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03.05.2012 12:21

(Un-)Sicherheitsfaktor Atombombe

Klaus P. Prem Presse - Öffentlichkeitsarbeit - Information
Universität Augsburg

    Beim Vergleich mit der Kuba-Krise sieht der Augsburger Politikwissenschaftler Andreas Bock in US-Sicherheitsgarantien für Teheran die unverzichtbare Voraussetzung für die Deeskalation und eine nachhaltige Lösung der Krise um das iranische Atomprogramm.

    Augsburg/AB/KPP - Der Streit um das iranische Atomprogramm hält die Weltgemeinschaft in Atem. Bisher sind alle Versuche einer diplomatischen Lösung ins Leere gelaufen. In seiner Studie "(Un)sicherheitsfaktor Atombombe", die jetzt von der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Reihe "Internationale Politikanalyse" veröffentlicht wurde, zieht Dr. Andreas Bock vom Lehrstuhl für Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg einen innovativen historischen Vergleich mit der Kuba-Krise und eröffnet damit eine neue Blickweise auf die dem Konflikt zugrundeliegenden Strukturen und Bedrohungsszenarien.

    Die Krise um das iranische Atomprogramm, so Bock, sei symptomatisch für eine widersprüchliche Sicherheitspolitik, die eigentlich mehr Sicherheit schaffen will, aber das genaue Gegenteil erreicht. Das Problem liege darin, dass Maßnahmen, die ein Staat ergreift um seine Sicherheit zu erhöhen, von einem anderen Staat als Bedrohung der eigenen Sicherheit wahrgenommen werden und entsprechende Gegenmaßnahmen auslösen, die nur wieder die Unsicherheit des anderen Staates erhöhen. In der Politikwissenschaft spricht man hier von einem Sicherheitsdilemma.

    Kuba-Krise als geeignete "Blaupause"

    Bock sieht in der Iran-Krise ist ein solches Sicherheitsdilemma. Der Iran fühle sich seit längerem bedroht, vielleicht sogar in seiner Existenz gefährdet. Das Streben Teherans nach einem funktionierenden Atomwaffenprogramm sei deshalb lediglich eine Reaktion auf dieses Gefühl der Bedrohung. Die Lösung der Krise hänge folglich davon ab, inwieweit es gelingen werde, die Bedrohungswahrnehmung auf Seiten Irans zu verändern. Und da die (Fehl-)Wahrnehmung von Sicherheit und Unsicherheit der Schlüssel zum Verständnis der Iran-Krise ist, bilde die Kuba-Krise die geeignete "Blaupause" zur Analyse der Iran-Krise, argumentiert Bock.

    Entscheidender Faktor: die Wahrnehmung

    Da Bocks Studie den Fokus auf die Wahrnehmung richtet, geht es in ihr nicht um die Frage der Legitimität oder Illegitimität politischer Handlungen, sondern ausschließlich um die Frage, wie diese Handlungen vom Iran und von dessen Umwelt (den USA oder Israel) wahrgenommen werden und welche sicherheitspolitischen Folgen diese Wahrnehmungen haben.

    Teherans Sehnsucht nach der Atombombe

    Warum will Iran überhaupt die Fähigkeit erwerben, nukleare Massenvernichtungswaffen herstellen zu können? Für Bock eine durchaus berechtigte Frage, denn an der Paradoxie von Nuklearwaffen habe sich seit dem Ende des Kalten Krieges nichts geändert: Man besitze sie, um sie nicht einsetzen zu müssen.

    "Iran behaves as a logical actor ..."

    Aus der Sicht eines rationalen Akteurs macht das Festhalten am Atomwaffenprogramm daher wenig Sinn. Nun könnte man unterstellen, dass Iran ein irrationaler Akteur ist. Und damit würde das iranische Streben nach der Atombombe, so unsinnig es erscheint, wieder Sinn machen. Tatsächlich aber verhalte sich Iran als nüchtern kalkulierender, rationaler Akteur, argumentiert Bock und beruft sich dabei auf Ephraim Kam, der bereits 2007 in seiner Studie "A Nuclear Iran: What Does it Mean, and What Can Be Done?" feststellt: „Iran behaves as a logical actor – even in Iranian terms – that considers the risks and costs incurred by its actions and is not guided by ideological-religious considerations alone." Damit ähnele diese Situation derjenigen, in der Chruschtschows entschied, Atomraketen insgeheim auf Kuba zu stationieren. Aus heutiger Sicht erscheine dieser Schritt irrational und höchst riskant, denn wie habe Chruschtschow nur glauben können, dass die USA Atomraketen, die problemlos Washington erreichen könnten, im eigenen Hinterhof dulden würden?

    Die Bombe aus der Perspektive Teherans: rationales Mittel der Selbstverteidigung

    Die Ängste vor einer iranischen Atombombe haben meist einen gemeinsamen Nennern nämlich die dem Iran unterstellte feindselige Intention. Natürlich, meint Bock, könne man die iranischen Atomwaffenpläne aus israelischer, US-amerikanischer oder europäischer Perspektive so wahrnehmen. Aus iranischer Perspektive erscheine das Atomprogramm freilich als rationales Mittel der Selbstverteidigung, der Selbsterhaltung (des Regimes) und der ausgleichenden Gerechtigkeit.

    Ist eine Lösung des Konflikts möglich?

    Bock hält eine Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm noch für möglich, aber sie werde weder einfach, noch schnell zu erreichen sein, denn für eine einfache und schnelle Lösung dauere der Konflikt mit Iran, der zudem nicht nur das Atomprogramm zum Gegenstand habe, schon zu lange. Um den Konflikt zu entschärfen, müsse eine Seite den ersten Schritt in Richtung Deeskalation tun und Zugeständnisse machen. Für Bock können die nur die USA sein. Die USA, so argumentiert er, können auf Teheran zugehen, ohne dass sich die Bedrohungssituation für die USA verändere, denn selbst ein nuklear bewaffneter Iran stelle für die USA keine nennenswerte Bedrohung dar.

    US-Sicherheitsgarantie als Voraussetzung für Wahrnehmungswandel Teherans

    Wenn das iranische Atomprogramm eine rationale Reaktion auf die von Teheran wahrgenommenen Bedrohungen der Sicherheit des Landes und des Regimes ist, muss eine nachhaltige Lösung des Atomstreits auf die nachhaltige Veränderung dieser Wahrnehmung durch Iran abzielen. Der Schluss, den Bock daraus zieht: Washington muss Teheran ein glaubhaftes Angebot auf Regimesicherheit unterbreiten. Denn wenn Iran die Sicherheitsgarantie der USA als glaubwürdig einschätzt, wird sich in der Wahrnehmung Teherans die Bedeutung des Atomwaffenprogramms in sein Gegenteil verkehren: Das Festhalten an einem militärischen Nuklearprogramm wäre ab dann nämlich irrational.

    Keine Alternative zur Deeskalation

    "Tatsächlich", resümiert Bock, "gibt es meiner Meinung nach keine Alternative zur Deeskalation, wenn man den Konflikt mit Iran nachhaltig entschärfen will. Ein militärisches Vorgehen gegen die iranischen Nuklearanlagen wäre dagegen kontraproduktiv, da es das Atomprogramm lediglich verlangsamen, aber nicht dauerhaft verhindern würde, im Gegenteil: Ein Angriff würde in Teheran die Überzeugung stärken, dass eine iranische Atombombe als Mittel der Abschreckung und Selbstverteidigung notwendig ist."
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    Andreas Bock: (Un-)Sicherheitsfaktor Atombombe - eine Analyse der Krise um das iranische Nuklearprogramm, Berlin, Friedrich-Ebert-Stiftung, Internationale Politikanalyse, 2012, ISBN 978-3-86498-109-8, http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09027.pdf
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    Kontakt:

    Dr. Andreas Bock
    Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung
    Universität Augsburg
    86135 Augsburg
    Telefon: +49(0)821-598-4704
    andreas.bock@phil.uni-augsburg.de


    Weitere Informationen:

    http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09027.pdf


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Politik
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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