idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
11.06.2002 09:44

Ist die Sprache der Dichter und Denker "out"?

Dr. Frank Stäudner Kommunikation
Leibniz-Gemeinschaft

    Aktuell in "Leibniz" 2/2002: Experten argumentieren für die Wissenschaftssprache Deutsch

    Bonn. Ist der Verlust der deutschen Sprache der Preis für die steigende Internationalität in der Wissenschaft? Experten warnen davor, sich auf diesen Handel einzulassen. In der Praxis der meisten deutschen Wissenschaftler hat sich der Trend zu modischem Wissenschaftsenglisch durchgesetzt. Wer seinen Forschungsergebnissen internationale Anerkennung verschaffen will, kommt ohne Englisch nicht aus. Immer häufiger werden aber auch in Deutschland wissenschaftliche Veranstaltungen ausschließlich in Englisch abgehalten - sogar, wenn sie sich hauptsächlich an ein deutsches Publikum richten.

    Fraglos bietet die englische Sprache Vorteile: Keine andere Sprache kann ihr den ersten Rang als Weltverkehrssprache streitig machen. Sollte Englisch dann nicht auch zur dominierenden Wissenschaftssprache in Deutschland werden? Wissenschaftler sehen mit Sorge, wie ihre Landessprache nach und nach von einer Kümmerform des Englischen verdrängt wird, die nur sehr wenig mit der Sprache Shakespeares und Churchills gemein hat.

    "Ist Deutsch als Wissenschaftssprache 'out'?" fragt das Leibniz-Journal (Heft 2/2002) in seiner aktuellen Ausgabe die beiden Experten Gerhard Stickel und Hermann H. Dieter. Ohne die Bedeutung des Englischen im internationalen Austausch schmälern zu wollen, sind sich beide Forscher darin einig, dass Deutsch als eine unter vielen Sprachen der Wissenschaft unverzichtbar ist und bleiben muss. "Inspiration kommt über die Muttersprache", glaubt Professor Dr. Gerhard Stickel, Direktor des zur Leibniz-Gemeinschaft gehörenden Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache (IDS). Er ist davon überzeugt, dass Fortschritt aus Ideen erwächst, die in der Sprache der Eltern gedacht werden. Stickel fürchtet, dass der Wechsel zum Englischen in der Wissenschaft mit einem Verlust von Ideenvielfalt und Kreativität einhergeht. Er warnt vor einem zu großen Übergewicht der englischen Sprache in der Wissenschaft. Fremdsprachigkeit schaffe Barrieren, wo Brücken zwischen Gesellschaft und Wissenschaft geschlagen werden müssten. Stickel bewertet die Anglophilie vieler seiner Kollegen kritisch und verweist auf eine Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten. Viele Wissenschaftler, so gibt der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache zu bedenken, sprechen und schreiben ein wesentlich schlechteres Englisch, als sie selbst glauben.

    Dr. Hermann H. Dieter, Toxikologe am Umweltbundesamt und Mitglied des Bundesvorstandes des Vereins Deutsche Sprache e.V., sieht einen Grund für die Popularität der englischen Sprache bei den Deutschen selbst: "Keine leistungsfähige Wissenschaftssprache kommt ohne ständigen Rückgriff auf den Wortschatz und die erklärenden Bilder ihrer Muttersprache aus." Aber die habe sich in den letzen Jahren drastisch verändert. "Unsere Sprache strotzt vor Modeanglizismen. Ist es da erstaunlich, dass gerade Wissenschaft, Technik und Ökonomie lieber gleich auf richtiges Englisch setzen?" Dieter setzt dem entgegen, dass Deutsch im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft eine entscheidende Scharnierfunktion übernehme. Durch die um sich greifende Anglifizierung schneide sich die "scientific community" vom gesellschaftlich-kulturellem Umfeld ab. Sollten Forscher künftig ausschließlich in englischer Sprache kommunizieren, dann würden Wissenschaftsthemen nur noch sehr eingeschränkt in die Gesellschaft Eingang finden. Und auch der Rückfluss aus der Gesellschaft werde versiegen. Dann drohe ein Verlust von Vielfalt und Innovationskraft. Denn oft erwüchsen neue wissenschaftliche Erkenntnisse schlicht daraus, dass Antworten auf Fragen gesucht werden, "die normale Menschen stellen", so Dieter.

    Dieter und Stickel stehen nicht allein mit ihren Gedanken und Befürchtungen: In einem offenen Brief an alle Kultus-, Bildungs- und Wissenschaftsminister der sechzehn Bundesländer mahnten bereits im vergangenen Jahr 39 Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen die Sicherung und den Ausbau von Deutsch als Wissenschaftssprache an. Sie regten an, internationale Kongresse in Deutschland grundsätzlich zweisprachig abzuhalten und Deutsch neben Englisch immer als offizielle Sprache festzulegen. Die Initiative fand nur ein mäßiges Echo, wie Dieter berichtet: "Entweder wurde die Verantwortung für die Sprache der Wissenschaft und ihre Zukunft in unserem Staat vollständig auf die Wissenschaftler und ihre Organisationen abgeschoben oder es wurde bedauernd festgestellt, dass man 'da nichts machen könne'."

    Für die Aktualität der Debatte spricht allerdings, dass erst vor wenigen Tagen eine informelle Runde von Wissenschaftlern, Vertretern aus Wissenschaftsorganisationen und Politikern über die Schaffung eines Gremiums nachgedacht hat, das sich möglicherweise als künftiger "Sprachrat" für die Deutsche Sprache stark machen soll.

    Kontakt:
    Dr. Frank Stäudner
    Tel.: 0 30/ 20 60 49 42
    Fax: 0 30/20 60 49 55
    E-Mail: staudner@wgl.de

    Mehr dazu im "Leibniz - Journal der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz". Die Zeitschrift kann bezogen werden über die Geschäftsstelle der WGL, wgl@wgl.de, oder über den Lemmens Verlag, info@lemmens.de.

    Das Institut für Deutsche Sprache (IDS) gehört zu den 79 außeruniversitären Forschungsinstituten und Serviceeinrichtungen für die Forschung der Leibniz-Gemeinschaft. Das Spektrum der Leibniz-Institute ist breit und reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften und Museen mit angeschlossener Forschungsabteilung. Die Institute beschäftigen rund 12.000 Mitarbeiter und haben einen Gesamtetat von 820 Millionen Euro. Sie arbeiten nachfrageorientiert und interdisziplinär und sind von überregionaler Bedeutung. Da sie Vorhaben im gesamtstaatlichen Interesse betreiben, werden sie von Bund und Ländern gemeinsam gefördert. Näheres unter: http://www.wgl.de.

    WGL-Geschäftsstelle, Eduard-Pflüger-Straße 55, 53113 Bonn; PF 12 01 69, 53043 Bonn, Tel.: (0228) 30815-0, FAX: (0228) 30815-255, Email: wgl@wgl.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Sprache / Literatur
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).