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14.06.2002 15:53

Optischen Täuschungen auf der Spur

Dr. Marc Dressler Presse, Kommunikation und Marketing
Fachhochschule Aalen

    Von außen sieht es aus wie eine Scheune, die landwirtschaftliche Maschinen beherbergt. Innen dagegen ist es das Optische Museum des Instituts für Augenoptik der FH Aalen. Der äußere Eindruck täuscht: unsere Wahrnehmung verleitet uns zu einem voreiligen und falschen Schluss. Eine optische Täuschung also. Freilich weit weniger spektakulär als das Arsenal an optischen Täuschungen, das Dr. Michael Bach in seinem Vortrag "Optische Täuschungen - Ein Fenster zum Gehirn" aufzubieten hatte. Der Freiburger Professor entlockte dem staunenden Publikum so manche Ooohs und Aaahs im performativen Zusammenspiel von Auge und Gehirn. Bach demonstrierte den Hörern in Leinroden effektvoll, dass bei der Reizübertragung von Sehsinneszellen über Ganglienzellen bis zur abschließenden Verrechnung dieser Reize in der visuellen Cortex des Gehirns oftmals Kurioses, Aufschlussreiches, in jedem Fall aber Eindrucksvolles zum Vorschein kommt.

    Kommt, nicht minder eindrucksvoll, des Nachts der Mond im silbernen Mantel zum Vorschein, wirkt er größer oder kleiner, je nachdem, ob er sich am Horizont oder im Zenith befindet. Erklärt wird dieser Eindruck damit, dass es im Gehirn ein angeborenes Maß für sehr weit entfernte Gegenstände gibt, an dem die einströmenden Reize bemessen und schließlich auf ihre Größe hin interpretiert werden. Befindet sich der Mond am Horizont, erfährt der Horizont die angeborene maßgebliche Interpretation. Da jedoch der Mond als sich hinter dem Horizont befindlich wahrgenommen wird, wird er als in Wirklichkeit größer interpretiert. Am unverhüllten Himmelszelt dagegen ist der Mond selbst der Maßstab, da eine ihn verdeckende Bezugsgröße fehlt. Dort wird er auf das angeborene Standardmaß taxiert, entsprechend interpretiert und in der Folge kleiner wahrgenommen. In Werken der Bildenden Kunst wird der Mond jedoch selten so klein dargestellt, wie er sich perspektivisch am Himmel zeigt. Schließlich kennen wir den Mond als einen großen Himmelskörper, der tröstliches Licht ins Dunkel des erschöpften Tagwerks wirft. In dieser Interpretation übergehen wir großzügig das Wahrnehmungsprinzip der Größenkonstanz. Im Gegenteil: realistische Darstellungen der Größenverhältnisse wirken hier eher irritierend.

    Ein anderes Prinzip findet bei der künstlerischen Darstellung des Mondes dagegen rege Verwendung: die Kontrastkonstanz. Sie bewirkt, dass ein gemalter Mond, der von einem dunklen Rand umgeben ist - dunkler noch als der Nachthimmel - deutlich heller wirkt. So scheint der Mond auf der Leinwand heller als man ihn hätte zeichnen können.

    Die Kunstgeschichte spart auch nicht mit Vexierbildern, die je nach Interpretation verschiedene Inhalte darstellen. Der spanische Surrealist Salvador Dalí fertigte gleich mehrere solche das Gehirn ärgernde Gemälde an. Darf es den Augen trauen, wenn es sich im Wasser spiegelnde Schwäne sieht, oder marschieren gar drei Elefanten im Vordergrund der Szenerie? Oftmals ist den Betrachtern die Spiegelung im Wasser so natürlich, dass sie die Elefanten im Gemälde gar nicht bemerken. Haben sie die Elefanten aber einmal entdeckt, dann können sie sie nicht mehr nicht sehen: Das Interpretationsmuster der Situation ist im Gehirn gespeichert.

    Um diesen Mustern auf die Spur zu kommen, sind zahlreiche Entwürfe von Darstellungen erforderlich, die unter Verwendung der vermeintlichen Wahrnehmungsprinzipien konzipiert sind. Mit Hilfe der optischen Täuschungen kann man dann feststellen, ob die Fehlleistung im Auge entsteht oder erst im Gehirn hinzu kommt, oder ob der Aufbau das Prinzip bestätigt und den beobachteten Effekt in der Wahrnehmung verstärkt. Häufig treten bei derlei Experimenten aber ganz neue Effekte auf, die wiederum neue oder ergänzende Prinzipien zu ihrer Erklärung einfordern. Neben den bereits erwähnten perspektivischen Täuschungen und Helligkeitstäuschungen findet sich nämlich auch eine Klasse von Winkeltäuschungen. Hierunter fällt beispielsweise, dass die verbindenden Linien durch fragile Säulen aus schwarzen Quadraten nicht mehr als horizontal wahrgenommen werden. Die Konstellation droht zu kippen - und am leichtesten kippt sich's freilich auf einer schiefen Ebene. So kreativ wie das Nervensystem beim Interpretieren des Gesichtsfeldes ist, so kreativ ist es auch in der begrifflichen Sortierung dieser Wahrnehmung zu einem geordneten wissenschaftlichen Gebäude. Die Entdeckung neuer Klassen von Täuschungen kann daher nicht ausgeschlossen werden.

    Ein einheitliches Modell für die Sehsinneswahrnehmung steht noch aus. Denn diejenigen Modelle, die sämtliche beobachteten optischen Täuschungen in sich vereinen, sind so komplex, dass ihr Erklärungswert fragwürdig wird. Dann nämlich sind die Modelle nicht minder erklärungsbedürftig wie die optischen Täuschungen, die sie zu erklären vorgeben. Und vermutlich würde es Prof. Dr. Bach wenig verwundern, wenn dem einen oder anderen Modell eine optische Täuschung zugrunde liegt, die die Sichtweise auf optische Täuschungen nicht nur verkompliziert, sondern auch erheblich verzerrt.

    Kontakt:
    ifaa@leinroden.de


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    Sich spiegelnde Schwäne oder Elefanten?
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    Sind die waagrechten Linien horizontal?
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    regional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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