Kliniken fehlen Medikamente gegen Problemkeime
Anästhesisten fordern sinnvollen Antibiotikaeinsatz
Nürnberg – Auf deutschen Intensivstationen breiten sich seit einigen Jahren Erreger aus, gegen die herkömmliche Antibiotika nicht wirken: Der Anteil besonders widerstandsfähiger Kolibakterien etwa verzehnfachte sich innerhalb von acht Jahren. Infektionen mit dem multiresistenten Erreger Staphylococcos aureus (MRSA) dagegen nehmen langsam ab.
Gegen neue, mehrfach resistente Bakterien kommen die Kliniken jedoch kaum noch an. Denn gegen sie werden keine neuen Antiinfektiva entwickelt, bemängelt die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). Stattdessen greifen Ärzte auf alte Medikamente mit starken Nebenwirkungen zurück. Die DGAI empfiehlt dringend einen rationalen Einsatz von Antibiotika.
Auf Intensivstationen kommen pro 1000 Patiententage rund vier Infektionen mit den gefürchteten MRSA-Keimen vor. Das ist fast zwar drei Mal häufiger als Infekte mit den kaum bekannten Escherichia coli-Stämmen aus der Gruppe der gramnegativen Bakterien. Jedoch stiegen zum Beispiel Infektionen mit 3GC-Escherichia coli in den Jahren 2001 bis 2008 von 0,16 auf 1,39 pro 1000 Patiententage. „Diesem enormen Anstieg multiresistenter gramnegativer Problemkeime wie Escherichia coli haben wir derzeit nur wenig entgegenzusetzen“, erläutert Professor Dr. med. Hugo Van Aken, Generalsekretär der DGAI aus Münster.
Denn neue Antiinfektiva gegen diese Bakterien würden nicht entwickelt. Zudem sei das Darmbakterium 3GC-E.coli selbst gegen moderne Breitband-Antibiotika wie etwa Cephalosporine der 3. Generation widerstandsfähig – und meist gleichzeitig auch gegen andere Antibiotikaklassen. Die alarmierenden Zahlen veröffentlichte zuletzt das nationale Überwachungssystem für Antibiotikaverbrauch und resistente Erreger SARI (Surveillance der Antibiotika-Anwendung und der bakteriellen Resistenzen auf Intensivstationen) in Berlin und Freiburg.
„Die Folgen des Fehlens von Antiinfektiva können sich dramatisch entwickeln“, warnt Privatdozentin Dr. med. Maria Deja von der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin der Berliner Charité: Forscher zeigten in einer europäischen Studie, dass in bestimmten Regionen bei Patienten mit einer Lungenentzündung alte Medikamente eingesetzt werden mussten, weil herkömmliche Präparate unwirksam waren. „Diese veralteten Medikamente verursachen aber oft starke Nebenwirkungen wie Nierenversagen, was tödlich enden kann“, sagt Dr. Deja. Außerdem zeigte ein Überwachungssystem, dass einzelne Antibiotikaklassen auf Intensivstationen zunehmend häufiger im Einsatz sind: So verdoppelte sich der Verbrauch an Carbapenemen, die breit wirksam sind und als Reserveantibiotika gelten. „Bei steigendem Verbrauch von Carbapenemen besteht die Gefahr, dass sich resistente Bakterien selektiv vermehren – ein Teufelskreis“, erklärt Dr. Deja.
Ärzte müssen unnötige Behandlungen mit Antibiotika unbedingt vermeiden, damit Bakterien weniger Resistenzen entwickeln, rät die DGAI. „Zu lange oder nicht wirksame Antibiotikagaben sind ebenso unnötig wie Therapien mit Antibiotika, obwohl keine bakterielle Infektion vorliegt“, betont Professor Van Aken. Nur ein von der DGAI geforderter rationaler Antibiotikaeinsatz könne die rasche Ausbreitung von Resistenzen vermindern.
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