Artenreiche Ökosysteme haben eine hohe Funktionalität: Je mehr „Mitspieler“ vorhanden sind, desto besser werden Prozesse wie Primärproduktion, Nährstoffmineralisation oder Bestäubung in einem Lebensraum aufrechterhalten. Dabei wird die Produktion oft von wenigen Arten getragen, die übrigen Arten scheinen „überflüssig“ zu sein. Da liegt der Schluss nah, dass eigentlich wenige Arten ausreichen müssten, um die wichtigen Schlüsselpositionen in einem Ökosystem zu besetzen. Ist der globale Rückgang der Arten damit ein Problem, das nicht allzu ernst genommen werden muss?
Keineswegs, betonen WissenschaftlerInnen der Universitäten Oldenburg, Bern, München, Leipzig und Halle. In einem gemeinsamen Artikel in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America) konnten sie nachweisen, dass ein wichtiger Aspekt der Diversitäts-Funktionalitätsbeziehung bisher kaum beachtet wurde. Die Publikation ist am gestrigen Montag online erschienen.
Die Biologen nutzten Daten des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Jena-Experiments. Analysen dieser Langzeitstudie mit Graslandgesellschaften unterschiedlicher Artenzahl zeigen, dass die vordergründig „überflüssigen“ Spezies in Wahrheit wichtige Faktoren für die Aufrechterhaltung von Funktionalität sind.
Der Artikel der Forschergruppe richtet seinen Blick auf die Bedeutung der Diversität für die langfristige Funktionalität von Ökosystemen. Um die Produktivität der in Jena untersuchten Wiesengemeinschaften über den gesamten Untersuchungszeitraum von sieben Jahren aufrecht zu erhalten, waren mehr als doppelt so viele Pflanzenarten wie für ein einzelnes Jahr nötig. Nur mit maximal 60 Pflanzenarten wurde der Wert erreicht, der eine optimale Pflanzenproduktion im Jahr garantiert.
„Arten, die in einem Jahr selten sind, können im nächsten Jahr von großer Bedeutung sein. Wir konnten zeigen, dass eine Funktion in aufeinander folgenden Jahren von verschiedenen Arten dominiert wird“, erläutert Prof. Dr. Helmut Hillebrand, Planktologe am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) an der Universität Oldenburg, die Ergebnisse. Wolfgang Weisser, Landschaftsökologe an der TU München, konstatiert hinsichtlich der experimentellen Herangehensweise, dass die Arbeit auch den Wert von langfristigen Untersuchungen wie dem Jena-Experiment zeige.
Eine – über die Zeit – stabile Funktionalität von Ökosystemen sei also nur durch die Fluktuation des Beitrags einzelner Arten möglich, erklärt Hillebrand. Die aus kurzfristigen Studien geschlossene scheinbare Redundanz von Arten in artenreichen Gemeinschaften sei daher ein Trugschluss, denn nur artenreiche Gemeinschaften können diese langfristig nötigen stabilisierenden Austauschprozesse garantieren. Mehr noch müssten die Gemeinschaften aus Spezies bestehen, deren Eigenschaften einander ergänzten. „Für die Stabilisierung der Produktion kommt es auf die Abfolge von Arten mit komplementären Eigenschaften an“, so Hillebrand.
Das Zusammenspiel von Diversität und Funktionalität ist also weitreichender, als bisher angenommen. Dr. Eric Allan, Erstautor der Veröffentlichung und Wissenschaftler an der Universität Bern, fügt hinzu: „Wir zeigen, dass höhere Artenvielfalt eine Art Versicherung für zukünftige Funktionen darstellt. In Zeiten des globalen Wandels kommt der Artenvielfalt damit eine besonders schützenswerte Rolle zu“. Auch für die nachhaltige Nutzbarkeit der Funktionen von Lebensräumen durch den Menschen sei der Schutz der Diversität ausschlaggebend.
Kontakt: Prof. Dr. Helmut Hillebrand, Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM), Tel.: 0441/798-3614 oder 04421/944-8102, E-Mail: helmut.hillebrand@uni-oldenburg.de
http://www.icbm.de/planktologie/index.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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