SPERRFRIST 7.5., 11.00 Uhr
PRESSEKONFERENZ RHEIN-MAIN-HALLEN WIESBADEN
Die Integration der Radiologie in die Notfallversorgung im Schockraum rettet Leben. Dies belegt eine Studie des Klinikums der Universität München-Innenstadt. "Ein Radiologe sollte daher in jedem Traumazentrum dem Notfallteam angehören. Ebenso nötig ist eine streng standardisierte und aufeinander abgestimmte Diagnostik und Therapie", betonen Experten auf dem Deutschen Röntgenkongress in Wiesbaden.
Pro Jahr werden schätzungsweise 33.000 schwerverletzte Patienten in deutsche Kliniken eingeliefert. Ob sie überleben oder nicht, entscheidet sich häufig in den ersten Minuten und Stunden. "Viele Verunglückte kommen in sehr kritischem Zustand in den Schockraum der Notaufnahme, nicht nur wegen des schweren Unfalls, sondern auch weil durch Bergung und Stabilisierung des Patienten zu viel Zeit bis zur Einlieferung in die Klinik verstrichen ist", weiß Dr. med. Ulrich Linsenmaier, Oberarzt am Institut für Klinische Radiologie des Klinikums Innenstadt der Universität München. Dabei sind die ersten Stunden nach Aufnahme des polytraumatisierten Patienten maßgeblich für dessen weiteres Schicksal.
Durch eine verbesserte Koordination der beteiligten Fachdisziplinen im Traumateam, der Unfallchirurgen, Anästhesisten, Radiologen und ihrer Mitarbeiter lässt sich der "second death peak", also der zweite Todesgipfel nach dem eigentlichen Unfall, vermeiden. Dies belegen gemeinsame Untersuchungen von Unfallchirurgen und Radiologen am Klinikum Innenstadt der Universität München.
Ein interdisziplinäres Team aus Unfallchirurgen und Radiologen wollte insbesondere überprüfen, welche Faktoren bei der Koordination von klinischer und radiologischer Medizin für das Überleben der Patienten besondere Bedeutung haben. In den 90er Jahren haben die Mediziner in München begonnen, in einer groß angelegten Studie die Daten von inzwischen über 2400 polytraumatisierten Patienten zu dokumentieren und dabei den gesamten Behandlungsverlauf von der Aufnahme bis zur Rehabilitation auszuwerten.
"Der Faktor Zeit hat eine herausragende Bedeutung, die einzelnen Entscheidungen müssen ohne Unterbrechung in der richtigen zeitlichen Abfolge getroffen werden und in einen strukturieren Therapieansatz münden", erklärt Linsenmaier. Dieser Anforderung trägt die Münchner Klinik durch einen eigenen "Schockraum" Rechnung, der direkt neben der Notaufnahme liegt und sowohl für Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen als auch Notoperationen ausgestattet ist. Von dort aus besteht unmittelbarer Zugang zu einem Computertomographen und den modern ausgerüsteten Hightech-Operationssälen in den Nachbarräumen.
Nach einem Behandlungsplan (Schockraumversorgungskonzept) mit festgelegten Abläufen und Aufgaben arbeiten die Mediziner im Wettlauf gegen die Zeit: So beginnen die Mitarbeiter des radiologischen Teams mit der bildgebenden Basisdiagnostik, während die Unfallchirurgen die unmittelbar lebensbedrohlichen Störungen behandeln.
Parallel zur Klinischen ABC-Regel (Airway, Breathing, Circulation) entwickelten die Radiologen ergänzend die Radiologische ABC-Regel mit dem Ziel, auch unter Zeitdruck eine strukturierte, problemorientierte und vollständige Diagnostik zu ermöglichen. Die Radiologische Basisdiagnostik umfasst in den Phasen A und B (1-6 Minuten) eine Ultraschalluntersuchung von Brusthöhle, Herz und Bauch sowie Röntgenaufnahmen von Brustkorb, Halswirbelsäule und Becken. Diese Untersuchungen helfen dem Traumateam (in einer Triage) zu entscheiden, welche Verletzten sofort im Schockraum oder der angrenzenden Operationsabteilung notoperiert werden müssen.
Die überwiegende Mehrzahl der Unfallverletzten wird in der anschließenden Phase C (6-30 Minuten) mittels Computertomographie weiter untersucht, die weitere Informationen über Ort und Schwere der Verletzungen liefert.
Hier hat das Münchner Team bereits in den 90er Jahren ein neues CT-Verfahren entwickelt: ein "Rush-CT" reduziert die Zeit für eine Ganzkörper-Computertomographie um mehr als 50 Prozent, von 35 auf 15 Minuten. Dazu wird ein herkömmliches einzeiliges Spiral-CT (SCT) so programmiert, dass eine vollständige CT-Untersuchung des gesamten Körpers innerhalb der ersten 30 Minuten nach Aufnahme der polytraumatisierten Patienten möglich ist. Der Einsatz des mehrzeiligen Spiral-CTs (MSCT) wird in naher Zukunft zu einer weiteren Verbesserung und größeren Schnelligkeit der Untersuchungstechnik führen. Große Scanvolumen können in noch kürzerer Zeit mit schmalerer Schichtdicke erfasst werden. Die Untersuchungszeit verkürzt sich bei der neuen Generation der CTs erneut auf ein Sechstel bis Achtel. "Die Computertomographie ist inzwischen das mit weitem Abstand wichtigste Untersuchungsverfahren in der frühen Behandlungsphase von Schwerverletzten", betont Linsenmaier.
"Die Koordination von Anästhesie, Unfallchirurgie und Radiologie hat nachweislich zu einer kontinuierlichen Verkürzung der zur Basisdiagnostik benötigten Zeit geführt" erklärt der Radiologe. So liegt in München nach durchschnittlich sieben Minuten die erste Röntgenaufnahme des Brustkorbes vor. In anderen deutschen Kliniken dauert dieses - nach Zahlen des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie - im Durchschnitt 18 Minuten. Bei schwerem Schädel-Hirn-Trauma liegt der Patient in München binnen 28 Minuten im Computertomographen, andernorts vergehen 45 Minuten.
Durch die verbesserte Koordination der behandelnden Ärzte werden Blutungen und schwere Verletzungen früher erkannt und operiert. Entsprechend deutlich sank die Sterblichkeitsrate der Patienten: bei mittelschweren Verletzungen von 20 auf Null Prozent, bei schweren Verletzungen von 24 auf acht und bei sehr schweren Verletzungen von 71 auf 40 Prozent. Außerdem sank die Zahl der primär nicht diagnostizierten und somit übersehenen Verletzungen.
Bei der Verbesserung der Behandlung spielt auch die Analyse von Behandlungsfehlern eine wichtige Rolle: So handelte es sich bei den Versäumnissen mit 64 Prozent größtenteils um Managementfehler, d.h. dass es zeitliche Verzögerungen oder falsche Koordinationen diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen gab. Therapiefehler waren bei 23 Prozent ausschlaggebend, Diagnostikfehler bei 13 Prozent. Linsenmaier fordert deshalb, Diagnostik und Therapie aufeinander abgestimmt, nach streng standardisierten Bedingungen durchzuführen. Der Erfolgt scheint ihnen recht zugeben, denn die Münchner Innenstadtklinik nimmt beim Überleben von Schwerverletzten seit Jahren eine Spitzenstellung innerhalb der deutschen Unfallkrankenhäuser ein, wie die Statistik der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie belegt.
"Wir brauchen gleichwohl noch mehr langfristige und breit angelegte Studien um die Behandlungsabläufe weiter verbessern zu können", fordert Linsenmaier.
Von der Optimierung der Erstversorgung hängt nicht nur das Leben der Patienten ab, sie hat auch wichtige volkswirtschaftliche Auswirkungen. Die aus Unfallschäden resultierenden Folgekosten einschließlich der Renten und Entschädigungen für die Mehrfachverletzten belaufen sich nach Schätzungen auf rund acht Mrd. Euro pro Jahr. Bezogen auf einen Unfallverletzten ergeben sich Kosten von circa 50.000 Euro jährlich; bei dauerhafter Behinderung steigen diese Kosten auf bis zu 250.000 Euro pro Jahr und Patient.
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KONTEXT
Jedes Jahr kommen etwa 20.000 Menschen bei Unfällen ums Leben, wobei der Verkehrsunfall in Schwere und Häufigkeit führend ist. Im Jahr 1999 starben 19.715 Personen durch Unfälle, davon 7866 bei Verkehrsunfällen, 5592 bei Haushaltsunfällen und 658 bei Arbeits- und Schulunfällen (jüngste Untersuchung des Statistischen Bundesamtes). Der Verkehrsunfall ist bei jüngeren Menschen unter 45 Jahren die häufigste Todesursache und hat oft schwere Verletzungen (Schädel-Hirn-Trauma, Beckenquetschung, innere Blutung) zur Folge. Die besondere sozioökonomische Relevanz wird verdeutlicht durch die Tatsache, dass die durch Verletzungen verlorenen Lebensjahre dieser oft jungen Patienten, die Zahl der verlorenen Lebensjahre bei Tumorpatienten oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen übersteigt.
Rückfragen an:
Dr. med. Ulrich H. Linsenmaier
Institut für Radiologische Diagnostik, Klinikum der LMU, Innenstadt
Nussbaumstraße 20, 80336 München
Tel. 089-5160-9200 (9201), Fax 089-5160-9212 E-mail: lin@ch-i.med.uni-muenchen.de
Pressestelle
Barbara Ritzert, ProScientia GmbH, Andechser Weg 17, 82343 Pöcking
Tel. 08157/9397-0, Fax: 08157/9397-97, ritzert@proscientia.de
Pressestelle während der Tagung:
Regine Schulte Strathaus, Büro 3, 1. St., Rhein-Main-Hallen
Tel: 0611/144-203
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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