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17.07.1996 00:00

Biophysiker entdeckten das älteste Rad der Welt

Marietta Fuhrmann-Koch Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Osnabrück

    Osnabrueck, 17. Juli 1996 / Nr. 102/96

    Osnabruecker Biophysiker entdeckten das aelteste Rad der Welt

    Bestandteile eines Enzyms drehen sich - Wissenschaftler bestaetigten umstrittene Annahme

    Von Olaf Fritsche

    Die groesste Erfindung der Menschheit - das Rad - ist fuer die Natur schon lange ein alter Hut. Als Leben auf der Erde noch jung war, besassen schon die ersten Zellen ein Rad. Und sie haben es weitergegeben an ihre Nachkommen, so dass heute, nach drei Milliarden Jahren Evolution, fast jede Zelle damit ausgestattet ist, vom einfachen Bakterium bis hin zu menschlichen Zellen. Den Osnabruecker Biophysikern Dirk Sabbert, Dr. Siegfried Engelbrecht und Prof. Dr. Wolfgang Junge ist jetzt der Beweis gelungen, dass sich dieses Rad, das aelteste und kleinste der Welt, dreht. Mit der Veroeffentlichung ihrer Ergebnisse im angesehenen Wissenschaftsmagazin "Nature" haben sie einen Wettlauf mit Kollegen aus aller Welt gewonnen.

    Das Rad, um das es hier geht, ist Bestandteil eines Enzyms, der sogenannten ATP-Synthase. Dieses Enzym ist ein kleiner Motor, der Energie aus der Nahrung oder dem Sonnenlicht in einen Speicher, das Nukleotid Adenosintriphosphat (ATP), ueberfuehrt, ganz aehnlich einem elektrischen Ladegeraet, das mit Strom aus der Steckdose Akkus wieder auflaedt. Die Osnabruecker Forscher gingen in ihren Untersuchungen von der bereits seit einigen Jahren diskutierten Vermutung aus, dass sich Teile der ATP-Synthase wie bei einem Rad drehen. Fuer diese Annahme sprach vor allem der Aufbau des Enzyms: Die ATP-Synthase hat eine zylindrische Form mit drei um jeweils 120 Grad versetzten Orten, an denen ATP gebildet werden kann. In der Mitte befindet sich eine Achse, die leicht gebogen ist. Abbildungen, die das Enzym in der Aufsicht zeigen, erinnern daher unwillkuerlich an ein Rad mit drei gleichmaessig verteilten Reaktionsorten.

    Der Theorie zufolge sollte sich die zentrale Achse drehen und mit ihrer Kruemmung das ATP aus dem Enzym stossen. Doch diese Vorstellung war umstritten: Bisher war von keinem Enzym bekannt, dass sich einzelne Bestandteile waehrend seiner Arbeit in einem grossen Winkelbereich bewegen. Da die ATP-Synthase nur zehn Millionstel Millimeter gross ist und damit selbst modernste Elektronenmikroskope bestenfalls unscharfe Momentaufnahmen von ihr liefern koennen, war ein erheblicher experimenteller Aufwand fuer den Beweis der Drehung noetig.

    Im ersten Schritt wurde das Molekuel isoliert. Als Ausgangsmaterial eignete sich dafuer am besten ein Extrakt aus Spinatblaettern. Dabei konnte aus jedem Kilogramm Spinat nur etwa ein Zehntel Gramm des Enzyms gewonnen werden. Das Enzym wurde dann mit seinem zylindrischen Rumpf raeumlich fixiert, waehrend die zentrale Achse mit einem Farbstoff eine Markierung erhielt und beweglich blieb. Durch einen Laserblitz wurden gezielt alle die Farbmolekuele zerschossen, die in der Polarisationsrichtung des Lasers standen. Dadurch blich die anfangs rote Enzymloesung teilweise aus. Beobachtet werden konnte dies mit Messlicht, das in der gleichen Ebene wie der Laserblitz schwang. Wenn die Achsen rotierten und dadurch unzerstoerten Farbstoff in die Beobachtungsebene drehten, erschien die Loesung wieder rot. Die Farbaenderungen wurden elektronisch verstaerkt und mit hoher Zeitaufloesung aufgezeichnet.

    Nach einer Vielzahl von Versuchsreihen stand fest, dass intakte Farbmolekuele nur dann in die Richtung des Messlichtes gedreht wurden, wenn das Enzym aktiv war. Zusammen mit einer Reihe von Kontrollmessungen war dies der Beweis, dass die Achse in der ATP-Synthase sich tatsaechlich bewegt wie die Kurbelwelle in einem Motor. Im Vergleich mit der modernen Nanotechnologie zeigt sich, welche filigrane Meisterleistung der Natur mit der Erfindung der ATP-Synthase gelungen ist. Denn dieser "Motor des Lebens" ist rund hundertmal kleiner als die Gebilde von Menschenhand. Doch er laeuft und hat sich bewaehrt - seit etwa drei Milliarden Jahren.

    Olaf Fritsche ist Doktorand am Fachbereich Biologie/Chemie der Universitaet Osnabrueck.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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