Soziologen der Uni Jena fragten Eliten aus Wirtschaft und Politik nach Europa
Die Finanzkrise und der drohende Bankrott Griechenlands bedrohen das Projekt Europa. Verliert deshalb die Vision eines vereinten Kontinents an Strahlkraft, geht den Europäern die Puste aus?
„Die europäische Einheit war von Anfang an ein Projekt der Eliten“, sagt Prof. Dr. Heinrich Best von der Universität Jena. Der Soziologe verweist auf die Verträge, die zur Grundlage der europäischen Einigung wurden – von den Eliten der beteiligten Länder ausgehandelt und im besten Fall von den Wählern abgesegnet.
Anders als die Bevölkerung sind die Eliten Europas bislang nur wenig erforscht.
Nun ging Best gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Dr. Andreas Hallermann und Dr. Stephan Jahr in einem internationalen Projekt der Frage nach, welche Einstellungen zu Europa die Eliten von heute haben. Befragt wurden politische und wirtschaftliche Eliten in 17 Ländern Europas. Ausgewählt wurden Parlamentarier und andere hochrangige Politiker sowie Spitzenmanager großer Unternehmen. Außerdem seien Daten der Bevölkerungen in die Studie eingeflossen, sagt der Soziologe Heinrich Best. Die Eliten wurden 2007 und 2009 befragt, also vor und nach Beginn der aktuellen Krise.
Es habe sich um ein äußerst aufwändiges Verfahren gehandelt, resümiert Best. Mussten doch zunächst Kontakte geknüpft werden – eine Aufgabe, die die Wissenschaftler nicht an ein Meinungsforschungsinstitut delegieren wollten.
Die Ergebnisse der Eliten-Befragung nähmen die heutigen Probleme vorweg, so der Soziologe von der Universität Jena. „Die Elite eines jeden Landes hat ihre ganz spezifische Sicht auf Europa“, sagt Best. Zwar könne eine generelle Zustimmung konstatiert werden, doch würden nüchterne Argumente zählen. Jeder suche sich das passende heraus, so Best. Man könne von einem „Europa à la carte“ sprechen. „Die emotionale Bindung an das Projekt Europa ist gering ausgeprägt.“ Doch sei positiv aufgefallen, dass ausgesprochene Europa-Hasser und Europa-Liebhaber jeweils nur kleine Minderheiten bilden. Das entscheidende Kriterium sei der Nutzen, den sich die jeweilige Elite von Europa verspricht. Das heiße im Umkehrschluss, dass die Zustimmung zu Europa bröckelt, wenn der Nutzwert sinkt.
Sehr nüchtern wird das europäische Projekt auch von den Spitzenleuten der Wirtschaft betrachtet: „Europa ist für die Mehrheit nur eine Plattform für den Weltmarktauftritt“, sagt Heinrich Best. Der nüchterne Blick werde zumeist von der Bevölkerung der europäischen Staaten geteilt, doch sei hier insgesamt die Distanz größer, wie Umfrageergebnisse zeigen.
Die Eliten-Befragung der Jenaer Wissenschaftler war Teil des IntUne-Projekts (Integrated and United), das von 2005 bis 2009 durchgeführt wurde. Gefördert von der EU, waren 30 renommierte Universitäten beteiligt. Jena fiel der Part der Eliten-Befragung zu, weil sich das Team um Prof. Best einen hervorragenden Ruf auf diesem Feld erworben hat.
Zusammengefasst wurden die Ergebnisse in dem Buch „The Europe of Elites. A Study into the Europeanness of Europe's Political and Economic Elites“, das soeben bei Oxford University Press erschienen ist.
Bibliografische Angaben:
Heinrich Best, György Lengyel, Luca Verzichelli (Hg.): „The Europe of Elites. A Study into the Europeanness of Europe's Political and Economic Elites“, Oxford University Press, Oxford 2012, 293 Seiten, 77,70 Euro, ISBN: 978-0-19-960231-5
Kontakt:
Prof. Dr. Heinrich Best
Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945540
E-Mail: Heinrich.Best[at]uni-jena.de
Das Cover der neuen Publikation.
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