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07.05.1998 00:00

40 000 Krankheitsgeschichten von Zoo- und Wildtier

Joachim Mörke Unternehmenskommunikaton des Forschungsverbundes Berlin e.V.
Forschungsverbund Berlin e.V.

    Archiv der Wildtierkrankheiten demnächst auch im Internet

    Eine einzigartige veterinärpathologische Fallsammlung aus 40 000 Tierobduktionen, die 1958 begründet wurde, besitzt das Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Es stellt sie jetzt der Fachwelt zur Verfügung, erklärte Professor Reinhold R. Hofmann, Direktor des IZW. Damit wird eine Anregung des Wissenschaftsrates umgesetzt.

    Hirsche mit Fettleber, Amurtiger mit Magengeschwüren, ein Bär mit krankhaft veränderten Wirbelkörpern (Spondylose) und schließlich eine Elenantilope mit Zahnabszessen bis tief in den Kieferknochen hinein - auch Wildtiere werden krank und sterben, wenn die Krankheit ihre existentiellen Verhaltensformen (Jagen, Fressen, Vermehren) beeinträchtigt. Solche und ähnliche Krankheitsfälle werden bei Obduktionen im Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) seit langem aufgezeichnet und aufbewahrt, doch diese Sammlung ist kein Selbstzweck. Man stelle sich folgende Situation vor: Ein amerikanischer Professor untersucht eine tödlich verlaufende Krankheit am Elefanten. Was tut er, wenn er nur wenig Vergleichsmaterial hat? Er kann auf weitere Krankheitsfälle warten. Richard Montali, von der Smithonian Institution Washington, wartete nicht, er rief im Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung an. Aus langjähriger Zusammenarbeit wußte er, daß dieses Institut Organproben von mehr als 40 000 Tier-Obduktionen aufbewahrt - die größte pathologisch-anatomische Sammlung im Bereich der Zoo- und Wildtierforschung. Professor Montali sah sich in Berlin die Gewebeschnitte aller obduzierten Elefanten an. Wo der Verdacht einer Herpes-Virusinfektion nahelag, wurden spezielle Untersuchungen eingeleitet. So ist er in der glücklichen Lage, eine größere Gruppe gleichgearteter Krankheitsbilder in seine Studien einzubeziehen.

    Streß macht Spitzmaulnashörner todkrank

    Mitunter erscheint die Krankheitsursache ganz naheliegend. Strahlenpilzerkrankung bei einer Busch-Antilope zum Beispiel kann sich bilden, so Prof. Hofmann, wenn zu hartes Rauhfutter verabreicht wird; dann entstehen zuerst Druckstellen, später Entzündungen am Zahnfleisch, schließlich wird der Kieferknochen angegriffen und zersetzt. Häufig liegen die Ursachen tiefer und verlangen handfeste Grundlagenforschung. Dr. Jutta Wisser schildert den rätselhaften Tod von Spitzmaulnashörnern in Zoologischen Gärten. Neun Tiere landeten postum im IZW auf dem Seziertisch. Stets ergab die Obduktion das gleiche Bild: hämolytische Anämie - eine Krankheit, die die roten Blutkörperchen in den Gefäßen der Dickhäuter zerstört. Da auch die Amerikaner mit dem Tod von Spitzmaulnashörnern konfrontiert sind und intensiv an dieser Erkrankung forschen, wurden in Kooperation mit Dr. Eric Miller vom Zoological Park in St. Louis die Fälle des IZW ausgewertet. Bisher steht soviel fest: Die hämolytische Anämie ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Stoffwechselstörung der roten Blutkörperchen und kann offenbar durch Streß ausgelöst werden. Dieser Verdacht wird durch einen Vergleich mit gesunden Spitzmaulnashörnern in Afrika bestätigt. Spezialisten untersuchten Tiere, die von Rangern in freier Wildbahn zur Umsetzung in andere Reservate eingefangen worden waren. Es zeigten sich dieselben Erscheinungen im Blutbild - vermutlich wegen der enormen Streß-Situation beim Einfangen, obwohl die Tiere Beruhigungsmittel bekamen. Erstaunlich ist, daß bei Breitmaulnashörnern ein solches Geschehen nicht nachgewiesen wurde, was die pathologische Spurensuche für die Forscherin Jutta Wisser noch spannender macht. Sie ist bestrebt, immer ein Geflecht von Ursachen in Betracht zu nehmen, nicht am Einzelbefund zu kleben, sondern Ganzheitsmedizin zu betreiben.

    PARS für ganzheitliche Betrachtung

    Wie effektiv mit einer umfangreichen Sammlung gearbeitet werden kann, entscheidet deren Zugänglichkeit. Seit einigen Monaten verfügt das IZW neben dem normalen Haus-Computernetz über PARS, eine computergestützte Datenbank für Wildtierpathologie. PARS (für Pathologisch-Anatomische-Referenz-Sammlung) wurde von der Veterinärpathologin Dr. Jutta Wisser und dem Informatiker Constantin A. Jewgenow auf der Grundlage von PARADOX 7 für WINDOWS der Firma Borland entwickelt. Künftig soll PARS über Internet zugänglich sein. Meist wird der Benutzer des Programms zuerst Tierart, Organ und Krankheitssymptome anklicken, wenn er eine Frage hat. In besonderen Fenstern kann er dann die makroskopischen und histopathologischen Befunde lesen sowie die Ergebnisse der bakteriologischen, virologischen, parasitologischen und eventuell chemisch-toxikologischen Untersuchung aufrufen.

    Zum Beispiel Lama

    Ein gesundes, gut genährtes Lama verweigert in einem Zoo plötzlich die Nahrungsaufnahme und stirbt. Bei der Obduktion werden zahlreiche Geschwüre im Magen festgestellt, Blutungen am Herzmuskelgewebe und in der Lunge. Die Leberzellen sind grobtropfig verfettet. In der PARS-Recherche kann dieses Krankheitsbild über Mausklick abgerufen werden, denn Frau Dr. Wisser hat vor ein paar Jahren vier Lamastuten mit derartigen Symptomen obduziert. Sie führte die Todesursache (Leber- und Nierenversagen) auf eine Vergiftung zurück. Am Gehegerand wachsende Eichen hatten durch frühen Frosteinbruch große Mengen grüner Eicheln abgeworfen. Ausgereift sind sie ein beliebtes Futter für Lamas und Wildkamele, unreif wirken sie tödlich. Um sich zu vergewissern, kann der Benutzer noch ein makroskopisches Bild sowie die histopathologische Abbildung eines Gewebeschnittes betrachten - und am Ende alles ausdrucken. PARS - ein komfortables Dokumentations- und Rechercheprogramm.

    Sammlung wurde 1958 begründet

    Die pathologische Sammlung des IZW reicht bis in das Jahr 1958 zurück. Damals begann Professor Johannes Dobberstein im ehemaligen Institut für Vergleichende Pathologie der Deutschen Akdademie der Wissenschaften zu Berlin Zoo- und Wildtiere zu sezieren. Seit Anfang der sechziger Jahre wurden die Obduktionen von Professor Rudolf Ippen in der (später umbenannten) Forschungsstelle für Wirbeltierforschung weitergeführt, der Vorgängerin des heutigen IZW. Diese kleine, an den Berliner Tierpark angrenzende Akademie-Einrichtung machte sich bald einen Namen, obwohl die Bedingungen für die Obduktionen nicht angenehm waren. Es gab bis zur gesamtdeutschen Neuprofilierung des Stammhauses keine Entlüftungsanlage, keine hinreichende Abwasserbehandlung (erst 1996 wurde die alte Sektionshalle gründlich umgebaut und modernsten Standards angepaßt).

    Nach der Evaluation der AdW-Forschungsstelle 1991 beauftragte der Wissenschaftsrat das Institut, die wertvolle Sammlung der internationalen Forschung zugänglich zu machen - das PARS-Programm ist ein entscheidender Schritt dazu.

    Der Fundus selbst gliedert sich in drei Dispositionen:

    - die Sammlung der histopathologischen Schnittpräparate, normalerweise 10 bis 15 pro Tier;

    - die Paraffinsammlung, wo die Organproben in etwa würfelgroße, gut schneidbare Wachsblöcke gegossen sind - dieser Aufbewahrungsmodus ist wichtig, weil mit neuen Nachweisverfahren eventuell weitere Details erkannt werden-; und schließlich

    - die Organproben selbst.

    Letztere sind, formalinfixiert, in Plastebeutel eingeschweißt und füllen einige hundert verschließbare Kästen. Hier finden sich nun die pathomorphologischen Relikte des Bucharahirsches neben Tigerpython, Saiga-Antilope, Bengalwaran... Es ist noch einiger Aufwand notwendig, um alle derzeit auf Papier dokumentierten Stammdaten und Befunde in das PARS-Programm zu schreiben. Die aktuellen Fälle (ab 1997) hat Jutta Wisser sofort eingegeben. Die älteren sollen mit Hilfe von Doktoranden nachgearbeitet werden.

    Ansprechpartnerin im IZW: Dr. Jutta Wisser, Tel.: 030/5168 204; Fax: 030/5126 104; e-mail wisser@izw-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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