Prof. Dr. Dr. Michael Schultz, Paläopathologe der UMG, untersucht Nachbildung eines 500.000 Jahre alten Schädels auf Tuberkulose. Morphologische Untersuchungen sollen Entstehung der Erkrankung erklären.
(umg) Bisher war sich die Wissenschaft einig: Tuberkulose trat erst vor einigen tausend Jahren das erste Mal beim Menschen auf. Ein internationales Forschungsteam aus den USA, der Türkei und aus Deutschland hat im Jahr 2004 einen Fund gemacht, der diese Vermutung in Frage stellt. Das Fundobjekt sind Einzelteile des Schädels eines Homo erectus, eines sogenannten Frühmenschen, aus der Provinzstadt Denizli in der Türkei. An der Innenseite des 500.000 Jahre alten Schädels weisen Spuren darauf hin, dass dieser Frühmensch an einer durch Tuberkulose ausgelösten Hirnhautentzündung gelitten haben könnte. Handelt es sich bei dem Fundobjekt um den frühesten Nachweis von Tuberkulose beim Menschen? Das will Prof. Dr. Dr. Michael Schultz, Arbeitsgruppe Paläopathologie in der Abteilung Anatomie und Embryologie (Direktor: Prof. Dr. Christoph Viebahn) an der Universitätsmedizin Göttingen, herausfinden.
"Rein morphologisch gesehen, ist es wahrscheinlich, dass es sich bei den ‚Grübchen' und Einkerbungen an der Innenseite des Vorderschädels um Überreste einer durch Tuberkulose ausgelösten Hirnhautentzündung handelt. Wenn diese Annahme stimmt, ist der Fund aus der Türkei der einzige Nachweis weltweit von Hirnhaut-Tuberkulose beim Menschen aus der Fossilzeit", sagt der Paläopathologe Prof. Schultz.
Die morphologischen Erkenntnisse beziehen sich auf einen naturgetreuen Abguss des Schädelstücks. Prof. Schultz hat ihn zusammen mit dem amerikanischen Wissenschaftler Prof. John Kappelmann in Göttingen lupenmikroskopisch untersucht. Prof. Kappelmann, Anthropologe an der Universität Austin in Texas, ist Teil einer Forschungsgruppe, die die Knochenstücke des Frühmenschen untersucht. Das Originalfundstück befindet sich in der Türkei. Dort sollen im Sommer 2012 weitere lichtmikroskopische sowie endoskopische Untersuchungen klären, ob sich die morphologischen Annahmen bestätigen lassen. Fest steht: Die ein bis zwei Millimeter großen Läsionen an der Schädeldecke sind offenbar entstanden, als der Frühmensch noch gelebt hat. Sie sind typische Anzeichen für eine Infektion der Hirnhäute. Das sind die Membranen, die das Gehirn umgeben. "Vor allem die exakte Form und die Platzierung der Läsionen am Schädel sind sehr charakteristisch für eine bestimmte Form von Tuberkulose. Sie ist als Leptomeningitis tuberculosa bekannt", sagt Prof. John Kappelmann. Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen wurden im American Journal of Physical Anthropology veröffentlicht (American Journal of Physical Anthropology 135:110-116, 2008).
"Die paläopathologischen Untersuchungen liefern eine neue Grundlage zur Interpretation der Evolution und Geschichte der Tuberkulose. Sollten sich die morphologischen Untersuchungen bestätigen, ist dieser Fund von außergewöhnlicher Bedeutung für die geschichtliche Einordnung von Tuberkulose. Dann müsste der Zeitpunkt des ersten Auftretens der Krankheit in der Geschichte der Menschheit korrigiert werden", sagt Prof. Michael Schultz.
Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die am häufigsten die Lunge befällt. Die Erreger können sich aber auch in anderen Organen des Körpers ausbreiten - wie im Gehirn. Die Folge ist: Es kann eine Hirnhautentzündung entstehen. Das ist auch die Diagnose der Erkrankung dieses Frühmenschens. Zu erkennen ist dies an den deutlichen Riefen und Höckerstrukturen auf der Vorderseite der vorderen Schädelgrube. Der Größe und der stark wulstigen Augenbrauenknochen nach zu urteilen, gehören die Knochenstücke zu den Überresten eines jungen Mannes zwischen 18 und 30 Jahren. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich um einen aus Afrika stämmigen, dunkelhäutigen Mann handelt. Menschen mit dunkler Haut bilden weniger Vitamin D. Das macht sie anfälliger für bestimmte Krankheiten wie Tuberkulose. Die Schädelstücke wurden im Jahr 2004 bei Abtragungen von Travertin-Gestein in einem Steinwerk im Westen der Türkei gefunden.
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Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Abteilung Anatomie und Embryologie
Arbeitsgruppe Paläopathologie
Prof. Dr. Dr. Michael Schultz, Telefon 0551 / 39-7000 oder 39-7028
Kreuzbergring 36, 37075 Göttingen
mschult1@gwdg.de
Prof. Dr. Dr. Michael Schultz betrachtet das Schädelstück des Homo erectus in Prof. John Kappelmanns ...
Foto: umg
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Mit dem bloßen Auge gut zu erkennen: Einkerbungen und Riefen an der Innenseite des Schädels des Homo ...
Foto: Kappelmann
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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