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12.06.2002 00:00

Prof. Jörg Hüfner eröffnete Ausstellung "Juden an der Universität Heidelberg"

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Bis zum 30. August 2002 in der Universitätsbibliothek zu sehen - Wie kam das Thema zustande? - Was zeigt die Ausstellung? - ( Ausstellung im Internet unter www.uni-heidelberg.de/ausstellungen/juden_an_der_uni_heidelberg )

    Der Heidelberger Physiker Prof. Dr. Jörg Hüfner, Beauftragter für die Partnerschaft mit der Hebräischen Universität Jerusalem, eröffnete heute in der Aula der Alten Universität die Ausstellung "Juden an der Universität Heidelberg", die bis zum 30. August 2002 in der Universitätsbibliothek zu sehen sein wird. In seiner Ansprache ging Hüfner vor allem darauf ein, wie das Thema "Juden an der Universität Heidelberg" zustande kam und was die Ausstellung zeigt.

    Hüfner: "Bei der ersten Frage nach dem Thema der Ausstellung möchte ich etwas weiter ausholen. Man sagt: 'Reisen bildet' und meint damit, dass man durch Reisen andere Menschen und andere Kulturen kennen lernt. Es kann aber auch sein, dass der Reisende sich selbst neu kennen lernt und verändert zurückkommt. Statt in andere Länder kann man auch in andere Zeiten reisen, d.h. man setzt sich mit der eigenen Geschichte oder der eines anderen Volkes auseinander. Auch solches Reisen bildet. Die Ausstellung 'Juden an der Universität Heidelberg' ist eine Zeitreise durch die mehr als 600-jährige Geschichte unserer Universität.

    Sie ist aus der lebendigen Partnerschaft, die uns mit der Hebräischen Universität in Jerusalem verbindet, geboren und soll erlauben, dass die Partner einander und sich selbst besser kennen lernen. Deshalb wird die Ausstellung auch in Jerusalem gezeigt werden - im Herbst, wenn es die politischen Verhältnisse erlauben.

    Dass für uns Deutsche ein Thema wie 'Juden an der Universität Heidelberg' wichtig ist, braucht vermutlich wenig Erklärung. Denn immer noch beschäftigt uns, meine Generation vor allem, die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Auch die deutsche Öffentlichkeit kommt davon nicht los, wie die jüngsten Auseinandersetzungen über den Antisemitismus gezeigt haben.

    Sie werden nun einwenden: Zwar verstehe ich jetzt, warum das Thema für uns Deutsche wichtig sein könnte, aber nicht, warum ein Israeli sich die Ausstellung anschauen sollte, wo doch gerade jetzt sein Land in einer existentiellen Krise steckt? Als ich diese Zweifel gegenüber Professor Eliahuh Friedman, dem israelischen Beauftragten für unsere Partnerschaft äußerte, meinte er: Gerade jetzt könne die Ausstellung für Israelis wichtig werden. Denn hinter den gegenwärtigen politischen und militärischen Auseinandersetzungen stehe für viele auch eine Identitätskrise. Man frage sich wieder dringender: 'Welches Israel wollen wir? Wo liegen unsere Wurzeln?'. Dazu kann diese Ausstellung interessant sein, denn in Heidelberg haben einige Persönlichkeiten, die Israel mitgeprägt haben, studiert.

    Ich komme nun zur zweiten Frage: Was zeigt die Ausstellung? Ausgangs- und Angelpunkt für die Zeitreise sind die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft. Aber sosehr sie uns auch noch immer beschäftigen, so wollten wir uns nicht auf sie beschränken. Die ganze Geschichte der Juden an der Universität Heidelberg, von ihrer Gründung im Jahr 1386 bis zur Gegenwart sollte in der Ausstellung gezeigt werden. Natürlich mussten wir in jeder Epoche auswählen. Dabei haben wir auch an unsere Partner in Jerusalem gedacht und sie gefragt, was für sie von besonderem Interesse sein könnte.

    Die Ausstellung ist in fünf Epochen gegliedert. Sie zeigt etwa 200 Exponate: Handschriften, Bücher, Photos und Tabellen zusammen mit ausführlichen Erklärungen. Um Ihre Neugier zu wecken, möchte ich aus den fünf Epochen jeweils etwas Bemerkenswertes herausgreifen:

    1. Epoche: Die ersten vier Jahrhunderte: Ein dunkler Fleck liegt auf den Anfängen unserer Universität: Schon vier Jahre nach ihrer Gründung durch Kurfürst Ruprecht I. entzog sein Nachfolger den 13 in Heidelberg ansässigen jüdischen Familien die Aufenthaltserlaubnis, wie man heute sagen würde. Den Grundbesitz der Ausgewiesenen schenkte er der Universität, um dem Mangel an Wohnungen für die akademischen Lehrer abzuhelfen. Die Synagoge wurde zur Marienkapelle geweiht und diente seitdem als Tagungsort der Congregatio Universitatis sowie als Hörsaal.

    Mit der Berufung Sebastian Münsters als Professor für Hebräische Sprache wurde Heidelberg im 16. Jahrhundert zu einem Zentrum für Hebräische Studien. Seitdem war das Fach als philologische Disziplin an der Universität vertreten. Unter den Lehrstuhlinhabern befanden sich auch drei Hebraisten jüdischer Herkunft, Paul Staffelsteiner, Immanuel Tremellius und Jakob Christmann. Die Bibliothek der Universität zog wegen ihrer Sammlung von Texten lateinischer, griechischer, hebräischer und arabischer Sprache Gelehrte aller Konfessionen nach Heidelberg. Im 30-jährigen Krieg wurden auch die 288 hebräischen Schriften aus der Bibliotheca Palatina nach Rom gebracht, wo sie jetzt etwa ein Drittel aller hebräischen Schriften des Vatikans bilden. Zurzeit werden diese von der Hebräischen Universität wissenschaftlich aufgearbeitet - wieder eine der verschlungenen Verbindungen zwischen Heidelberg und Jerusalem.

    2. Epoche: Das 19. Jahrhundert: Aus diesem Jahrhundert ist sehr viel zu erzählen. Die Juden erhielten stufenweise die bürgerliche Gleichstellung, damit öffneten sich ihnen auch die Universitäten zu Studium und Lehre. Die Ausstellung dokumentiert diese Zeit im Detail. Ich greife nur drei Namen heraus, die für Israel besonders wichtig sind: Der Rabbiner und spätere Kaufmann in Odessa, Hermann Schapira, begann 1878 in Heidelberg ein Studium der Mathematik - im Alter von 38 Jahren. Nach Promotion und Habilitation lehrte er hier als außerordentlicher Professor. Er gilt als Vater der Hebräischen Universität in Jerusalem, denn im Jahre 1897 schlug er auf dem ersten Zionistischen Weltkongress die Gründung einer hebräischen Universität in Palästina vor, die dann 1925 Wirklichkeit wurde. Übrigens, deren erster Kanzler, Judah Leib Magnes , hat auch Heidelberger Wurzeln. In San Francisco geboren, wurde er 1904 in Heidelberg promoviert - mit einer Doktorarbeit über einen arabischen Gelehrten. Noch einen weiteren ehemaligen Heidelberger Studenten, diesmal der Medizin, möchte ich erwähnen: Saul Tschernichowsky, einen der größten Dichter der modernen hebräischen Literatur. Eines seiner Gedichte besingt die "Schöne vom Dilsberg" - auf hebräisch.

    3. Epoche: Die Weimarer Republik: In dieser Zeit waren Juden besonders zahlreich an der Universität Heidelberg vertreten. Während sie in der Bevölkerung nur knapp 1% ausmachten, waren über 7% der Studierenden und über 15% der Hochschullehrer jüdischer Herkunft. Besonders im Institut für Experimentelle Krebsforschung und im Institut für Sozial- und Staatswissenschaften wirkten viele jüdische Wissenschaftler. Aber auch in anderen Fakultäten wirkten hervorragende jüdische Gelehrte. Die Ausstellung zeigt unter anderem einen Autographen von Friedrich Gundolf, dem Professor für Literaturwissenschaft, Dichter und Übersetzer. Den in den zwanziger Jahren wachsenden Nationalismus und Antisemitismus dokumentieren wir an dem Fall des Dozenten der Statistik, Emil Julius Gumbel. Auch Einstein setzte sich für Gumbel ein: In der Ausstellung können Sie einen Originalbrief Einsteins an Radbruch sehen, eine der wenigen Einsteinbriefe, die im Besitz der Heidelberger Universitätsbibliothek ist - seinen Nachlass vermachte Einstein der National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem.

    4. Epoche: Die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft: Seit April 1933 wurden zahlreiche Gesetze erlassen, die auf den allmählichen Ausschluss der jüdischen und der politisch unerwünschten Universitätsmitglieder zielten. Die Zahl der jüdischen Studenten verringerte sich von 180 im Sommersemester 1933 auf 5 im Jahr 1937. In drei Phasen von 1933 bis 1940 wurden 59 habilitierte Hochschullehrer aus rassischen oder politischen Gründen entlassen, das entspricht knapp 30% aller Hochschullehrer, während es im Reichsdurchschnitt nur etwa 15% waren. Von den vielen Exponaten aus dieser Zeit möchte ich nur den Brief an den damaligen Rektor erwähnen, in dem der Führer der Dozentenschaft, der Assistenzarzt Hermann Schlüter, den Nobelpreisträger Otto Meyerhof als unerwünscht einstuft, worauf dieser sechs Wochen später seine Lehrberechtigung verlor.

    5. Epoche: Die Zeit nach 1945: Sie ist durch vielfältige Versuche der Wiedergutmachung gekennzeichnet. Im Fall des Philosophen Löwith waren sie erfolgreich, er wurde aus der Emigration nach Heidelberg berufen und nahm an. Andere Vertriebene wie der Nobelpreisträger James Frank lehnten ab. Ende der fünfziger Jahre wurde begonnen, Kontakte zwischen deutschen und israelischen Wissenschaftlern zu knüpfen. Auf deutscher Seite war der Heidelberger Professor der Physik, Wolfgang Gentner, Gründer des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, besonders aktiv, auf israelischer Seite Josef Cohn, der in Heidelberg von 1925 bis 1931 Nationalökonomie, Rechts- und Staatswissenschaften studiert und bei Alfred Weber promoviert hatte. Ein wichtiger Schritt, neues jüdisches akademisches Leben in Heidelberg zu etablieren, war 1979 die Gründung der Hochschule für Jüdische Studien, die mit unserer Universität personell und institutionell in vielfältiger Weise verbunden ist. Auch zu der Hebräischen Universität besteht ein Kooperationsvertrag der den Austausch von Studenten und Dozenten der Hochschule mit Jerusalem fördert.

    Damit endet meine Kurzführung.

    Bitte schenken Sie mir noch einige Minuten Ihrer Aufmerksamkeit. Ich möchte noch denen danken, die bei der Realisierung der Ausstellung mitgewirkt haben. Zwei Jahre sind von der ersten Idee bis heute vergangen. Dr. Dörpinghaus, der frühere Direktor der Universitätsbibliothek, Professor Graetz, der Rektor der Hochschule für Jüdische Studien, der Kollege Professor Wolgast und ich haben in Gesprächen Idee und Konzept der Ausstellung entwickelt.

    Die Rektorate Siebke und Hommelhoff und die Kanzlerin Frau vom Hagen haben das Projekt begrüßt und unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin. Doch das Geld musste von außen kommen. Das war meine Aufgabe. Kostenschätzung DM 100 000. Die Hälfte dieser Summe bewilligte die Stadt-Heidelberg-Stiftung. Ich danke dem Kuratorium und ihrem Vorsitzenden, Herrn Bürgermeister Dr. Beß. Den Rest einzuwerben war sehr schwierig. Absagen über Absagen, oft überhaupt keine Antwort auf einen Bittbrief, selten eine Zusage. Ein positives Erlebnis möchte ich aber doch auch erwähnen. Eines Tages rief mich unser Ehrensenator Prof. Esser an, der auf anderem Wege von dem Projekt erfahren hatte, und bot einen finanziellen Beitrag an. Ich hätte ihn umarmen können. Als endlich DM 80 000 zugesagt waren, haben wir begonnen und konnten den Finanzrahmen einhalten.

    Die Historikerin Frau Petra Schaffrodt hat die eigentliche Arbeit, Recherche, Auswahl der Exponate, Texte und Aufbau gemacht und hat Großartiges geleistet. Ihre Arbeit wurde von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet; ihm gehörten der Medizinhistoriker Professor Eckart, der Archivdirektor Dr. Moritz, die Historikerin Dr. Mußgnug und der Leiter der Handschriftenabteilung Dr. Schlechter an, dazu die schon oben genannten Herren Dörpinghaus, Graetz und Wolgast.

    Ein Beiheft enthält Texte und Abbildungen von wichtigen Exponaten, so dass Sie manches noch einmal nachlesen können. Dazu kommt noch eine Besonderheit: Die gesamte Ausstellung ist real und virtuell zugleich, alle Abbildungen und Texte, deutsch und hebräisch, sind auch im Internet zu sehen. Das verdanken wir dem Physiker Dr. Ivanov. Auch die virtuelle Ausstellung wird heute eröffnet. Die Übersetzung der Texte ins Hebräische besorgte Professor Kritz, der an der Hochschule lehrt und ein in Israel bekannter Autor ist. Es war ein großartiges Team, dem ich von Herzen danke. Für viele Leihgaben und mannigfache Unterstützung danke ich der Universitätsbibliothek und dem Universitätsarchiv.

    Nun sind Sie, meine Damen und Herren, eingeladen, die Ausstellung zu besuchen. Wir freuen uns auf Ihr Interesse, Ihre Anregungen, Ihre Kritik, und vielleicht auch Ihre Anerkennung. Ich danke Ihnen" (Prof. Jörg Hüfner).

    Rückfragen bitte an:
    Prof. Dr. Jörg Hüfner
    Universität Heidelberg
    Institut für Theoretische Physik
    Tel. 06221 549440, Fax 549331
    huefner@tphys.uni-heidelberg.de

    Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
    http://www.uni-heidelberg.de/presse/index.html


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-heidelberg.de/ausstellungen/juden_an_der_uni_heidelberg


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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