23.Juli 1996
Lichtregelnde Fenster und Fassadenelemente - intelligente Schattenspender
Sonnenstrahlung bringt Waerme ins Haus, wenn wir sie hereinlassen. Das spart Heizenergie in den kaelteren Jahreszeiten, fuehrt aber im Sommer zur UEberhitzung. Daher muessen Glasflaechen im Sommer aufwendig abgeschattet werden. Viel praktischer sind Fenster, die ihre Lichtdurchlaessigkeit automatisch veraendern und so immer fuer die richtige Dosis Sonnenlicht sorgen. Solche intelligenten Schattenspender entwickelt das Fraunhofer-Institut fuer Solare Energiesysteme ISE mit verschiedenen Industriepartnern bis zur Anwendungsreife.
Die Sonne kann es den Menschen nie so ganz recht machen, sie strahlt immer zuviel oder zuwenig. Kaum ist eine Schlechtwetterperiode ueberstanden und strahlender Sonnenschein hellt die Gemueter auf, schon beginnen neue Probleme: Die Sonnenstrahlen verwandeln Buerogebaeude in Brutkaesten, Wintergaerten in Saunen, Autos in Backoefen; das grelle Licht blendet und macht vor allem Bildschirmarbeit zur Qual. Schatten kann der Mensch aber selber machen, also spannt er Sonnenschirme auf, pflanzt Baeume vor das Haus, baut Rollos ein oder haengt Vorhaenge an die Fenster. All diese Schattenspender haben aber gravierende Nachteile: Sie sind sehr aufwendig und muessen staendig von neuem auf die aktuelle Sonnenstrahlung eingestellt werden, wenn sie optimal funktionieren sollen.
Der Dauerkampf des Sonnenanbeters mit seinen Sonnenschirm mag ja noch lustig sein, bei der Solarenergienutzung in Gebaeuden ist die Steuerung der Sonnenstrahlung jedoch ein zentrales Problem, das viel Geld kosten kann. Um im Herbst und Winter moeglichst viel Sonnenwaerme einfangen zu koennen, oeffnen sich Niedrigenergiehaeuser nach Sueden mit immer groesseren Glasflaechen. Voraussetzung dafuer sind hochdaemmende Verglasungen. Frueher waren Fenster die Schwachstelle der Gebaeudehuelle und daher klein; sie liessen Waerme hinaus und Diebe herein. Moderne Isolierglasfenster eignen sich dagegen zur Nutzung von Solarenergie in kaelteren Jahreszeiten. Fuer zusaetzliche Solargewinne koennen ausserdem die Aussenwaende genutzt werden, wenn sie mit transparenten Waermedaemmsystemen verkleidet werden. "Die energetische Auswirkung moderner Waermedaemmung kombiniert mit verbesserten Fenstern und solarer Heizung ist beeindruckend: Damit kann der Heizbedarf auch in unseren Breiten auf nahezu Null reduziert werden. Nur noch an wenigen, kalten Wintertagen ist eine Zusatzheizung noetig", rechnet Dr. Volker Wittwer vom Fraunhofer-Institut fuer Solare Energiesysteme ISE vor. Doch was fuer den Winter optimal ist, ist im Sommer ein Graus: Die Sonnenstrahlung kann man nicht abstellen, im Gegenteil, sie heizt im Sommer noch viel intensiver. Mit Klimaanlagen die UEberhitzung zu bekaempfen ist ein Irrweg, weil dabei wertvoller Strom verschwendet wird. Bleiben nur aufwendige mechanische Abschattungssysteme, um die Sonnenstrahlen abzuhalten. Rollos, Jalousien oder Vorhaenge sind nicht nur teure und stoeranfaellige, sondern letztlich auch ziemlich plumpe Hilfskonstruktionen, die staendige menschliche Nachhilfe verlangen. Ideal waeren Fensterscheiben, die automatisch die Menge und Verteilung des einfallenden Lichts regeln. Sonnenbrillen, die sich je nach Lichtintensitaet verfaerben, gibt es schon laenger. Nun werden auch selbst- regelnde Loesungen fuer grosse Glasflaechen anwendungsreif.
Gefoerdert vom Bundesministerium fuer Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie hat das Fraunhofer-Institut fuer Solare Energiesysteme ISE in Freiburg mit dem Chemiekonzern BASF, dem Isolierglas- und Beschichtungshersteller Interpane und dem Anbieter von Fassadensystemen und Innenbeschichtungen Sto AG in den letzten Jahren unterschiedliche "schaltbare Schichten" entwickelt. Sie werden als zusaetzliche millimeterduenne Schichten in Verbundglasscheiben oder Fassadenelemente integriert, um die Energiedurchlaessigkeit einfach und wirkungsvoll zu veraendern. "Da wir nicht alle Anforderungen mit einem einzigen System abdecken koennen, entwickeln wir zwei in Aufbau und Funktionalitaet voellig unterschiedliche Schichtarten: thermotrope und elektrochrome Schichten", erklaert Dr. Wittwer.
Thermotrope Schichten reagieren auf Waerme und werden bei einer bestimmten Temperatur undurchsichtig wie Milchglasscheiben. Sinkt die Temperatur, werden sie wieder klar. Diese Schichten basieren auf der Mischung zweier Komponenten mit unterschiedlichem Brechungsindex: Entweder zwei Polymeren bei Polymerblends oder Polymer und Wasser im Falle von Hydrogelen. Bei niedrigen Temperaturen sind diese Substanzen so vermischt, dass die Schicht voellig homogen und durchsichtig ist. Steigt die Temperatur bis zu einem eingestellten Wert, entmischen sich die Komponenten. Die Kornstruktur, die dabei entsteht, streut das Licht stark und reflektiert den groessten Teil diffus. Die weisse Eintruebung laesst nur noch einen ganz geringen Teil des Lichts hindurch, hat aber den Nachteil, dass die Transparenz verschwunden ist. Daher eignen sich thermotrope Schichten besonders fuer Fassadenelemente, transparente Waermedaemmung, Wintergaerten, UEberkopfverglasungen oder die unteren und oberen Teile von Fensterfronten, die nicht die Sicht nach draussen behindern. Ein ebenso breites Feld sind Anwendungen in Gewaechshaeusern oder der Landwirtschaft. Weil die Umschalttemperatur solcher Schichten bei der Herstellung in weiten Grenzen auf bis zu 100 Grad einstellbar ist, lassen sich damit aber auch hitzeempfindliche Geraete wie Pumpen schuetzen. Der Einsatz bei Sonnenkollektoren wird am ISE bereits getestet.
Elektrochrome Schichten basieren auf der elektrischen Umladung von Metalloxiden, lassen sich also durch Anlegen elektrischer Spannung gezielt umschalten. Sie haben den Vorteil, dass die Durchsicht erhalten bleibt, sind aber viel komplexer aufgebaut als thermotrope Schichten. Ein Problem ist vor allem, ueber die ganze Scheibe ein gleichmaessiges elektrisches Feld aufzubauen. Gewoehnlich sind elektrochrome Schichtsysteme aus fuenf Lagen aufgebaut: Zwei leitfaehige, transparente Elektroden, eine ionenleitende Schicht, eine Ionenspeicherschicht und eine aktive Schicht. Am bekanntesten ist Wolframoxid, das sich von transparent in eine blaeuliche Farbe umschalten laesst. Elektrochrome Schichten haben ueberall da Vorteile, wo auch im geschalteten Zustand die Durchsicht erhalten bleiben muss, wie bei allen Sichtfenstern in Wohnungen oder Autos.
Mit den Industriepartnern testet das ISE derzeit verschiedene Verglasungssysteme und Fassadenelemente mit veraenderlicher Transmission. Wenn die Langzeitstabilitaet gegen UV-Bestrahlung, Feuchte und Temperatur auch in Freilandmessungen untersucht ist, steht den intelligenten Schattenspendern der Weg zum Markt offen. Derzeit werden in Europa rund 145 Millionen Quadratmeter Isolierglasscheiben pro Jahr eingesetzt. Und der Trend zu grossen Glasfassaden haelt an. Denkt man ausserdem an Autos und weitere unerschlossene Anwendungsgebiete, dann wird das grosse Potential fuer Fenster, die sich selbst regulieren, offensichtlich. Besonders in Buerogebaeuden, die im Sommer ganze Megawatt Strom fuer Klimaanlagen verschwenden, koennten sich selbst steuernde oder aktiv gesteuerte Fenster und Fassadenelemente erhebliche Kosten sparen. Das ISE arbeitet bereits an komplexen Gebaeudesimulations- programmen, um das optimale Zusammenspiel der Komponenten berechnen zu koennen. Schaltende Schichten sind ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu intelligenten Fenstern, die automatisch fuer optimales Tageslicht, Klima und Luft in Innenraeumen sorgen. Die intelligenten Schattenspender haben naemlich noch einen Vorteil: Immer optimales Tageslicht, nie zu hell, nie zu dunkel, keine Reflexionen mehr im Bildschirm - eine Wohltat fuer die ueberlasteten Augen und den ganzen Menschen, der Tageslicht zum Wohlbefinden braucht.
Franz Miller
Ansprechpartner fuer weitere Informationen: Dr. Helen Rose Wilson, Tel. 0761/4588-149, Dr. Alexandra Raicu, Tel. 0761/4588-128, Dr. Volker Wittwer, Tel. 0761/4588-140, Fax 0761/4588-132 Fraunhofer-Institut fuer Solare Energiesysteme ISE, Oltmannsstrasse 5, 79100 Freiburg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Bauwesen / Architektur, Biologie, Chemie, Elektrotechnik, Energie, Maschinenbau, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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