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13.08.2002 07:22

Meinungsbildende Experimente

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Psychologie

    Bei politischen Diskussionen und Entscheidungen spielen Argumente eine wichtige Rolle. Dabei können einzelne Argumente mehr oder weniger überzeugend sein. Es kommt jedoch auch darauf an, wer die Argumente vorbringt. Der Psychologe Dr. René Ziegler hat in einem Experiment untersucht, wie Teilnehmer unterschiedlicher politischer Grundeinstellung auf Argumentationslinien von Politikern verschiedener Parteien reagieren.

    Meinungsbildende Experimente
    In der Überzeugungsforschung erweisen sich mäßig gute Argumente als die interessantesten

    Man stelle sich vor, ein Bundeskanzlerkandidat will nach seiner Wahl für Deutschland einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat fordern. Wie gut müssen seine Argumente sein, dass die Wähler, auch aus einem anderen politischen Lager, von seiner Einstellung in dieser Frage zu überzeugen sind? Mit dieser Überlegung will Dr. René Ziegler vom Psychologischen Institut der Universität Tübingen nicht so sehr prüfen, wie wichtig den Wählern die Frage nach dem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat ist, sondern welche Faktoren in einem Überzeugungsprozess allgemein eine Rolle spielen.

    Dazu hat der Wissenschaftler in einem Experiment 130 Teilnehmer, allesamt Tübinger Studierende, in zwei Gruppen eingeteilt: solche Bürger, die sich politisch dem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder näher fühlen und solche, die sich eher für den Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber entscheiden würden. "Die Ausgangslage war etwas zugunsten von Schröder verschoben. 76 Teilnehmer nannten ihn, 54 den Kandidaten Stoiber", berichtet Ziegler. Die Probanden erhielten dann eine schriftliche Stellungnahme, in der Argumente für die Forderung nach einem ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat genannt wurden. Dabei wurde der einen Hälfte der Probanden mitgeteilt, der Text stamme als Antwort auf eine entsprechende Journalistenanfrage von Schröder, der anderen Hälfte, der Text käme von Stoiber. Somit gab es zunächst einmal vier verschiedene Konstellationen: Sowohl Schröder-Anhänger wie auch Stoiber-Anhänger bekamen eine Mitteilung zu lesen, die entweder von Schröder oder von Stoiber stammte.

    Komplizierter wurde das Experiment, weil der Wissenschaftler drei argumentativ verschiedene Versionen der Presseerklärung bereit hielt: Eine Version mit guten Argumenten, eine mit schlechten und eine dritte Version mit mittelmäßigen Argumenten. Als ein gutes Argument für die Forderung Deutschlands nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat galt zum Beispiel, dass Deutschland einer der stärksten Financiers des UN-Haushaltes sei und daher auch entsprechenden Einfluss im Sicherheitsrat haben sollte. Als schlechtes Argument zählte zum Beispiel, dass sich die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrates über lange Zeit nicht geändert habe und Deutschland sich - wie eine Reihe anderer Länder auch - bemühen solle, nun einen ständigen Sitz zu erhalten. Dass der UN-Sicherheitsrat der historischen Leistung der deutschen Wiedervereinigung Rechnung tragen, dies sozusagen mit einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat belohnen solle, galt als mittelmäßiges Argument. "Wir haben die Argumente in einer Vorstudie, in der ebenfalls Tübinger Studierende die Probanden waren, sorgfältig auf ihre Überzeugungskraft getestet. Denn dies kann von unterschiedlichen Zielgruppen als unterschiedlich empfunden werden", erklärt René Ziegler.

    Ein Argument sei generell dann positiv überzeugend, wenn sich für den Betreffenden daraus eine positive Konsequenz ergebe und er diese Konsequenz auch für wahrscheinlich halte. Durch die Kombination der in der Stärke abgestuften Argumentation, der Präferenz der Teilnehmer für einen der beiden Kanzlerkandidaten und die unterschiedliche Mitteilung, von wem die Erklärung kommt, gab es in dem Experiment somit insgesamt zwölf verschiedene Konstellationen.

    Der Wissenschaftler erklärt, dass zwar die Studie an einem realitätsnahen Fall aufgezogen sei, Menschen aber im Alltag mit Verlautbarungen von Politikern im Wahlkampf oft auch anders umgehen. "In unserem Experiment haben wir die Probanden dazu angeregt, sich mit den Argumenten aufmerksam auseinander zu setzen. Im Alltag denken wir über Argumente nicht unbedingt immer gründlich nach. Eventuell wenden wir uns sogar ab, vor allem, wenn wir den Kandidaten nicht besonders mögen", sagt Ziegler, "und es ist auch durchaus sinnvoll, dass wir uns im Alltag nicht mit allem, was uns begegnet, detailliert auseinandersetzen. Das würde uns überfordern. Dem entsprechend bilden wir uns, bei persönlich weniger wichtigen Sachverhalten, eine Meinung oft auch auf der Basis anderer Faktoren. Zum Beispiel abhängig davon, ob wir den Menschen, der sich zu einem bestimmten Thema äußert, sympathisch oder vertrauenswürdig finden." Für die der Studie zugrunde liegende Fragestellung mussten jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Teilnehmer mussten motiviert sein, sich mit den Argumenten zu beschäftigen, und auch grundsätzlich in der Lage sein, das Thema zu beurteilen. "Hätten wir zum Beispiel einen Text aus der Quantenmechanik für unsere Untersuchung verwendet, hätten wir die Zielgruppe sicherlich anders auswählen müssen", erklärt der Psychologe.

    Doch wie sieht es nun mit den Studienergebnissen aus? "Bei eindeutig guten Argumenten für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat stimmten die Teilnehmer dem Autor der Erklärung zu - unabhängig davon, ob sie politisch in seine Richtung tendierten oder nicht", sagt Ziegler. Entsprechend verhalte es sich mit eindeutig schlechten Argumenten: Egal, von welchem der beiden Urheber Schröder oder Stoiber sie angeblich kamen und unabhängig von der politischen Grundeinstellung der Versuchsteilnehmer, wurden sie abgelehnt. Hätte man sich dieses Ergebnis nicht auch denken können? "Mag sein, aber aus Fernsehduellen von Spitzenkandidaten kennt man auch das Phänomen, dass jeweils die Anhänger eines Kandidaten davon überzeugt sind, ihr Favorit habe sich besser geschlagen", sagt der Forscher. Solche Beurteilungen der Zuschauer könnten durch eine unterschiedliche Interpretation der Inhalte zustande kommen. "Genau das haben wir bei mittelmäßigen Argumenten erwartet, die deswegen den interessantesten Teil der Untersuchung ausmachten. Hier kam es zu einer Wechselwirkung. Wenn ein Schröder-Anhänger eine mittelmäßige Argumentationslinie von Schröder bekam, stimmte er dieser zu, kam sie angeblich von Stoiber, lehnte der Proband die Argumente ab. Wenn ein Stoiber-Anhänger die mittelmäßigen Argumente zu lesen bekam, verhielt es sich genau umgekehrt. Jetzt wurden diese für überzeugender gehalten, wenn sie von Stoiber kamen als wenn sie von Schröder kamen", fasst Ziegler zusammen. "Bei einer mittelmäßigen Argumentation kommt die Bevorzugung eines Politikers deutlich ins Spiel." Eine verzerrte Wahrnehmung bei den Teilnehmern war also nur dann zu erkennen, wenn die Argumentation mittelmäßig stark war.

    Die Teilnehmer wussten während des Experimentes nicht, dass die Mitteilungen der Kanzlerkandidaten fiktiv waren und äußerten in dieser Hinsicht auch keine Skepsis. Offensichtlich war es für sie also nicht überraschend, dass sich die beiden Kandidaten angeblich entsprechend geäußert haben sollten. Die Studienergebnisse will René Ziegler in seine Arbeiten zur allgemeinen Überzeugungsforschung einfließen lassen. Doch könnten auch Politiker Konsequenzen daraus ziehen? "Vielleicht täten Politiker gut daran, in einer Diskussion mit dem politischen Gegner nur die wirklich überzeugenden Argumente vorzubringen und weniger gute wegzulassen oder zumindest eher nachgeordnet zu bringen. Aber wenn sie ein ihnen wohlgesonnenes Publikum vor sich haben, dann werden auch mittelmäßige Argumente allemal die beabsichtigte Wirkung erzeugen", meint der Psychologe. (7173 Zeichen)

    Nähere Informationen:

    Dr. René Ziegler
    Psychologisches Institut
    Abteilung Sozial- und Persönlichkeitspsychologie
    Friedrichstraße 21
    72072 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 83 51
    Fax 0 70 71/29 58 99
    e-mail: rene.ziegler@uni-tuebingen.de

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Politik, Psychologie, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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