Uni-Forschungsprojekt zur Arbeit in den Service-Zentralen steht vor dem Abschluss
Sie heißen Call Center Agents, pflegen den heißen Draht zum Kunden und begegnen auch dem nervigsten Anrufer mit Geduld und Höflichkeit. Weit über 200 000 Menschen sollen bundesweit in diesem stressigen Metier arbeiten. Allein in Duisburg und Dortmund sind es zwischen 6000 und 7000 Beschäftigte. Der Service-Boom am Telefon hat auch die Forschung auf den Plan gerufen. Denn einerseits gelten Call Center, die "akustischen Visitenkarten der Unternehmen", als wichtiges Segment des Arbeitsmarkts. Andererseits werden sie in einem Atemzug mit monotoner Arbeit, ungünstigen Arbeitszeiten und schlechter Bezahlung genannt.
Zwei Jahre lang haben SoziologInnen der Gerhard-Mercator-Universität unter der Leitung von Prof. Dr. Hanns-Georg Brose und Dr. Ursula Holtgrewe die telefonischen Service-Zentralen unter die Lupe genommen. Ihr Forschungsprojekt "Call Center: Organisationelle Grenzstellen zwischen Neotaylorismus und Kundenorientierung" wurde dabei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Um sichere Aussagen zu Arbeitsstrukturen, -inhalten, -anforderungen und zur Organisation von Call Centern zu bekommen, wurden zahlreiche Interviews geführt. Intensiv befragt wurden nicht nur Mitarbeiter, Manager und Betriebsräte in elf Call Centern, sondern auch ExpertInnen aus Gewerkschaft, Verbänden und Politik.
Die Dienstleister am Draht müssen auch auf Draht sein
Call Center nehmen eine strategisch wichtige Position zwischen Unternehmen und Kunden ein. Über sie wickeln die Unternehmen eine große Bandbreite an Dienstleistungen ab: Das reicht von einfachen Services wie Bestellannahme über Bankdienste, Telekommunikation und Marketing bis hin zu Beschwerde-Hotlines oder Hotlines für professionelle Unterstützung und (technische) Beratung.
Die Eignung der AgentInnen ist dabei nur in wenigen Fällen von einer einschlägigen beruflichen Ausbildung abhängig. Trotzdem ist Call Center-Arbeit kein Routine-Job für "Quasselstrippen", sondern erfordert Kommunikationsprofis. Wenn es um Kundenorientierung, -pflege und -gewinnung geht, lässt sich die Arbeit nicht als "Fließband im Kopf" organisieren. Vielmehr muss der Spagat zwischen Standard-Telefonat und einfühlendem Gespräch, zwischen schneller Gesprächsabwicklung und kompetenter Problemlösung geschafft werden. Kommunikatives Geschick und eine rasche Auffassungsgabe sind also gefragt.
Die Call Center tragen den hohen Anforderungen an ihre AgentInnen durchaus Rechnung: Die Rekrutierung und Qualifizierung von Mitarbeitern wird mit Aufwand betrieben. Assessment Center und Probe-Arbeitstage sind üblich. Gesprächscoaching und Trainings haben für die Personalentwicklung - vor allem bei den Call Centern der Banken - einen wichtigen Stellenwert.
Attraktiv sind für Call Center vor allem die Beschäftigten, die von vorn herein qualifiziert und gut ausgebildet sind, aber durch ihre Lebenssituation (Studium, Berufswiedereinstieg) nur begrenzte Ansprüche an Entlohnung und Beschäftigungssicherheit stellen. So studierten 40 Prozent der Befragten, von den übrigen hatten mehr als 40 Prozent (Fach-) Abitur. Über 80 Prozent der Nicht-Studierenden hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung, ein Zehntel konnte sogar ein abgeschlossenes Studium vorweisen.
Zeitliche Flexibilität ist ein weiteres zentrales Merkmal der Call Center-Arbeit. Die Teilzeitquote lag in den elf untersuchten Call Centern bei etwa 70 Prozent. Dazu wird häufig eine kurzfristige Schichtplanung akzeptiert, wenn sie durch Ausschluss- und Wunschzeiten mitbestimmt werden kann.
Galten Call Center in Sachen Tarifvertrag, betrieblicher Mitbestimmung und beruflicher Ausbildung lange Jahre als schwarze Schafe, hat sich das Image etwas gebessert: Nun wird über Tarifverträge für die Finanz- und Marketing-Dienstleister verhandelt, der Hamburger Einzelhandel schloss vor wenigen Monaten einen ersten Tarifvertrag für seine Call Center ab, und in fast allen größeren Call Centern haben sich Betriebsräte etabliert.
Von einer Karriere im Call Center träumt übrigens kaum einer der Beschäftigten, fanden die Duisburger Soziologen heraus. Viele sehen ihre Tätigkeit als eine Art Übergang an und hoffen, von den neu erworbenen Kompetenzen zu profitieren: 70 Prozent meinen, dass ihre Call-Center-Erfahrungen in anderen Berufen nützlich sind. Das Gros der Interviewten stimmte überein, dass man die Arbeit allein am Telefon höchstens vier, fünf Jahre ausüben könne. Die jetzt schon hohe Fluktuation der Belegschaft könnte folglich ein Problem werden. Das Arbeitsmarktpotenzial ist gerade wegen der kommunikativen Anforderungen nicht unbegrenzt. Für die Unternehmen könnte das heißen, bessere Arbeitsbedingungen schaffen und in die Personalentwicklung investieren zu müssen. Aber auch, wenn sich Call Center-Arbeit so allmählich vom Job zum Beruf wandelte, bleibt fraglich, ob es zu einer eigenen Berufsausbildung für AgentInnen kommen sollte.
Die Entwicklung der Call Center sehen die Duisburger Forscher zweigeteilt: Auf der einen Seite sind da die Call Center, die ein "Dequalifizierungsmodell" verfolgen. Ihnen gelingt es, einen größeren Teil der Gespräche zu standardisieren, die Löhne bei schlechten Arbeitsbedingungen besonders niedrig und die Belastungen hoch zu halten. Diese Arbeitsplätze sind am ehesten durch Automatisierung gefährdet. Aber sie werden auch von den Beschäftigten verlassen, sobald sich etwas Besseres findet. Aussichtsreicher sind Arbeitsmodelle, die auf Dienstleistungsqualität und Spezialisierung setzten. Der Ausbau weiterer Kommunikationskanäle und Medien (Internet, Email, Chat, SMS, UMTS/M-Commerce), aber auch erklärungsbedürftige Technik und Dienstleistungen (etwa die "Riester-Rente") werden hier für einen großen Bedarf an kompetenten AgentInnen sorgen.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Hanns-Georg Brose, Tel. 0203/379-2739, E-Mail brose@uni-duisburg.de
Dr. Ursula Holtgrewe TU Chemnitz, Tel. 0371/531-5370, E-Mail ursula.holtgrewe@ wirtschaft.tu-chemnitz.de
Dr. Christian Kerst, Tel. 0203/30511-280, E-Mail kerst@uni-duisburg.de
http://soziologie.uni-duisburg.de/forschung.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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