Forschungszentrum Karlsruhe wird deutsche Schaltstelle des schnellsten Rechnernetzes der Welt
Das "World Wide Grid" ist der Schlüssel zum wissenschaftlichen Rechnen von morgen. Auslöser sind Großexperimente der Physik, bei denen gigantische Datenmengen anfallen. Aber die neue Technologie ist auch für andere Wissenschaftsdisziplinen mit steigendem Rechnerbedarf notwendig. Die Philosophie ist vom World Wide Web übernommen und weiterentwickelt: Daten werden nicht mehr auf einem einzigen zentralen Großrechner gespeichert und verarbeitet, sondern dezentral in mehreren weltweit verteilten leistungsstarken Rechenzentren, die jeweils aus Tausenden von einzelnen Computern bestehen. Damit entsteht ein Superrechner, der über die ganze Welt verteilt ist. Die Datenleitungen sollen auf Kapazitäten von 6 Gigabit/Sekunde ausgelegt sein, so viel wie 100 000 ISDN-Leitungen. Weltweit sollen sieben große Rechenzentren den Informationsfluss kontrollieren. Eines dieser sieben Zentren wird nun im Forschungszentrum Karlsruhe aufgebaut.
Bis zum Jahr 2006 wird beim europäischen Forschungszentrum CERN in Genf unter dem Namen LHC (Large Hadron Collider) der größte Beschleuniger der modernen Teilchenphysik aufgebaut. In einem 27 Kilometer langen, kreisförmigen Teilchenbeschleuniger werden dann Protonen oder Bleikerne mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen. Beim Zusammenstoß werden sie in Unmengen kleinerer Elementarteilchen zerplatzen und dadurch Einblick in die innerste Struktur der Materie geben. Dabei müssen in jeder Sekunde über 100 Millionen Messdaten registriert werden. Drei Millionen Gigabyte an Daten müssen jährlich gespeichert und für weltweit verteilte Wissenschaftlergruppen aufbereitet werden. Auf CD-ROM gepresst ergäbe die Datenmenge einen Stapel, der doppelt so hoch ist wie die Zugspitze.
Die Physiker drohen in dieser Datenflut zu ertrinken, wenn nicht rechtzeitig Konzepte für ihre Bewältigung entworfen werden. Ein einzelnes Rechenzentrum kann den Bedarf nicht mehr abdecken. So entstand die Idee, die Daten und die benötigte Rechenleistung in einer hierarchischen Schichtenstruktur über die ganze Welt zu verteilen und die einzelnen Standorte über eine besonders leistungsfähige Internetstruktur miteinander zu verknüpfen.
Das CERN, definiert als Schicht 0, wo die Experimente durchgeführt werden, wird die Daten weltweit auf voraussichtlich sechs Rechenzentren der so genannten Schicht 1 verteilen, von dort laufen sie auf einige Dutzend Zentren der Schicht 2, bis sie schließlich mit Schicht 3 in wissenschaftliche Institute und mit Schicht 4 auf mehrere tausend Arbeitsplätze der beteiligten Wissenschaftler verteilt sind. Mit dem Aufbau eines Rechenzentrums der Schicht 1 hat das Forschungszentrum Karlsruhe nun für Deutschland begonnen. Unter dem Namen "Regional Data and Computing Center Germany" (RDCCG) - regionales Daten- und Rechenzentrum Deutschland - entsteht hier ein Knoten für das wissenschaftliche Rechnen von morgen. Weitere fünf solcher Knoten werden in Europa und den USA entstehen.
"Ein solches Datennetz ist nicht nur für die Auswertung der LHC-Experimente notwendig", erläutert Klaus-Peter Mickel, Leiter der Hauptabteilung Informations- und Kommunikationstechnik des Forschungszentrums Karlsruhe. "Schon heute gibt es riesige Datenmengen aus US-amerikanischen Teilchenbeschleunigern, die bisher in Deutschland nur unzureichend ausgewertet werden können."
Das RDCCG wird deshalb zunächst der Auswertung von Experimenten an den schon bestehenden Teilchenbeschleunigern dienen, aber auch schon zur detaillierten Simulation der in den Experimenten am LHC zu erwartenden Ereignisse benutzt werden. Gleichzeitig wird das RDCCG in großen Schritten so erweitert, dass ab 2006 auch die gewaltigen Datenmengen aus den LHC-Experimenten verarbeitet werden können.
Für die fünf-schichtige Rechnerstruktur, bei der Computer und Datenbanken über das Internet verknüpft werden, hat sich der Begriff "World Wide Grid" oder einfach "Grid" eingebürgert. Damit soll an das Elektrizitätsnetz (englisch: Grid) erinnert werden, aus dem man mittels einer Steckdose überall auf der Welt elektrische Leistung beziehen kann, ohne sich darum zu kümmern, wo sie entstanden ist. Genauso soll die Arbeit im "World Wide Grid" ablaufen: Ein Wissenschaftler wird seinen Rechner an das Grid anstöpseln und sein Problem formulieren. Das Grid wird mit Hilfe intelligenter Software, so genannter "Middleware", selbständig feststellen, wo im globalen Netz die Daten abgelegt sind, in welchem angeschlossenen Rechenzentrum die benötigte Rechenkapazität zur Verfügung steht und wie die Datenübertragung am schnellsten geht. Die Ergebnisse werden dem Forscher direkt auf seinen Rechner geliefert.
Das RDCCG könnte sich schnell zu einem unverzichtbaren Instrument für die ganze Forschungslandschaft entwickeln. Auch andere Disziplinen, beispielsweise die Biologie, die Medizin, die Geologie und die Meteorologie, melden wachsenden Bedarf an Rechnerkapazitäten an, der mit Hilfe vernetzter Computer befriedigt werden könnte. Das von Kern- und Teilchenphysikern vorgeschlagene und nun vor der Realisierung stehende "World Wide Grid" könnte so zum Wegbereiter für eine weltweite Kooperation von Wissenschaftlern vieler Fachrichtungen werden.
Joachim Hoffmann 22. April 2002
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Schränke voller Prozessoren - im Forschungszentrum Karlsruhe ist der Aufbau des "Regional Data and C ...
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Elektrotechnik, Energie, Informationstechnik, Mathematik, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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