Kassel. 53 Jahre nach ihrem Diebstahl aus einem Kalibergwerk in Thüringen sind jetzt sieben Miniaturen aus dem Gebetbuch Herzog Johann Albrechts von Mecklenburg nach Deutschland zurückgekehrt. Sie gehören in die Hessische Landesbibliothek-Gesamthochschulbibliothek in Kassel. Die kunsthistorisch bedeutenden und wertvollen farbigen Miniaturen werden am 26. Mai erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Sie werden noch bis zum 6. Juni im Ausstellungsraum der KPMG in Leipzig, einer weltweit tätigen Prüfungs- und Beratungsgesellschaft präsentiert (Beethovenstr. 1 in Leipzig, Öffnungszeit: täglich 10 - 18 Uhr).
Die KPMG unterstützte die Universität Gesamthochschule Kassel (GhK) bei ihren Bemühungen, die 1945 von ihrem Auslagerungsort gestohlenen Blätter auf dem Vergleichswege zurückzuerhalten. Weitere Unterstützung wurden vom Bundesministerium zugesagt, ebenso vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst; ein Antrag bei der Hessischen Kulturstiftung ist gestellt.
Auf Wunsch des Sponsors KPMG findet die Präsentation der Miniaturen jetzt in Leipzig statt. Im Juni werden die Blätter auch im Handschriftentresor der Gesamthochschulbibliothek der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. "Es ist für uns ein freudiger Tag, diese wertvollen Blätter hier in Leipzig präsentieren zu können und sie jetzt wieder in Deutschland zu wissen", so Dr. Peter Wesner, Vorstandsmitglied der KPMG. "Hier, wo die Beutekunstschätze einst entstanden sind, sollen sie wieder an unser kulturelles Erbe erinnern und zugleich unsere kulturelle Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen verdeutlichen", so Wesner, Vorstand in der Region Ost der KPMG Deutschland, weiter.
Im Namen der Universität Gesamthochschule Kassel bedankte sich Kanzler Dr. Hans Gädeke für die finanzielle Unterstützung bei allen Förderern und den an der Rückführung Beteiligten. "Jetzt ist unsere Handschriftenabteilung wieder ein Stückchen kompletter geworden", so Gädeke. Er verwies darauf, daß schon etliche Handschriften, die im Mai und Juni 1945 aus ihren Auslagerungsorten sowohl von Amerikanern als auch Deut-schen entwendet wurden, zurückgekehrt sind: So etwa das berühmte Hildebrandlied, der Willehalmcodex oder eine Cicerohandschrift, die sich alle in den USA befanden.
Glückliches Ende einer aufregenden Geschichte
Somit hat eine abenteuerliche Geschichte ein glückliches Ende gefunden. Sie begann 1942 mit der Auslagerung zahlreicher wertvoller Handschriften aus dem von Bombardie-rungen bedrohten Kassel, zuerst ins Staatsarchiv Marburg; 1944, als sie dort auch nicht mehr sicher waren, wurden sie an verschiedene Auslagerungsorte gebracht, u. a. einen Kalibergbau bei Springen in der thüringischen Rhön. 1945, nach Einmarsch der Amerikaner, aber auch nach der Übergabe Thüringens an die russische Armee, verschwanden etliche davon. In den Wirren der Nachkriegstage bedienten sich aber durchaus auch deutsche Bewohner der Umgebung an den Schätzen.
Bis Februar 1996 galten die sieben Miniaturen, die auf einen Wert von rund 560 000,-- Mark geschätzt werden, in Kassel als verschollen. Dann gab das deutsche Generalkonsulat in Boston einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort in Boston. Es war durch ein Gerichtsverfahren, das der Besitzer, Thomas Chatalbash, 1996 angestrengt hatte, um sein Recht auf Eigentum klären zu lassen aufmerksam geworden. Vermutlich nicht ganz freiwillig, hatte doch ein Antiquar in London, Richard H. Linenthal, dem die Bilder 1989 zur Schätzung vorgelegt wurden, immer wieder den Besitzer gedrängt, die Blätter nach Kassel zurückzugeben - andernfalls werde er, Linenthal, die Kasseler Eigentümer informieren.
Vom Aufenthaltsort der Miniaturen wußte auch Alan Shestack, der damalige Direktor des Boston Museum of Fine Arts, der die Bilder in Chatalbashs Laden sah. Mitarbeiter des Museums stellten fest, daß die Miniaturen in die Kasseler Sammlung gehören - informierten aber die Eigentümer nicht - ein unübliches Verfahren, das in den USA auch zu heftiger Kritik führte.
Erst das Ultimatum Linenthals veranlaßte den Rechtsvertreter von Chatalbash, vor dem District Court in Boston den Besitz anzugeben; verbunden damit war ein Rechtsverfahren, Chatalbashs Eigentum an den Bildern festzustellen. Dieser gab an, die Bilder in den siebziger Jahren in gutem Glauben für rund 200 Dollar erworben zu haben. Doch nach US-amerikanischem Recht, so der später für die von Kassel beauftragten Rechtsanwälte Andrew & Kurths, Washington, tätige Jurist Dr. Willi Korte, gebe es keinen rechtmäßigen Erwerb an gestohlenen Gegenständen.
Nun also wußte die Kasseler Universität vom Verbleib ihrer Blätter. Um sich vor dem aufwendigen Gerichtsverfahren in den USA abzusichern, wurde auf Wunsch des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst eine Expertise des Kunsthistorikers Prof. Dr. Eberhard König, FU Berlin, angefertigt. Dieser bestätigte die Zugehörigkeit zur Kasseler Sammlung und betonte die besondere kunsthistorische Bedeutung der Bilder: "Für eine deutsche Bibliothek sind die Blätter aus der Kasseler Handschrift so bedeutsam, weil dieses Werk wie kein anderes einen höchst interessanten Berührungspunkt zwischen zwei hohen Malkulturen repräsentiert - der wichtigsten altdeutschen und der flämischen", so König in seinem Gutachten, das im März 1997 vorlag.
Die Handschrift wurde auf Wunsch von Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg aus ursprünglich zwei verschiedenen Gebetbüchern und weiteren losen Einzelblättern zu einer Bildersammlung zusammengesetzt. Dabei griff der Herzog auf berühmte Werkstätten zurück: Glockendon in Nürnberg und Bening in Brügge. Der Wert eines Blattes wird in Deutschland auf rund 80000,- - Mark geschätzt. Dieser Preis wurde für eine Miniatur erzielt, die schon in der Zeit der napoleonischen Kriege entwendet und zu diesem Wert im aktuellen Handel verkauft wurde. (Hier können keine Eigentumsansprüche mehr geltend gemacht werden.)
In dem in Boston beginnenden Verfahren bestand Hoffnung, man könne den Dieb der sieben Blätter ausfindig machen. Der Verdacht konzentrierte sich auf einen Mann aus Conneticut, William Braemer, der auch im Besitz der gestohlenen Cicero-Handschrift war. Er hatte diese als Angehöriger der Republic Aircraft - eigentlich mit dem Auftrag, Pläne für Flugzeuge aufzufinden - in Thüringen entdeckt und entwendet. Er gab die Cicerohandschrift in den siebziger Jahren an Kassel zurück. Chatalbash, der Besitzer der Miniaturen, verweigerte die Angabe seiner Kaufquelle - er gab an, die Blätter von einem Kunsthändler gekauft und sie für Kopien aus dem 19. Jahrhundert gehalten zu haben. Daran bestanden bei dem von der GhK beauftragten Juristen und Historiker Korte allerdings Zweifel. Schließlich hatte Chatalbash bei Linenthal begutachten lassen wollen - mit bekanntem Ergebnis. Seit 1990 drängte der auf Vertraulichkeit verpflichtete Londoner Antiquar Chatalbash auf Rückgabe, bis er schließlich 1996 drohte, öffentlich zu werden. Das von Chatalbashs Rechtsvertretern angestrengte Verfahren sollte seinen gutgläubigen Erwerb bestätigen und seinen Eigentumsanspruch absichern.
Das von der Universität Gesamthochschule Kassel angestrengte Gerichtsverfahren stellte fast kriminalistische Anforderungen: Einerseits muß der Antragsteller nachweisen, daß er das Auffinden seiner gestohlenen Güter angemessen betrieben hat. Dazu wurden von Seiten des Leiters der Kasseler Handschriftenabteilung, Dr. Konrad Wiedemann, minutiös nachgewiesen, wann und wo sich die Handschrift zwischen 1942 und Juni 1945 befunden hatte, bis wann diese vollständig war und ab wann die Blätter fehlten. Für den Historiker Korte stellte sich die Aufgabe, anhand von Archivrecherchen zu ermitteln, bis zu welchem Tag und zu welcher Stunde amerikanische bzw. russische Truppen sich am fraglichen Ort aufhielten. Und außerdem galt es, den möglichen Dieb zu finden. Dies gelang Korte - und er konnte schließlich sogar ein Geständnis des Cicero-Diebes Braemer erreichen. Dieser hatte bei der Herausgabe der Cicero-Handschrift nicht angegeben, daß er auch die Miniaturen entwendet und die Blätter bereits heimlich verkauft hatte.
Damit war eine hinreichende Beweiskette aufgebaut - der Weg zum Abschluß des Gerichtsverfahrens mit einem Vergleich öffnete sich. Besitzer Chatalbash stimmte der Herausgabe zu: Damit ist die Rückführung nach Kassel möglich geworden. Der Justitiar der GhK, Michael Helmert, der den Prozeß von Deutschland aus betreute, konnte die Miniaturen, die sich in einem Safe in Boston befanden, nun zurückbringen. Sie werden im Juni in Kassel ausgestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Annette Ulbricht-Hopf
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Psychologie, Sprache / Literatur
überregional
Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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