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23.05.1997 00:00

Der Primat des Nutzens - ein antikes Experiment

Jochen Brinkmann Kontaktstelle Schule - Universität
Technische Universität Clausthal

    Der Primat des Nutzens

    Ein antikes Experiment, dargestellt am Beispiel der Mathematik

    Seit einigen Jahren wird über den Nutzen der Mathematik in der allgemeinen und Fachöffentlichkeit wieder verstärkt diskutiert. Viele der Argumente, die den Nutzen der Mathematik in Frage stellen und daher von einer Förderung der Mathematik und einer intensiveren Beschäftigung mit ihr abraten, sind sehr alt. Die Römer dachten schon so. Cicero bekannte sich zu dieser Einstellung in der folgenden Weise: "Wenn diese Wissenschaft überhaupt einen Wert hat, so doch nur den, daß sie die Verstandeskraft der jungen Leute ein wenig schärft und ihr gleichsam einen Anreiz bietet, damit sie das Wichtigere um so leichter lernen können. [...] Man sollte sich auf diejenigen Aspekte der Mathematik konzentrieren, die nutzbringend einsetzbar sind. (De Re Publica 1. 22)" Und seine Einstellung zur Mathematik ist zeittypisch, wie Professor Dr. Joachim Hilgert vom Institut für Mathematik der TU Clausthal, jetzt in seinem Vortrag im Rahmen der Lehrerfortbildung Geschichte der Mathematik am 28. Mai im Institut für Mathematik darlegen wird.

    Interessant sei es daher dieses historische Langzeitexperiment der Römer in seinen Konsequenzen nachzuvollziehen. In ihrer Werteskala rangierte die Mathematik weit unten. Das im Alltag direkt nutzbringend Anwendbare genoß höchste Wertschätzung in der römischen Kultur. Daher betrieben die Römer nicht selbst Wissenschaft. Das Wissen der Griechen faßten sie in Handbüchern zusammen, die aber dadurch in einer stets nur halbverstandenen Tradierung ohne Bezug auf die Originalliteratur fortlaufend nur oberflächlicher werden konnten.

    Wie irreführend aber die Polarisierung zwischen "nutzloser" reiner Theorie und dem scheinbar ausschließlich allein nützlichem praktischen Alltagsswissen ist, illustriert Professor Hilgert am Beispiel der Entfernungsmessung. Die Römer wählten die "praktische" Methode des Abschreitens. Der Grieche Eratosthenes (ca. 275-194 v.Chr.) erdachte einen anderen Weg: Kennt man den Erdumfang, dann läßt sich die Entfernung zwischen zwei Orten entlang eines Meridians anhand des Neigungswinkels der Sonne zur Mittagszeit bestimmen. Und Professor Hilgert erläutert weiter: " Diese Idee läßt sich benutzen um den Längengrad durch Winkelmessungen zu bestimmen, wenn man eine Uhr hat. Den Breitengrad bestimmt man durch eine einfache Winkelmessung zum Polarstern. D.h. mit einer (geeichten) Uhr kann man die Koordinaten jedes Punktes bestimmen und damit den Abstand der Punkte. Die Griechen hatten keine (bewegliche) Uhr, konnten also diese Methode zur Abstandsmessung nicht für beliebige Punkte benutzen. Erst mit der Erfindung zuverlässiger Uhren, konnte die griechische Mathematik zur Positionsbestimmung eingesetzt werden (d.h. etwa 1000 Jahre später).

    Im Prinzip könnte man durch Winkelmessungen zu drei Fixsternen (zwei, wenn man sich schon auf einen Breitengrad festlegt) ebenfalls die Position bestimmen, wenn man die Entfernung dieser Sterne kennt. In der Praxis geht das wegen der Größe der Entfernung nicht. Aber: Nochmal ein paar Jahrhunderte später mit der Erfindung von Satelliten, deren Position und Entfernung man hat, kann man die Koordinaten ohne Uhr nur durch Winkelmessungen bestimmen. Dies ist das Prinzip hinter dem GPS (General Positioning System), mit dem heutzutage Schiffe navigieren, das aber sogar eingesetzt wird um die Position von Containern auf großen Verladebahnhöfen zu bestimmen (von den militärischen Anwendungen (Golfkrieg) gar nicht zu reden). Der langen Rede kurzer Sinn: Die griechischen Ideen sind erst lange Zeit später, mit dem technischen Fortschritt, einsetzbar und anwendbar geworden. "

    Und rückgewandt auf die Ausgangsfrage zum Nutzen der Mathematik heißt dies: Neuentwicklungen sind immer das Ergebnis synergistisch wirksam werdender Leistungen. Erst mehrere ineinandergeflochtene Stränge (theoretische Einsichten der Mathematik und technische Neuerungen wie die Uhr und der Sextant) machen einen Fortschritt möglich. Die polemische Polarisierung, hier das Nützliche, dort das Nutzlose, zerschlägt, was erst gemeinsam fruchtbar werden kann.


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