In der westlichen Hemisphäre gewinnt ein politisches System durch ihre Titulierung als "demokratisch" ihr Adelsprädikat. Die an sich sachliche Aussage, ein politisches System sei demokratisch, ist immer zugleich auch Werturteil und identisch mit Lob und Unterstützung. Grundsätzliche Vorbehalte gegen die Demokratie sind "politisch inkorrekt"; Kritik an der Demokratie ist im öffentlichen Diskurs nur bedingt erwünscht und soll "konstruktiv" sein. In diesen Bahnen bewegen sich in der akademischen Politikwissenschaft auch die empirische Demokratieforschung und die normative Demokratiebegründung.
Aus längerfristiger historischer Perspektive ist dieser Sieg der demokratischen Rhetorik ebenso neu wie überraschend. Neu, weil sich die Demokratie in Europa erst zum Ende des 20. Jahrhunderts in allen Ländern (bis auf Weißrussland) durchgesetzt hat; überraschend, weil die "Demokratie" dabei zu einem Allerweltsbegriff ohne genau umrissene Bedeutung geworden ist.
Zusammen mit Kollegen der Unis Jyväskylä (Finnland), Groningen (Niederlande), Paris (Frankreich), Piemont (Italien), St. Petersburg (Rußland), London (England), Helsinki (Finnland) und Málaga (Spanien) wird am Institut für Politikwissenschaft in Greifswald Prof. Hubertus Buchstein in einem vergleichenden ideengeschichtlichen Projekt untersuchen, wie es zu dem semantischen Sieg der Demokratie in Europa kam. Näher untersucht werden sollen speziell die verschiedenen Redeweisen von "Demokratie" und "Demokratisierung" in der politischen Öffentlichkeit in Europa im 19. und 20. Jahrhundert.
"Demokratie" ist hier sprachliches Konzept, mit wechselnder Bedeutung je nach Zeitepoche, Konfliktmuster und Akteurskonstellation. Ziel der Projektteilnehmer ist zu wissen, wie sich die Demokratie in den Ländern in historischen Kämpfen in ihren heutigen Bedeutungen bildete. Die Forscher wollen die unterschiedlichen Argumente, die in den einzelnen Ländern für die Demokratie ins Feld geführt wurden, vergleichen. Näher unter die Lupe nehmen sie auch das Verständnis dessen, was in politischen Konflikten als "demokratisch" gilt und welche politischen Institutionen damit begründet werden.
Der im Projekt erzeugte, "verfremdende" Blick auf den politischen Sprachgebrauch soll auch beitragen, die heutige Demokratie nicht als fertig zu betrachten, sondern die Bereitschaft zu mehr Offenheit für eine Reform zu wekken - sei es im Bereich der Computerdemokratie, der Frage eines Bürgertests vor Stimmabgabe oder einer Vertretung von Nicht-Wählern im Parlament.
Die European Science Foundation (EFS) unterstützt das neue Forschungsnetz "The Politics and History of European Democratization" für 2002 bis 2005 mit zunächst 100000 Euro für Arbeitstagungen und Konferenzen. Eine der internationalen Konferenzen folgt Ende 2004 in Greifswald dem Oberthema "Repräsentative Demokratie".
http://www.uni-greifswald.de/~politik/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Psychologie, Recht, Religion
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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