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04.06.2002 11:10

Die LMU in der NS-Zeit

Cornelia Glees-zur Bonsen Stabsstelle Kommunikation und Presse
Ludwig-Maximilians-Universität München

    Rassismus - Militarisierung - Vernetzung mit der "Hauptstadt der Bewegung" - Rektorat gibt neues Forschungsprojekt in Auftrag

    München, 04. Mai 2002 - Auf Initiative des Rektors der Ludwig-Maximilians-Universität München, Professor Andreas Heldrich, wird die Erforschung der Geschichte der LMU in der NS-Zeit um ein neues, großes Projekt erweitert. Drei Leitideen sollen dabei im Vordergrund stehen: Rassismus an der LMU, Militarisierung ihrer Mitglieder und die Frage nach der Vernetzung der Universität mit den Machtzentren des Nationalsozialismus in München. Mit diesem Projekt hat die LMU die Historikerin Privatdozentin Dr. Elisabeth Kraus beauftragt und dazu - allen Sparzwängen zum Trotz - für die kommenden zwei Jahre eine eigene Stelle finanziert.

    "Eine systematische Aufarbeitung der Geschichte der Universität München während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft steht bislang noch aus. Wir wollen sie jetzt in Angriff nehmen, um die Gefährdung der Wissenschaft durch die Verstrickung in eine verbrecherische Ideologie aufzuzeigen und das Bewusstsein der nachwachsenden Generationen für die vielen kleinen Schritte zu schärfen, die damals in den Abgrund geführt haben", erklärt Rektor Heldrich.

    Vom Universitätsarchiv der LMU wird derzeit eine eigene Internetplattform zur LMU-Geschichte in der NS-Zeit vorbereitet. Im Internet wird eine Bibliographie, unter anderem mit den bereits vorliegenden einschlägigen LMU-Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen Bereichen wie Jura, Theologie, Kunstgeschichte oder Medizin abrufbar sein. Eine Auswahl dieser Arbeiten stellt die Universität am 04. Juni 2002 im Rahmen einer Präsentationsveranstaltung vor (s. Kurzfassungen). Daneben gibt es weitere von der Hochschulleitung angestoßene Projekte wie die Edition eines Akten- und Dokumentenbandes oder die Publikation und Ausstellung des Universitätsarchivs zur Aberkennung akademischer Grade in der NS-Zeit. Allein in München wurden mehr als 150 Doktortitel aberkannt.

    Drei Leitmotive zur Forschung

    Den neuen Forschungsauftrag betrachtet die LMU auch als einen möglichen Baustein für das von der Landeshauptstadt München geplante Dokumentationszentrum über die "Hauptstadt der Bewegung". Zu diesem Thema - einem der drei Leitmotive des neuen Forschungsprojekts - ist bisher wenig bekannt. Als gesichert gilt beispielsweise, dass der "Stellvertreter des Führers" und der "Reichsärzteführer" bei medizinischen Berufungen mitwirkten. Zudem war die LMU vernetzt mit außeruniversitären Einrichtungen am Standort München wie dem "Institut zur Erforschung des deutschen Volkstums im Süden und Südosten", das der Universität angegliedert war.

    Unter dem Stichwort Rassismus an der LMU verweist Professor Hans Günter Hockerts, Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der LMU, auf verschiedene Fachbereiche, insbesondere die Medizin: Hier wurde beispielsweise bereits 1927 die deutschlandweit erste Professur für "Rassenhygiene" geschaffen.

    In der Sprachwissenschaft widmete man das Indologie-Institut schon vor 1933 in eine Abteilung für arische Kulturwissenschaft um.

    Obwohl München seit der Jahrhundertwende ein Zentrum biologistischen Denkens gewesen sei, so Hockerts, und die Universität sich diesem Ideengut früher und weiter als andere Hochschulen geöffnet habe, seien die rassenhygienischen Aktivitäten der LMU nach 1933 offenbar nicht stärker entwickelt gewesen als an anderen Universitäten. Warum die rassistische Vorprägung nicht zu einer akademischen Radikalisierung geführte habe, wäre für den Zeithistoriker Hockerts ein interessanter Forschungsaspekt.

    Unter das Leitmotiv "zunehmende Militarisierung von Forschung und Lehre" fällt beispielsweise die Tatsache, das viele Fakultäten in der zweiten Hälfte der 30-er Jahre regelmäßige "wehrkundliche" Lehrveranstaltungen anboten.

    Universitätsgeschichte -
    Ein Beitrag zur Orientierung in der Wissensgesellschaft

    Für Hockerts haben sich in den vergangen zehn bis 15 Jahren die Vorstellungen über das Verhältnis von Nationalsozialismus und Wissenschaft deutlich verändert. "Die Universitätsgeschichte ist keine Marginalie mehr, sie kann vielmehr spezifische Auskünfte über Grundfragen und Kernbereiche der NS-Geschichte geben. So hob die Biologisierung des politischen und sozialen Denkens, die den Nationalsozialismus zutiefst kennzeichnet, Medizin und Biologie in den Rang von Leitwissenschaften. Der Komplex ,Bevölkerungspoli-tik und Großraumplanung' - mit fließenden Übergängen zu ethni-scher Säuberung und Vernichtung - integrierte Soziologen, Juristen, Geographen, Agrarwissenschaftler und Historiker", so Hockerts.

    Ein besonders starkes Forschungsinteresse richte sich heute auf die wissenschaftsförmigen Argumente, Vorgehensweisen und Deutungsmuster im Gesamtkomplex der nationalsozialistischen Weltanschauung und Herrschaftspraxis. Die Universitätsgeschichte eröffne hierfür aufschlussreiche Zugänge. "Sie leistet damit zugleich einen Beitrag zur historischen Aufklärung über Bedingungen und Folgen der Herstellung und Verwendung von Wissen. Einer solchen historischen Orientierung bedarf die Wissensgesellschaft heute, in der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen das Leben der Menschen nachhaltiger beeinflussen als jemals zuvor."


    Bilder

    Bild: Bayerische Staatsbibliothek München
    Bild: Bayerische Staatsbibliothek München

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

    Bild: Bayerische Staatsbibliothek München


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