Soziologen der TU Chemnitz und des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt/Main stellen eine steigende Belastung sowie zunehmende Probleme bei der Realisierung professioneller Standards bei Arbeitnehmern fest
Dauerhafter Zeit- und Leistungsdruck, regelmäßige Überstunden, geringe Entscheidungsspielräume bei gleichzeitig fehlender Anerkennung und Unterstützung durch Führungskräfte, zunehmend prekäre Berufsbedingungen selbst bei qualifizierten Arbeitskräfte - nicht wenige Arbeitnehmer in Deutschland sind erheblich belastet und nicht selten auch überfordert. Neben steigenden psychischen Problemen ist als Folge eine ernsthafte Gefährdung von Arbeitsqualität und Professionalität zu registrieren. Zu diesem Ergebnis kommen Soziologen der Technischen Universität Chemnitz und des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt/Main nach einer Befragung der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. (DGSv). Supervisoren beraten Organisationen und Unternehmen. In der Untersuchung ging es darum, wie die befragten Experten die Arbeitsbedingungen in den von ihnen betreuten Organisationen im Profit- und Non-Profit-Bereich wahrnehmen.
Die Daten wurden 2011 als zweite Welle einer erstmals 2008 durchgeführten viel beachteten Befragung erhoben. 30 qualitative Intensivinterviews, vier Gruppendiskussionen sowie eine standardisierte E-Mail-Befragung der Mitglieder der DGSv mit einer Beteiligung von 23,6 Prozent (das entspricht 893 Befragten) bildeten in dieser Welle die Grundlage der Erhebung. Die Wissenschaftler werten die Studie aufgrund der Zusammensetzung der Stichprobe als repräsentativ. 44,3 Prozent der Befragten nahmen bereits an der Vorgängerstudie teil. Auch die aktuelle Untersuchung bestand aus einem breiten Spektrum von Fragen zu den Arbeitsbedingungen. Hinzu kamen dieses Mal zwei Schwerpunkte: Die Chemnitzer Forscher befassten sich unter Leitung von Prof. Dr. G. Günter Voß (Professur Industrie- und Techniksoziologie) vor allem mit der Qualität der geleisteten Arbeit. Die Frankfurter Wissenschaftler beschäftigten sich unter Leitung von Prof. Dr. Rolf Haubl insbesondere mit den gesundheitlichen Auswirkungen steigender Arbeitsbelastungen. Die Studie wurde von der DGSv finanziert.
Gaben 2008 fast 80 Prozent der Befragten an, dass Beschäftigte unter dauerhaftem Leistungsdruck stehen, so waren es 2011 bereits mehr als 90 Prozent. Fast alle (97,3 Prozent) erkennen inzwischen steigende psychophysische Belastungen aufgrund hoher Arbeitsbelastungen, die in den Augen von ebenfalls über 90 Prozent eine Zunahme von Erkrankungen zur Folge haben - vor allem als Burnout-Phänomene (94,3 Prozent). "Nimmt man dauerhaften Leistungsdruck als aussagefähigen Indikator für die Belastungen am Arbeitsplatz, dann haben diese von 2008 auf 2011 keineswegs abgenommen. Im Gegenteil: Sie stabilisieren sich auf hohem Niveau", fasst Prof. Voß zusammen.
Fast 70 Prozent der befragten Experten erklären zudem, dass ökonomische Kriterien zunehmend Qualitätsstandards verdrängen und es wachsende Konflikte über Leistungsstandards zwischen Management und Mitarbeitern gibt. "Das Ziel professionellen Handelns liegt aus Sicht der Organisationen insbesondere darin, den eigenen ökonomischen Erfolg zu sichern. Für die Beschäftigten ist professionelles Arbeiten hingegen vor allem mit Sinnhaftigkeit, klar erkennbarer Wirksamkeit und fachlicher Qualität verbunden", erklärt Voß und benennt als ein für ihn besonders wichtiges Ergebnis der Studie: "Den Sinn der geleisteten Arbeit zu erkennen, fällt den Beschäftigten immer schwerer. Das kann zu einer erheblichen Entfremdung von der eigenen Tätigkeit führen, die ein bisher wenig beachteter Grund für die derzeit weithin beobachtete Zunahme psychischer Belastungen sein könnte."
Bei der Untersuchung der gesundheitlichen Auswirkungen von hohen Belastungen am Arbeitsplatz registrieren die Wissenschaftler vor allem fünf Problemfelder: Einer deutlichen Überforderung in vielen Bereichen steht eine bestenfalls durchschnittliche oft aber auch fehlende Anerkennung für die geleistete Arbeit und eine nur durchschnittlich realisierte Leistungsgerechtigkeit gegenüber, was wichtige Ursache für eine gravierende Demoralisierung und oft auch Erschöpfung der Arbeitnehmer ist. "Die Daten zeigen generell, dass ein Großteil der Arbeitnehmer unter einer starken bis sehr starken Erschöpfung leidet - was aber nicht sofort mit dem derzeit populären Schlagwort Burnout gleichgesetzt werden darf", so Voß. Diese Erschöpfung folgt laut der Studie vor allem aus zu hoher Arbeitsbelastung aber auch aus den registrierten Konflikten um die Qualität und den Sinn der Arbeit. Solche Probleme können sich jedoch relativieren, wenn die geleistete Arbeit von Führungskräften anerkannt und leistungsgerecht belohnt werde. Auch eine gute Arbeitsatmosphäre und belastungsreduzierende Hilfestellungen durch die Vorgesetzten wirken der Erschöpfung entgegen. Allerdings lässt beides laut der Studie häufig zu wünschen übrig: 62,7 Prozent der Befragten registrieren, dass Führungskräfte nur unzureichend Halt und Orientierung bieten. 53,3 Prozent können nicht erkennen, dass das Betriebsklima in den Organisationen gut ist. Es ist daher wenig verwunderlich, wenn eine große Mehrheit (65,3 Prozent) der folgenden Aussage zustimmt: "Ein erheblicher Teil meiner Supervisanden hat Angst, psychische Belastungen am Arbeitsplatz gegenüber seinem Vorgesetzten zur Sprache zu bringen."
"Wollen Arbeitgeber etwas gegen die Erschöpfung ihrer Belegschaften tun, dann können sie vor allem an folgenden Punkten ansetzen: Ein hoher Arbeitseinsatz sollte deutlich wertgeschätzt und Leistung gerecht belohnt werden. Außerdem braucht es ein Klima, in dem Vorgesetzte die Mitarbeiter vor Überlastungen und nicht zuletzt vor Selbstausbeutung schützen sowie dazu beitragen, dass Probleme angesprochen werden und sich Kollegen solidarisch verhalten", fasst Voß zusammen.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse stellt die DGSv im Internet bereit: http://www.dgsv.de/wp-content/uploads/2012/02/erste_ergebnisse-grenzen_professio...
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. G. Günter Voß, Telefon 0371 531-34388, E-Mail guenter.voss@soziologie.tu-chemnitz.de.
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