wollen. In den USA werden sie mit offenen Armen empfangen, denn dort lässt sich seit Jahrzehnten der Bedarf nur durch ausländische Wissenschaftler decken. Die Biowissenschaften haben dort in den letzten Jahren einen ungeahnten Boom erlebt - das im Vergleich laue Lüftchen hierzulande ließ zwar die Zahl der Studierenden der Biologie ansteigen, - die halbherzige Reform könnte aber bald zu einer geistigen Windstille in den deutschen Universitäten führen.
Deutschland leistet sich den Luxus, sich die Ausbildung jedes Wissenschaftlers mind. 60.000 Euro kosten zu lassen, und setzt ihn dann nach 6 Jahren auf die Straße, weil ihm "nicht zugemutet" werden soll, auf einer befristeten Stelle weiterbeschäftigt zu werden. In Wirklichkeit traut man sich nicht ihn unbefristet einzustellen, weil er dann aufgrund einschlägiger Arbeitsgerichtsentscheide de facto unkündbar wird. Da wird das Schlupfloch einer Anstellung nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)des "neuen HRG", das eine Weiterbeschäftigung auf befristeten Verträgen mit sachlicher Begründung zulässt, erst noch beweisen müssen, ob es in der Praxis einer arbeitsrechtlichen Überprüfung standhält. Gutachten sind etwas anderes als Gerichtsurteile.
Der begrüßenswerte Versuch das Wissenschaftsdienstrecht vom BAT zu entkoppeln, scheiterte im letzten Jahr an den Widerständen des Establishment, allein bei der Fraunhofer Gesellschaft (FhG) läuft dazu ein Pilotprojekt. Dabei muss es nicht nur um attraktivere, leistungsbezogene und flexible Gehaltsstrukturen gehen, sondern vor allem muss der gordische Knoten des öffentlichen Dienstrechts: unbefristet "ist gleich" unkündbar zerschlagen werden. Nur so können die Universitäten flexibel und attraktiv zugleich werden, um gegen die wachsende Anziehungskraft (und Berufsperspektive) in Uni-ausgegründeten (!) Unternehmen bestehen zu können.
im Januar 2002
Eine Grafik der Zeitfenster der Fristenregelungen des früheren HRG, des geplanten und im Vergleich das USamerikanische System ist beim vdbiol erhältlich (info@vdbiol.de) .
Eine gute Zusammenstellung der Reaktionen aus der Forschung findet sich auf den Seiten der "Gesellschaft für biologische Systematik (GfBS)": www.gfbs-home.de
Kontakt:
vdbiol-Präsident
Prof. Dr. Hans-Jörg Jacobsen
Lehrgebiet Molekulargenetik, Uni Hannover
Tel: 0511/ 762 40 82
Fax: 0511/ 762 40 88
jacobsen@mbox.lgm.uni-hannover.de
vdbiol-Zentrale
Dr. Georg Kääb
Dr. Carsten Roller
Corneliusstr. 6, 80469 München
T: 089/ 260 245 75
F: 089/ 260 245 74
info@vdbiol.de
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Informationstechnik, Medizin, Politik, Recht
überregional
Studium und Lehre, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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