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02.10.2002 11:15

"Heidelberger Gelehrtenlexikon" lässt 616-jährige Geschichte lebendig werden

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Soeben erschien der dritte Band - Wer waren die bekanntesten Professoren zwischen 1386 und 1651? - Wann wurden Heidelberger Professoren arbeitslos? - Wer war Spitzenverdiener?

    Bei den Vorbereitungen zum 600-jährigen Jubiläum der Universität Heidelberg entstand 1981 der Plan, ein Lexikon mit den Biographien aller Professoren, die von der Gründung der Universität (1386) bis zur jüngsten Gegenwart (1986) in Heidelberg gelehrt haben, herauszugeben. Inzwischen erschien 1986 der erste Band für die Zeit zwischen 1803 und 1932 mit den Biographien von 750 Heidelberger Professoren und der ersten (und in diesem Zeitraum auch einzigen) Professorin, der Botanikerin Gertrud von Ubisch (1882-1965). 1991 kam der zweite Band heraus, der die Lebensläufe der 277 Professoren zwischen 1652 und 1802 dokumentiert. Der soeben erschienene dritte Band enthält die Biographien von 919 Lehrenden von der Gründung der Universität 1386 bis Ende des 30-jährigen Krieges 1651.

    Quellengrundlage der Biographien waren in erster Linie die im Universitätsarchiv Heidelberg aufbewahrten Fakultäts- und Rektoratsakten. Herausgeber des Lexikons ist der Rektor der Universität; erarbeitet werden die Biographien von Dr. Dagmar Drüll-Zimmermann unter der wissenschaftlichen Betreuung von Professor Dr. Eike Wolgast (Historisches Seminar der Universität).

    Wer ist im Lexikon 1386-1651 genannt?

    Die Namen der Professoren der drei oberen Fakultäten (theologische, juristische und medizinische) waren verhältnismäßig leicht zu ermitteln, da in den Rektorats- und Fakultätsakten in den meisten Fällen die Vergabe einer Lektur an einen Professor dokumentiert ist. Schwieriger war die Feststellung, welcher der zahlreichen als Magister bezeugten Personen auch tatsächlich ein Lehrender, ein "magister actu regens et legens", an der Artisten-Fakultät war; denn in den Quellen fehlen Erwähnungen - auch namentliche - von Vergaben der "ordentlichen Vorlesungen". Es fanden letztendlich nur die Biographien der Artes-Magister Eingang in das Lexikon, die entweder in den Rat der Artisten-Fakultät aufgenommen, zum Prüfer bei Bakkalaureats- oder Magisterexamina gewählt worden waren oder als auswärtige Magister Aufnahme in die Fakultät gefunden hatten (die Artisten-Fakultät wird nach 1560 auch Philosophische Fakultät genannt).

    Die Magister sind - im Vergleich zur Anzahl der Professoren an den drei oberen Fakultäten - bei weitem in der Mehrzahl. Bisher waren ihre Namen zum größten Teil nicht beachtet worden. Umso erfreulicher ist es, dass sie durch das Lexikon der Vergessenheit entrissen werden, da gerade sie das "ganz normale Universitätsleben" gestalteten und repräsentierten.

    Wer waren die bekanntesten Professoren zwischen 1386 und 1651?

    Die berühmteren akademischen Lehrer waren unter anderem Marsilius von Inghen (ab 1386 an der Universität), Johann (Lagenator) von Frankfurt (ab 1414/15), Jakob Wimpfeling (von Schlettstadt) (ab 1473), Florenz von Venningen (ab 1499), Sebastian Münster (ab 1524), Simon Grynaeus (ab 1524), Nikolaus Kistner (ab 1550), Pierre Boquin (ab 1557), Thomas Erast (ab 1558), Petrus Ramus (ab 1569), Johann Jakob Grynaeus (ab 1584), Franz Junius (ab 1584), Heinrich Smetius (ab 1585), Paul Tossanus (ab 1586), Jan Gruter (ab 1593), Marquardt Friedrich Freher (ab 1596), Aemilius Portus (ab 1596), Dionysius Gothofred (ab 1600), Peter de Spina (ab 1616).

    Was erfährt man aus den Biographien?

    Die Biographien geben Auskunft über Namen, Fakultätszugehörigkeit und Lehrfächer des Universitätslehrers. Es schließen sich Lebensdaten des Gelehrten sowie Informationen über seine Familie an. Im Zentrum steht der akademische Lebenslauf, dessen Daten mit Angaben über das Studium oder eine andere Ausbildung einsetzen. Von da an sind alle in und außerhalb Heidelbergs verbrachten Lebensabschnitte, auch die außeruniversitären Tätigkeiten, bis zum Tode verzeichnet. Zu jeder Biographie gehören Quellennachweis, Nennung einiger bedeutender Werke des Betreffenden - falls vorhanden -, Literaturangaben und Porträtnachweis. Ergänzend dazu werden exemplarisch Zitate aus Fakultäts-, Rektoratsakten und Senatsprotokollen wiedergegeben.

    Wie sah die wissenschaftliche Ausbildung eines Universitätslehrers zwischen 1386 und 1651 aus?

    Das Studium begann in der Regel an der Artisten-Fakultät, wobei das Mindestalter eines Studenten bei seiner Einschreibung das Alter von 14 Jahren nicht unterschreiten sollte (so 1464 von der Universität festgelegt). Die Zahlung einer Immatrikulationsgebühr war in der Regel für diejenigen, die nicht zu den Armen ("pauperes") zählten, Pflicht.

    Es dauerte zwei Jahre, bis der erste akademische Grad, das Bakkalaureat, weitere zwei Jahre, bis der Titel "magister artium" (heute vielleicht mit dem Wissensstand beim Abitur vergleichbar) erworben wurde. Danach begann das Biennium, eine zweijährige Pflichtlehrzeit der Magister an der Artisten-Fakultät, nach dessen Absolvierung der Betreffende ein "magister actu regens et legens" und damit ein "vollwertiges Mitglied" des Lehrkörpers war.

    Bis 1558 konnte kein Studierender, ohne den Magistergrad an der unteren Fakultät erworben zu haben, in einer der drei oberen Fakultäten studieren. Das Studium an der medizinischen und juristischen Fakultät dauerte nach dem Magisterexamen bis zur Erlangung der "licentia docendi", der Lehrbefugnis, etwa sechs Jahre, an der theologischen Fakultät etwa zwölf Jahre.

    Wer war Spitzenverdiener an der Universität?

    Anfangs waren die meisten Universitätslehrer (wie auch die Studenten) Geistliche, denn mit der Vergabe einer Professur - vor allem an den drei oberen Fakultäten - war auch die Präsentation auf eine oder mehr Pfründen verknüpft: einem Kirchenamt, das mit einer Vermögensausstattung (Land, Geld, Naturalien) verbunden war. Neben diesen kirchlichen Einkünften erhielten die Professoren eine Barbesoldung (zum Beispiel aus Zolleinnahmen, aber auch vereinzelt vom Kurfürsten), die aufgestockt werden konnte durch Anteile an (Prüfungs-) Gebühren, Strafgeldern, Hörergeldern und durch Privateinnahmen (bei Juristen und Medizinern durch Gutachten und Privatpraxen). Die von der Universität bestbezahlten Lehrer waren die Theologen, danach folgten die Juristen, wesentlich schlechter besoldet waren die Mediziner, am schlechtesten jedoch die zahlreichen Magister, denen keine "Universitäts"pfründen verliehen wurden und die ihren Lebensunterhalt von Hörer- und Examensgeldern sowie aus Pfründenbesitz in ihrer Heimat bestritten.

    Die Verleihung von Pfründen, verbunden mit einer Lektur, endete endgültig um 1550, nachdem die Erträge aus den Pfründen von einem Kollektor im Universitätsfiskus gesammelt und vom "procurator fisci" an die Professoren ausbezahlt wurden. An der Reihenfolge in der Besoldungsskala änderte sich nichts.

    Wann wurden Heidelberger Professoren arbeitslos?

    "Cuius regio, eius religio" - diese Erfahrung machten auch die Heidelberger Professoren: Standen noch die Kurfürsten Ludwig V. und Friedrich II. der Reformation gleichgültig oder zögernd gegenüber, so wurden von 1556 (Regierungsantritt des lutherischen Ottheinrich) bis 1642 (Einstellung der Vorlesungen an der Universität bis 1652) die Universitätslehrer entlassen, die sich nicht dem Glaubensbekenntnis des jeweils herrschenden Souverän anpassten. Von 1578 bis 1584 finden die aufgrund ihres reformierten Glaubens aus Heidelberg vertriebenen Professoren eine neue Wirkungsstätte im heute noch existierenden Collegium Casimirianium in Neustadt/Weinstraße, das von dem Bruder des lutherischen Kurfürsten Ludwig VI., Johann Casimir, gegründet wurde.

    Ein Beispiel, wie man die drohende Arbeitslosigkeit eine Zeitlang abwenden konnte, gibt Reinhard Bachoven: Er änderte, bis 1614 Professor an der Philosophischen, dann bis 1635 an der Juristischen Fakultät, sein Glaubensbekenntnis bei jedem Wechsel des Souverän: Zunächst reformierten, 1629 katholischen, 1634 wieder reformierten Glaubens, weigerte er sich dann doch 1635, öffentlich dem reformierten Bekenntnis abzusagen.

    Frauen an der Universität

    Bereits 1554 hatte Kurfürst Friedrich II. versucht, eine Frau als Lehrende an die alma mater zu holen: Er gab der Humanistin Olympia Fulvia Morata (*1526), Ehefrau des nach Heidelberg berufenen Mediziners Andreas Grundtler den Auftrag, Griechisch für Angehörige der Artisten-Fakultät (wohl in Privatvorlesungen) zu lehren; leider war sie zu krank, ihre Arbeit aufzunehmen; sie starb bereits 1555. Erst 1923 wurde die Botanikerin Gertrud von Ubisch die erste Professorin in Heidelberg.

    Unerwarteter Quellenfund kann Lücke in Rektorenliste von 1641 bis 1649 schließen

    Eine Lücke bei der Benennung der Rektoren zwischen 1641 und 1649 konnte durch einen Quellenfund bei der Neuverzeichnung von Akten im Universitätsarchiv Heidelberg im März 2002 geschlossen werden. Es wurden Senatsprotokolle auf 244 Seiten in lateinischer und frühneuhochdeutscher Sprache aus der Zeit von 1641 bis 1649 gefunden, in denen die Rektoren namentlich erwähnt werden; die neugeschriebene Rektorenliste ist nachzulesen auf Seite 592 im Lexikon.

    Was ist sonst noch zu finden?

    Neben ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnissen findet der Leser
    ein Glossar mit Erklärungen zu heute nicht mehr üblichen Ausdrücken und
    (Amts-)Bezeichnungen, ein chronologisches Verzeichnis der amtierenden Magister und Professoren, eine Übersicht über die konfessionelle Zugehörigkeit der Professoren seit 1522, ein chronologisches Verzeichnis der Rektoren, eine Übersicht über die Pestzeiten in Heidelberg und die Verlegung der Vorlesungen an andere Orte.

    (Dagmar Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386-1651, Springer-Verlag
    Berlin, Heidelberg u.a. 2002, XLII, 650 Seiten, ISBN 3-540-43530-1, 65,- Euro)

    Rückfragen bitte an:
    Dr. Dagmar Drüll-Zimmermann
    Universitätsarchiv Heidelberg
    Tel. 06221 547538, Fax 547706
    gelex@urz.uni-heidelberg.de

    Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Studium und Lehre, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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